Zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Entschädigungsverlangens wegen behaupteter Diskriminierung

Das BAG hatte sich im Januar dieses Jahres wiederholt mit einem Fall der rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Schadensersatz wegen angeblicher Diskriminierung zu befassen. Nicht selten sehen sich das BAG sowie Arbeitgeber:innen mit dem Phänomen des sog. „AGG-Hoppings“ konfrontiert. Im Jahre 2021 hat der BGH erstmals vertieft Stellung bezogen hinsichtlich der Anforderung an eine Strafbarkeit wegen Betrugs im Zusammenhang mit dem „AGG-Hopping“. Eine abschreckende Wirkung scheint dies angesichts der weiterhin regelmäßig auftretenden Fälle jedoch nicht nach sich zu ziehen. Nachfolgend wird auf die nunmehr erschienenen Urteilsgründe der neuerlichen BAG-Entscheidung eingegangen, sowie ihre Bedeutung im antidiskriminierungsrechtlichen Kontext thematisiert.

Wen und vor was schützt das Benachteiligungsverbot?

Das im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) normierte Benachteiligungsverbot bildet eine der wesentlichen Vorschriften des Gesetzes und beinhaltet ein allgemeines Verbot der Benachteiligung von Beschäftigten und auch Bewerbern. Merkmale, welches durch das AGG vor Benachteiligung geschützt werden, sind u.a. die Rasse, die ethnische Herkunft sowie eine Behinderung. Sehen sich Bewerber oder Beschäftigte einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot ausgesetzt, bietet ihnen § 15 AGG die Möglichkeit eine Entschädigung, insbesondere in Form von Schmerzensgeld, zu fordern. Das BAG spricht diesem Anspruch eine Doppelfunktion zu. Er hat zum einen die Aufgabe, den durch die Diskriminierung entstanden Schaden vollständig auszugleichen. Daneben soll er eine abschreckende Wirkung entfalten und Benachteiligungen somit vorbeugen.

Was geschah im konkreten Fall?

Im zu entscheidenden Fall stritten sich die Parteien darüber, ob die Beklagte, eine öffentliche Arbeitgeberin, dem schwerbehinderten Kläger wegen der Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung auf eine ausgeschriebene Stelle zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtete ist. Der Kläger war bereits zuvor als Vollzeitbeschäftigter bei der Beklagten angestellt. Das Beschäftigungsverhältnis wurde durch eine Arbeitgeberkündigung beendet. Anlass der Kündigung waren im Verlauf das Arbeitsverhältnis aufkommende Unstimmigkeiten und Konflikte zwischen dem Kläger und seinem Personalverantwortlichen. Relevant für den vorliegenden Sachverhalt war insbesondere die im Kündigungsschutzverfahrens geäußerte Behauptung des Klägers „Angst um Leib und Leben“ im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses gegenüber seinem Personalverantwortlichen verspürt zu haben. Nach erhobener Kündigungsschutzklage wurde das damalige Verfahren durch Prozessvergleich beendet, der unter anderem die wirksame Kündigung des Klägers zum Inhalt hatte. Einige Monate nach Erhalt der Kündigung sowie im direkten Anschluss an den Prozessvergleich, bewarb sich der Kläger auf mehrere von der Beklagten ausgeschrieben Stellen. Hinsichtlich der für die Entscheidung relevanten Bewerbung wurde der Kläger zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen, sowie Ersatztermine geboten, nachdem der Kläger den erstmaligen Terminvorschlag abwies. Auf erneute Ablehnung des Ersatztermins und Forderung eines Ausweichtermins reagierte die Beklagte vorerst nicht und wies den Kläger als Bewerber zuletzt ab. Der Kläger wirft der Beklagten die Verletzung seiner Einladungspflicht in Bezug auf das Bewerbungsgespräch vor und verlangte Entschädigung wegen Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung. Die Beklagte wehrt sich unter anderem mit dem Einwand des Rechtsmissbrauchs.

Worauf stützt sich der Einwand des Rechtsmissbrauchs?

Ob der Kläger tatsächlich eine unmittelbare Benachteiligung aufgrund seiner Schwerbehinderung erfahren hat, ließ das BAG offen. Ebenfalls nicht entschieden wurde, ob die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin gegen ihre gesetzliche Pflicht verstoßen hat, schwerbehinderte Menschen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Nichtbeachtung einer bestehenden Einladungspflicht begründet dabei in der Regel die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund einer Schwerbehinderung.

Eine Befreiung öffentlicher Arbeitgeber:innen ist bei offensichtlich fehlender persönlicher Eignung des Bewerbers möglich. Dies kann jedoch nur angenommen werden, wenn charakterlichen Mängel ein offensichtliches Einstellungshindernis darstellen und sich die Einladung dadurch als bloße Förmelei darstellt. Ein derartig gelagerter Sachverhalt lag in dem hier zugrundeliegenden Fall allerdings nicht vor. Ohne über einen etwaigen Verstoß zu entscheiden, lehnt das BAG in diesem Fall den Entschädigungsanspruch wegen des durchgreifenden Einwands des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) ab. Ein durch unredliches Verhalten begründetes oder erworbenes Recht, sowie Rechtsstellungen seien grundsätzlich nicht schutzwürdig.

Beim Phänomen des „AGG-Hoppings“ wird ein solches unredliches Verhalten angenommen. „AGG-Hopper“ sind Personen, die ein nach dem AGG geschütztes Merkmal aufweisen und sich auf freie Stellen bewerben, ohne tatsächliches Interesse an diesen. Vorgegangen wird vielmehr mit dem Ziel, wegen eines fehlerhaften Bewerbungsverfahren oder einer (vermeintlich) diskriminierenden Absage, Entschädigungsansprüche des AGG geltend zu machen. Nach der früheren Rechtsprechung setzte ein Entschädigungsanspruch als Voraussetzung die Ernsthaftigkeit der Bewerbung voraus. Nachdem diese Rechtsprechung jedoch aufgegeben wurde und nunmehr ein formeller Bewerberbegriff zugrunde gelegt wird, wurde damit die Darlegungs- und Beweislast zu Lasten des Arbeitgebers umgedreht. Arbeitgeber:innen müssen nun das rechtsmissbräuchliche Verhalten des Bewerbers beweisen, was diesen nicht selten vor Herausforderung stellt.

Im vorliegenden Fall sprach das BAG selbst nicht vom „AGG-Hopping“, obgleich der Sachverhalt dies nahelegen würde. Denn das BAG stellt auch hier das unredliche Verhalten des Klägers in der Form fest, dass sich dieser nicht beworben habe, um tatsächlich die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern lediglich, um den Bewerberstatus zu erlangen. Ziel des Klägers sei es allein gewesen, die Voraussetzung für die Geltendmachung einer Entschädigung zu schaffen. Den Beweis für dieses rechtsmissbräuchliche Verhalten lieferte die Beklagte durch Verweis auf frühere Äußerungen des Klägers. Dieser hatte in einem Schriftsatz im Rahmen des vorher zwischen den Parteien laufenden Kündigungsschutzverfahrens von Diskriminierung, sowie von der Angst um sein Leib und Leben sowie von Mobbing berichtet. Er brachte weiter vor, dass diese Erlebnisse zu einer „kausalen Arbeitsunfähigkeit“ geführt haben. Die vorgebrachten Erlebnisse hingen insbesondere mit dem Personalverantwortlichen zusammen, der auch für die ausgeschriebene Stelle verantwortlich war. Unter diesen Gesichtspunkten ging das BAG davon aus, dass der Kläger nicht ernsthafte Absichten bezüglich der neu ausgeschriebenen Stelle verfolgen konnte, sah er sich doch gerade genau in diesem Arbeitsumfeld in seiner Gesundheit bedroht.

Was bedeutet die Entscheidung für Arbeitgeber:innen?

Das BAG setzte der Geltendmachung der Entschädigungsansprüche erneut gezwungenermaßen Grenzen mit der Bemühung des Einwands rechtsmissbräuchlichen Verhaltens auf. Angesichts der Erleichterung der Darlegungslast sowie einer Absenkung des Beweismaßes und der Beweislastumkehr für Bewerber:innen, scheint dies notwendig zu sein, um Arbeitgeber:innen zu schützen und dem sog. „AGG-Hopping“ Einhalt zu bieten. Dabei ist das BAG selbst für diesen Zustand verantwortlich, nachdem es die (vom Bewerber darzulegende) Ernsthaftigkeit einer Bewerbung nicht mehr als Voraussetzung des Entschädigungsanspruchs qualifiziert. Eine Überraschung birgt die Entscheidung damit nicht. Es zeigt sich allerdings, dass das „AGG-Hopping“ weiterhin ein relevantes Problem in der arbeitsrechtlichen Praxis darstellt und diesbezüglich Handlungsbedarf besteht.

Begrüßenswert ist die Befassung des BGH mit einer möglichen Strafbarkeit des „AGG-Hoppings“. Grundsätzlich ist die rechtsmissbräuchliche, klageweise Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen nach der Entscheidung des BGH als Betrug strafbar. Eine Erleichterung für den Arbeitgeber im arbeitsgerichtlichen Prozess stellt dies jedoch nicht dar, höchstens einen milden Trost.

Dem Arbeitgeber kann nur geraten sein, sich bei Verdacht auf „AGG-Hopping“ oder gleichgelagerter Fälle mit beweiskräftiger Dokumentation zu behelfen und den Einwand des Rechtsmissbrauchs im Falle einer Klage zu erheben.

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