Matrix-Führungskräfte mit Mehrfachwahlrecht: Bundesarbeitsgericht erweitert Spielraum für Betriebsratswahlen

Geschrieben von

leonie bleilevens Module
Leonie Bleilevens

Associate
Deutschland

Als Associate in der Praxisgruppe Internationales Arbeitsrecht in Düsseldorf berate ich unsere in- und ausländischen Mandanten in allen Bereichen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts sowie des Sozialversicherungsrechts.

Matrixstrukturen sind in vielen Unternehmen längst die gelebte Realität. Arbeitnehmer:innen werden standortübergreifend geführt, wobei die Führungskraft – etwa aufgrund von Homeoffice – an einem anderen Ort sitzt oder aber in einem anderen Unternehmen des Konzerns angestellt ist. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat nun mit Beschluss vom 22. Mai 2025 (Az. 7 ABR 28/24) klargestellt, dass Matrix-Führungskräfte unter bestimmten Voraussetzungen in mehreren Betrieben für Betriebsratswahlen wahlberechtigt sein können. Diese Klarstellung hat weitreichende praktische Auswirkungen.

Was sind Matrix-Führungskräfte?

Matrix-Führungskräfte sind Führungskräfte in einer Matrixorganisation, d.h. in einer Organisation, in der Arbeitnehmer:innen gleichzeitig verschiedenen Leitungsstrukturen unterstellt sind. Dies bedeutet:

  • Bericht an mindestens zwei Führungskräfte: Arbeitnehmer:innen berichten in einer Matrixorganisation typischerweise an mindestens zwei Führungskräfte, z.B. an die disziplinarische Führungskraft (z.B. Abteilungsleitung) und an die fachliche Führungskraft (z.B. Projektleitung)
  • Fachliche und disziplinarische Führung: Matrix-Führungskräfte sind meist für die fachliche Steuerung von Projekten oder Aufgaben zuständig. Sie koordinieren dabei die Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Abteilungen, während die disziplinarische Führung (z.B. Personalentwicklung, Urlaubsgenehmigungen) bei einer anderen Führungskraft liegt.
  • Komplexe Abstimmung: Da sich Arbeitnehmer:innen in einer Matrixorganisation mit mehreren Ansprechpersonen auseinandersetzen, erfordert dies eine effiziente Kommunikation, klare Verantwortlichkeiten sowie abgestimmte Ziele.

Zusammenfassend kann man sagen, dass Matrix-Führungskräfte Fachkompetenz bündeln und die Steuerung auf mehreren Ebenen übernehmen, um bereichsübergreifende Projekte und Projekte voranzutreiben. 

Was ist der Hintergrund der Entscheidung?

Ein IT-Unternehmen richtete insgesamt fünf organisatorische Betriebseinheiten ein, wobei die Arbeit bereichsübergreifend in Teams unter der Leitung von Matrix-Führungskräften erfolgte. Obwohl diese formal einem anderen „Stammbetrieb“ zugeordnet waren, wurden sie in die Wählerliste eines weiteren Standorts aufgenommen. Die Arbeitgeberin focht daraufhin die Betriebsratswahl an. 

Wie hat die Vorinstanz entschieden?

Die Vorinstanz (Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg (Beschluss vom 13. Juni 2024 – 3 TaBV 1/24)) erklärte die Wahl für unwirksam. Zwar seien Führungskräfte, die mit den im Betrieb tätigen Arbeitnehmer:innen zusammenarbeiten und ihre fachliche Weisungsbefugnis tatsächlich ausüben, in den Betrieb eingegliedert, dies sei aber für die Frage der Wahlberechtigung unerheblich. Letztere sichere ab, dass nur diejenigen über den Betriebsrat mitbestimmen, deren Interessen er tatsächlich vertritt.

Was hat das BAG entschieden?

Das BAG hob die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg auf und wies den Rechtsstreit zur weiteren Aufklärung an die Vorinstanz zurück. Eine endgültige Entscheidung steht daher noch aus. Das BAG betonte dennoch, dass eine Mehrfach-Eingliederung und damit eine Wahlberechtigung an mehreren Betriebsstandorten durchaus möglich sei. Ob eine Mehrfach-Eingliederung im konkreten Fall vorliege, sei anhand der tatsächlichen betrieblichen Strukturen zu prüfen. 

Nach der Entscheidung des BAG können Führungskräfte, solange sie keine leitenden Angestellten nach § 5 Abs. 3 BetrVG sind, in mehreren Betrieben aktiv wahlberechtigt sein, sofern sie in jedem dieser Betriebe in die Betriebsorganisation eingebunden sind. Dies hat zur Konsequenz, dass Führungskräfte, die in verschiedenen Betrieben Arbeitnehmer:innen führen, auch mehrfach ihr Stimmrecht ausüben können.

Welche Konsequenzen hat die Entscheidung?

Die Entscheidung des BAG stößt auf viel Kritik, ergeben sich hieraus negative Konsequenzen für Arbeitgeber:

  • Einfluss auf Zusammensetzung der Betriebsräte: Können die Matrix-Führungskräfte in mehreren Betrieben wählen, können Sie die Zusammensetzung unterschiedlicher Betriebsräte beeinflussen. Dies führt auch zu einer überproportionalen Vertretung der Interessen der Matrix-Führungskräfte im Gesamt- bzw. Konzernbetriebsrat.
  • Verstoß gegen Grundidee des BetrVG: Grundidee des Betriebsverfassungsgesetzes ist, dass Arbeitnehmer:innen nur einem Betrieb angehören und nur in diesem wählen können. Das darin verankerte Prinzip „one man, one vote“ wird missachtet und führt gleichzeitig dazu, dass Arbeitnehmer:innen im Vergleich zu Matrix-Führungskräften benachteiligt und unterrepräsentiert sind, weil sie nur in einem Betrieb wählen dürfen.
  • Auswirkungen auf die Wählbarkeit: Eine Matrix-Führungskraft, die in mehreren Betrieben wahlberechtigt ist, könnte zugleich auch in mehreren Betrieben wählbar sein. Hintergrund ist, dass sich die Wählbarkeit des § 8 BetrVG unmittelbar nach der Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG richtet.
  • Zuständigkeit unklar: Ist die Führungskraft in mehreren Betrieben eingegliedert, stellt sich die Frage, welcher Betriebsvereinbarung die Matrix-Führungskraft jeweils unterliegt oder welcher Betriebsrat bei der Kündigung der Matrix-Führungskraft zu beteiligen wäre.
  • Auswirkungen auf Schwellenwerte: Die Zahl der Wahlberechtigten bestimmt auch die Größe der Betriebsräte. Sind bestimmte Schwellenwerte überschritten, müssen mehr Betriebsratsmitglieder gewählt werden. Dies erhöht die Kosten für Arbeitgeber, z.B. durch Schulungen und Freistellungen von Betriebsratsmitgliedern.
  • Auswirkungen auf die Betriebsratswahlen 2026: Die Entscheidung des BAG wirft viele Fragen für die anstehende Betriebsratswahl im Frühjahr 2026 auf. Wahlvorstände sind nunmehr gezwungen, vorausschauend und betriebsübergreifend zu planen.

Was können Sie als Arbeitgeber tun?

  • Identifizierung von Mehrfach-Eingliederungen: Klären Sie, welche Führungskräfte ggf. in mehr als einem Betrieb tätig sind.
  • Anpassung der Wählerlisten: Sorgen Sie dafür, dass jede wahlberechtigte Person in allen relevanten Betrieben erfasst und die Wählerlisten entsprechend angepasst werden.
  • Risikominimierung durch frühzeitige Klärung: Dokumentieren Sie Ihre Organisationsstrukturen, um spätere Anfechtungen der Betriebsratswahlen zu vermeiden.

Gerade in Unternehmen mit komplexen, matrixartigen Organisationsmodellen oder virtuellen Teamstrukturen ist nun noch stärker auf die genaue Abgrenzung und Dokumentation der betrieblichen Zuordnung zu achten. Bei Unsicherheiten in Bezug auf Matrix-Führungskräfte sowie die Aufstellung oder Planung Ihrer Betriebsratswahlen unterstützen wir Sie gerne bei einer rechtssicheren Umsetzungsstrategie.

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