Variable Vergütung – Schadensersatz bei zu später Zielvorgabe

Erfolgt die Zielvorgabe zur Erreichung einer variablen Vergütung so spät, dass die Anreizfunktion nicht mehr erfüllt werden kann, steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich ein Anspruch in Höhe des Bonus bei hundertprozentiger Zielerreichung zu.

Landesarbeitsgericht Köln am 06.02.2024 (Az: 4 Sa 390/23)

Schadenersatz: Arbeitgeber muss den vollen Bonusbetrag zahlen

Die Parteien streiten um Zahlungsansprüche wegen einer zu spät erfolgten Zielvorgabe. Die Vergütung des klagenden Arbeitnehmers sah einen festen und einen variablen Bestandteil vor. Die Arbeitgeberin hat mit Betriebsvereinbarung zum Anfang des Jahres 2019 den variablen Vergütungsbestandteil dergestalt angepasst, dass die Ziele für die jährliche variable Vergütung des Arbeitnehmers bis zum 01.03.2019 festgelegt werden. Tatsächlich gab die Arbeitgeberin die Ziele allerdings erst im Oktober 2019 vor.

Das sei zu spät, urteilte das LAG Köln und sprach dem Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch in Höhe des Bonus bei hundertprozentiger Zielerreichung gem. §§ 280 Abs. 1, Abs. 3, 283, 252 BGB zu. Der Arbeitgeber muss die Zielvorgabe zur Erreichung einer variablen Vergütung dem Arbeitnehmer zu einem Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres mitteilen, zu dem sie ihre Anreizfunktion noch erfüllen kann. Erfolgt die Zielvorgabe zu einem Zeitpunkt, zu dem sie ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden kann, ist der Arbeitnehmer so zu stellen, als ob die Zielvorgabe überhaupt nicht erfolgt wäre.

Gleichlauf von verspäteten Zielvereinbarungen und Zielvorgaben

Die Arbeitgeberin war verpflichtet, dem Arbeitnehmer bis zum 01.03.2019 entsprechende Ziele vorzugeben. Im Unterschied zu sog. Zielvereinbarungen werden solche Zielvorgaben allein vom Arbeitgeber im Wege des einseitigen Leistungsbestimmungsrechts im Sinne des § 315 Abs. 1 BGB getroffen.

Nach gefestigter Rechtsprechung des BAG wird eine Zielvereinbarung spätestens mit Ablauf der Zielperiode, für die sich der Arbeitgeber verpflichtet hat, mit dem Arbeitnehmer Ziele zu vereinbaren, unmöglich iSd. § 275 BGB. Noch nicht entschieden hat das BAG, was gilt, wenn der Arbeitgeber zu einer einseitigen Zielvorgabe verpflichtet ist, dieser Pflicht aber nicht innerhalb der Zielperiode nachkommt und ob die einen Schadensersatzanspruch begründende Unmöglichkeit bereits vor Ablauf der Zielperiode eintreten kann.

Im Einklang mit der überwiegenden landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung sieht auch das LAG Köln keinen Unterschied zwischen einer pflichtwidrig und schuldhaft unterbliebenen Zielvereinbarung und einer pflichtwidrig und schuldhaft unterlassenen Zielvorgabe. In beiden Fällen wird nach Ablauf der Zielperiode eine Schadensersatzpflicht des Arbeitgebers infolge Unmöglichkeit ausgelöst. Bei einseitigen Zielvorgaben gilt insoweit nur die Besonderheit, dass ein Mitverschulden des Arbeitnehmers ausgeschlossen ist. Das LAG Köln hat nun außerdem in Bezug auf eine einseitige Zielvorgabe entschieden, dass die Festlegung der Ziele bereits während des laufenden Geschäftsjahres unmöglich werden kann. Es ist davon auszugehen, dass dies grundsätzlich auch für den Fall einer Zielvereinbarung gelten soll.

Wann ist eine Zielvorgabe verspätet?

Das LAG Köln verknüpft den Zeitpunkt des Eintritts der schadensersatzbegründenden Unmöglichkeit mit der Erfüllbarkeit der Anreizfunktion einer Zielvorgabe. Demnach liegt der Vereinbarung bzw. Vorgabe von Zielen der Gedanke zu Grunde, leistungs- und motivationssteigernd zu wirken. Hierfür muss der Arbeitnehmer schon bei Ausübung seiner Tätigkeit Kenntnis von den maßgeblichen Zielen haben. Infolge einer zu späten Zielvorgabe kann diese Anreizfunktion nicht mehr sinnvoll erfüllt werden, da dem Arbeitnehmer kein ausreichender Zeitraum mehr verbleibt, um effektiv auf die Erfüllung der vorgegebenen Ziele hinzuarbeiten. Wenn in zeitlicher Hinsicht keine hinreichende Leistungs- und Motivationssteigerung beim Arbeitnehmer mehr erreicht werden kann, dann ist die Vorgabe von Zielen „sinnentleert“.

Nach der hier vorliegenden gerichtlichen Entscheidung wird jedenfalls nach Ablauf von mehr als drei Vierteln des Geschäftsjahres keine Möglichkeit mehr gesehen, dass die Anreizfunktion noch sinnvoll erfüllt werden kann. In der Literatur wird bereits nach Ablauf von mehr als der Hälfte der Zielperiode von einer Unmöglichkeit ausgegangen.

Nicht per se abweichende Beurteilung bei unternehmensbezogenen Zielvorgaben

Das LAG Köln erkennt an, dass ein einzelner Arbeitnehmer auf die Erfüllung unternehmensbezogener Zielvorgaben in der Regel weniger Einfluss hat als auf persönliche Zielvorgaben. Gleichwohl geht das LAG Köln - wohl zu Recht – davon aus, dass Mitarbeiter in Führungspositionen auf die wirtschaftlichen Kennzahlen des Unternehmens Einfluss haben können. Eine andere Sichtweise würde der Vorgabe von unternehmensbezogenen Zielen als Gegenstand einer variablen Zusatzvergütung auch die Rechtfertigung nehmen.

Auch das BAG unterscheidet im Hinblick auf den Gedanken der Motivations- und Anreizfunktion nicht zwingend zwischen persönlichen und unternehmensbezogenen Zielen.

Höhe und Ermittlung des Schadensersatzanspruchs

Der zu ersetzende Schaden umfasst als entgangenen Gewinn auch eine entgangene Bonuszahlung. Grundsätzlich ist von einer hundertprozentigen Zielerreichung auszugehen, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, die eine andere Annahme rechtfertigen. Letzteres könnte der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer in den Vorjahren die vorgegebenen Ziele nicht erreichen konnte.

Eine Zielbestimmung durch Urteil im Rahmen einer Billigkeitskontrolle nach § 315 Abs. 3 BGB, die bei einseitigen Leistungsbestimmungen grundsätzlich vorzunehmen ist, lehnt das LAG Köln im Einklang mit der Begründung des BAG für den Fall von unterbliebenen Zielvereinbarungen ab. Der Zweck der Zielvorgabe, nämlich einen Leistungsanreiz zu schaffen, kann nachträglich nicht mehr erreicht werden.

Praxishinweis

Das LAG Köln hat hier zum Teil in Fortsetzung bisheriger landesarbeitsgerichtlicher Rechtsprechung über zwei Fragen entschieden, die noch nicht höchstrichterlich geklärt sind. Arbeitgeber sind gut beraten, ihren Arbeitnehmern die Ziele möglichst frühzeitig und insbesondere innerhalb der ggfs. vereinbarten Frist vorzugeben und dies nachweisbar zu dokumentieren. Bei nicht erfolgter bzw. verspäteter Zielvorgabe setzt sich der Arbeitgeber Schadensersatzansprüchen des Arbeitnehmers aus, die regelmäßig dem in der Zielvorgabe definierten Bonus bei hundertprozentiger Zielerreichung entsprechen. Dies dürfte gleichermaßen gelten, wenn der Arbeitgeber es versäumt, rechtzeitig eine Zielvereinbarung abzuschließen.

Die Revision wurde zugelassen. Man darf somit gespannt sein, ob das BAG die Chance bekommt, Klarheit hinsichtlich des Umgangs mit verspäteten Zielvorgaben zu schaffen und verbleibende Unsicherheiten durch im Einzelnen abweichende landesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zu beseitigen.

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