Schwanger - und dann?

Dem Betriebsrat steht ein Informationsanspruch im Hinblick auf die namentliche Benennung von schwangeren Mitarbeiterinnen zu / Unterlassung der Gefährdungsbeurteilung im Zusammenhang mit Mutterschutz ist ab 01. Januar 2019 bußgeldbewährt

LAG München, Beschluss vom 27. September 2017, 11 TaBV 36/17

Intimsphäre vs. Informationsanspruch des Betriebsrats

Nachfolgend soll - anlässlich einer Entscheidung aus München - auf die bislang weniger beachtete, aber in der Praxis immer wieder auftauchende, Frage eingegangen werden, wie weitgehend die Informationsrechte des Betriebsrates nicht (nur) gegenüber Informationen des Arbeitgebers - beispielsweise wirtschaftlicher Art - sind, sondern auch hinsichtlich (sensibler) Informationen betreffend den einzelnen Arbeitnehmer bzw. konkret vielmehr der Arbeitnehmerin.
 
Schwangerschaften von Mitarbeiterinnen sind ein sensibles Thema, unterfällt diese Information doch der Intimsphäre einer Frau. In einem Beschluss des Landesarbeitsgerichtes München vom 27. September 2017 ging es um die Frage, ob dem Betriebsrat ein Informationsanspruch im Hinblick auf die namentliche Benennung von schwangeren Mitarbeiterinnen zusteht. Dabei muss zum einen berücksichtigt werden, dass der Betriebsrat ein großes Interesse daran hat, frühzeitig von der Schwangerschaft einer Mitarbeiterin zu erfahren, da er u.a. die Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften zu überwachen hat. Man beachte in diesem Zusammenhang auch die nun seit 01. Januar 2019 bereits abstrakt bußgeldbewehrten Verpflichtungen des Arbeitgebers insbesondere nach § 10 MuSchG zur Gefährdungsbeurteilung und Ergreifung von Schutzmaßnahmen (dazu unten unter II.). Andererseits hat auch die Schwangere ein Recht auf Schutz ihres Persönlichkeitsrechts und auf informationelle Selbstbestimmung.

Sachverhalt

Der Betriebsrat begehrte die namentliche Mitteilung bekanntwerdender Schwangerschaften von Arbeitnehmerinnen. Die Arbeitgeberin wollte erreichen, dass der Betriebsrat nicht über sämtliche Schwangerschaften von Mitarbeiterinnen unterrichtet wird, insbesondere nicht in dem Fall, dass die Betroffene der Informationsweitergabe widersprochen hat. Die Arbeitgeberin räumte Schwangeren im Falle der Schwangerschaftsanzeige in einem Musteranschreiben die Möglichkeit ein, einer Informationsangabe an den Betriebsrat zu widersprechen.

Bereits das Arbeitsgericht München bejahte jedoch den umfassenden Informationsanspruch zugunsten des Betriebsrates. Hiergegen legte die Arbeitgeberin Beschwerde ein.

Entscheidung

Das LAG München wies die Beschwerde zurück (allerdings noch vor Inkrafttreten der DSGVO). Der Betriebsrat habe einen Informationsanspruch im Hinblick auf die namentliche Benennung von schwangeren Mitarbeitern aus § 80 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 S. 1 BetrVG - sogar gegen den Willen der Betroffenen. Insbesondere zur Überwachung der Einhaltung von Arbeitsschutzvorschriften, wie etwa des Mutterschutzgesetzes und der in diesem Zusammenhang ergangenen Verordnungen, bestehe die Informationsplicht, auch im Zusammenhang mit den Aufgaben nach § 89 BetrVG. Nach § 89 Abs. 1 S. 2 BetrVG bestehe nicht nur ein Recht, sondern zugleich eine öffentlich-rechtliche Pflicht des Betriebsrats, die zuständigen öffentlichen Stellen zu unterstützen.

Dieser Informationsanspruch stehe auch in Einklang mit dem Recht auf Schutz des Persönlichkeitsrechts und auf informationelle Selbstbestimmung. Denn dieser Schutz bestehe nicht schrankenlos und sei insbesondere mangels milderem, die Schwangere weniger belastendendem Mittel auch angemessen. Hierbei sei vor allem zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat gerade im Interesse der Schwangeren tätig werde, indem zu Gunsten der betroffenen Mitarbeiterin die Einhaltung der Schutzvorschriften überprüft werde. Ferner könne die Arbeitgeberin der schwangeren Arbeitnehmerin keine Verweigerungsmöglichkeit der Informationsweitergabe an den Betriebsrat in Aussicht stellen, da die Aufgaben des Betriebsrats nicht zur Disposition des Arbeitnehmers stünden.

Fazit und Folgen für die Praxis

Diese Entscheidung weicht bezüglich des Schutzes des Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung signifikant von anderen jüngeren Entscheidungen ab (vgl. z.B. ArbG Berlin, Entscheidung v. 19.12.2007 – 76 BV 13504/07; BVerwG, Beschluss v. 29.08.1990 – 6 P 30/87; OVG Münster, Beschluss v. 01.06.2017 – 20 A 696/16 PVL). Diesen ist gemein, dass sie das Persönlichkeitsrecht der Schwangeren grundsätzlich höher bewerten als den Informationsanspruch des Betriebsrates - insbesondere, wenn die schwangere Mitarbeiterin ausdrücklich der Informationsweitergabe an den Betriebsrat widerspricht.

Sofern sich die Auffassung des LAG München durchsetzt, wäre im Falle des Bekanntwerdens der Schwangerschaft einer Mitarbeiterin auch der Betriebsrat standardmäßig hierüber zu informieren und es sollte der Schwangeren nicht zur Disposition gestellt werden, ob der Betriebsrat über ihre Schwangerschaft informiert wird. Ein solcher Passus in etwaigen Musteranschreiben an die Schwangere wäre dort fehl am Platz, da die Aufgaben des Betriebsrats nicht zur Disposition des Arbeitnehmers stehen. Derzeit ist die Entscheidung des LAG München allerdings noch beim Bundesarbeitsgericht (Az. 1 ABR 51/17) anhängig, wobei ein Termin für den 09. April 2019 angesetzt ist. Wir werden an dieser Stelle über etwaige neue Erkenntnisse berichten. Insbesondere bleibt abzuwarten, ob das BAG sich auch in Zeiten der DSGVO dem Beschluss des LAG München anschließt und damit seiner eigenen bereits früh geäußerten Linie (BAG, Beschluss vom 27. Februar 1968 - 1 ABR 6/67) weiterhin treu bleibt.

Noch unklar erscheint ferner die Fragestellung, wie mit Folgefragen - beispielsweise einem vorzeitigen Ende der Schwangerschaft oder sonstigen Komplikationen - umzugehen ist. Wäre nach Ansicht des LAG München der Betriebsrat hierüber ebenfalls zu informieren? Im Grunde wäre dies folgerichtig und konsequent – aber ist dies angemessen? Andererseits gilt es in der Praxis gerade zu verhindern, dass - wie bei vielen Unternehmen üblich - Betriebsrat oder Kollegen ein Willkommensgeschenk vorbereiten und damit einer Kollegin, die z.B. gerade ein Kind verloren hat einen weiteren Stich versetzen.
 
Mit diesen Fragestellungen einhergehend sollte - durchaus regelmäßig aufs Neue - in der betrieblichen Praxis die (strafbewehrte) Geheimhaltungspflicht der Mitglieder des Betriebsrates gem. §§ 79, 120 BetrVG herausgestellt werden, um zumindest die nötige Sensibilität der Informierten zu schärfen.

Pflicht zu (abstrakter) Gefährdungsbeurteilung

Alle Gefährdungen, denen schwangere oder stillende Beschäftigte ausgesetzt sein könnten, müssen abstrakt beurteilt werden.
 
Neufassung Mutterschutzgesetz, Anforderungen an Arbeitgeber und Handlungsbedarf

Seit der Neufassung des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) im Jahr 2018 schreibt § 10 MuSchG die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung für schwangere und stillende Mitarbeiterinnen vor und belegt Verstöße seit dem 01. Januar 2019 gegen diese Pflicht mit einem Bußgeld von bis zu 5000 €.
 
Die Gefährdungsbeurteilung ist ohne Anlass für jede Tätigkeit (kategorisch) vorzunehmen und unabhängig davon, ob in dem jeweiligen Betrieb überhaupt weibliche Beschäftigte tätig sind. Sie ist auch durchzuführen, wenn niemand schwanger ist oder werden kann, da z.B. keine weiblichen Personen in dem Unternehmen tätig sind.

Die Regelung folgt unter anderem aus dem Diskriminierungsschutz: Arbeitsplätze sind geschlechtsunabhängig zu vergeben und jeder Arbeitsplatz soll grundsätzlich für eine Frau in Betracht kommen. Außerdem geht es dem Gesetzgeber um den bestmöglichen, frühzeitigen und effizienten Schutz von Schwangeren. Gemäß § 9 Abs. 2 MuSchG hat der Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass Gefährdungen einer schwangeren oder stillenden Frau oder ihres Kindes möglichst vermieden werden und eine unverantwortbare Gefährdung ausgeschlossen wird.
 
Die Gefährdungsbeurteilung umfasst im Wesentlichen drei Schritte, § 10 Abs. 1 Nr. 2 MuSchG:
 
Zunächst ist die Tätigkeit zu erfassen, während anschließend mögliche Gefährdungen zu ermitteln sind, denen schwangere oder stillende Beschäftigte ausgesetzt sein können und die Bezug zur Schwangerschaft oder Stillzeit haben. Die Gefährdungen sind nach Art, Ausmaß und Dauer zu beurteilen, vor allem hinsichtlich Unfallgefahren und Gesundheitsbeeinträchtigungen. Abschließend ist festzustellen, ob und welche Maßnahmen zum Schutz schwangerer oder stillender Beschäftigter erforderlich sind. Als Schutzmaßnahme kann insbesondere eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Umsetzung notwendig werden. Wenn trotz Gefährdungen keine geeigneten Schutzmaßnahmen in Frage kommen hat der Arbeitgeber ein Beschäftigungsverbot auszusprechen und festzustellen, dass eine schwangere oder stillende Beschäftigte in jener Position nicht weiter tätig werden darf. Ein weiteres Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung kann es sein, dass keine Schutzmaßnahmen erforderlich sind.

Der Zweck dieser Gefährdungsbeurteilung ist, die möglichen Schutzmaßnahmen abstrakt vorab zu ermitteln und diese im „Ernstfall“ schnell umsetzen zu können.

Sobald eine Mitarbeiterin dem Arbeitgeber ihre Schwangerschaft oder Stillzeit mitteilt, hat dieser unverzüglich die erforderlichen Schutzmaßnahmen umzusetzen. Der Arbeitgeber hat die Gefährdungen für den individuellen Arbeitsplatz der Beschäftigten zu konkretisieren, die herausgearbeiteten Schutzmaßnahmen zu ergreifen und der Schwangeren ein Gespräch über die Anpassung ihrer Arbeitsbedingungen anzubieten sowie die Wirksamkeit der Schutzmaßnahme zu kontrollieren.

Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung und der Bedarf an möglichen Schutzmaßnahmen ist zu dokumentieren, § 14 MuSchG. Verstöße gegen die Dokumentationspflicht werden seit dem 01. Januar 2019 ebenfalls mit einem Bußgeld geahndet.

Darüber hinaus hat der Arbeitgeber die Beschäftigen über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung und mögliche Schutzmaßnahmen zu informieren.

Folgen für die Praxis
Angesichts der Neuerung und den damit verbundenen möglichen Folgen, sollte, sofern noch nicht geschehen, in jedem Fall eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt und dokumentiert werden, um im Zweifelsfall das Vorgehen beweisen zu können und so ein Bußgeld zu vermeiden. Es ist unabdingbar, dass jeder Arbeitsplatz (tätigkeitsbezogen/kategorisch) bewertet wird. 

Unternehmen müssen sich mit der möglichen Situation von Schwangeren und Stillenden im Arbeitsalltag frühzeitig auseinandersetzen, dies auch ausreichend dokumentieren und im Falle individueller Schwangerschaftsmitteilungen die erforderlichen Schutzmaßnahmen sofort konkretisieren und entsprechend umsetzen.

 

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