Unterschiedlich hohe tarifliche Zuschläge für Nachtschichten zulässig

Tarifvertragliche Regelung zu unterschiedlich hohen Zuschlägen für unregelmäßige und regelmäßige Nachtarbeit können vom allgemeinen Gleichheitssatz gedeckt sein.

 

(BAG, Urt. vom 22.2.2023 – 10 AZR 332/20)

Regelmäßigkeit von Nachtschichten entscheidet über Zuschlagshöhe

Die Klägerin ist bei der Beklagten, einem globalen Unternehmen der Getränkeindustrie, beschäftigt und erbringt dort ihre Arbeitsleitung im Rahmen von Nachtarbeit im Wechselschichtmodell. Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Manteltarifvertrag sieht einen Nachtarbeitszuschlag auf das Stundenentgelt in Höhe von 50% für unregelmäßige und in Höhe von 20% auf das Stundenentgelt für regelmäßige Nachtarbeit vor. Neben den 20% Zuschlag auf das Stundenentgelt haben Arbeitnehmer:innen, die Dauernachtarbeit oder in einem 3-Schicht-Wechsel eingesetzt sind einen Tag „Schichtfreizeit“ für je 20 geleistete Nachtschichten. Die Klägerin ist der Auffassung, die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung könne nur im Hinblick auf den Arbeits- und Gesundheitsschutz bestehen. Die gesundheitlichen Beeinträchtigungen würden sich ihrer Ansicht nach durch unregelmäßige Nachtarbeit im Vergleich zu regelmäßiger Nachtarbeit jedoch nicht erhöhen. Der Anspruch auf Schichtfreizeit beseitige die Ungleichbehandlung nicht, da dadurch die spezifischen Belastungen der Nachtarbeit nicht ausgeglichen würden.

Schlechte Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit als sachlicher Grund

Nachdem der Gerichtshof der Europäischen Union in einem Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts mit Urteil vom 7. Juli 2022 (C-257/21) festgestellt hat, dass die Regelung von Nachtarbeitszuschlägen in Tarifverträgen keine Durchführung von Unionsrecht ist, konnte nun das Bundesarbeitsrecht über die Klage selbst entscheiden. Das Bundesarbeitsgericht stellt insofern fest, dass zwar Arbeitnehmer:innen, die regelmäßige Nachtarbeit leisten mit solchen, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, vergleichbar sind und eine Ungleichbehandlung gegeben ist, wenn unterschiedlich hohe Zuschläge gezahlt werden. Allerdings ergibt sich für diese Ungleichbehandlung ein erkennbarer sachlicher Grund aus dem Tarifvertrag, sodass eine entsprechende Rechtfertigung vorliegt. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht gegeben. Neben dem Schutz der Gesundheit und dem Ausgleich gesundheitsschädlicher Folgen für die Arbeitnehmer:innen durch Nachtarbeit kann ein Nachtarbeitszuschlag auch weitere Zwecke verfolgen. So können insbesondere die Belastungen für die Arbeitnehmer:innen, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, wegen der schlechten Planbarkeit der Arbeitseinsätze durch höhere Zuschläge ausgeglichen werden. Die Differenz zwischen den Zuschlägen liegt im Ermessen der Tarifparteien. Die Zahlung eines höheren Nachtzuschlags auf das Stundenentgelt ist demnach durchaus möglich. Entscheidend für das Vorliegen eines sachlichen Grundes ist, dass der zusätzliche Zweck – so wie vorliegend – aus dem Tarifvertrag erkennbar ist.

Das Bundesarbeitsgericht hat gleichlautend im Parallelverfahren (10 AZR 33/20) entschieden, in dem ebenfalls festgestellt wurde, dass höhere Zuschläge bei unregelmäßiger Nachtarbeit sich nicht nur mit den Mehrbelastungen der Nachtarbeit begründen lassen, sondern auch eine fehlende Planbarkeit ausgeglichen werden soll.

Auswirkungen auf die Praxis

Das Urteil entfaltet eine Signalwirkung für eine Vielzahl an Klagen, die über alle Instanzen verteilt in Deutschland anhängig sind und sich mit Regelungen zu Nachtarbeitszuschlägen befassen. Das Bundesarbeitsgericht änderte durch die Entscheidung im Jahr 2023 nun seine bisherige Rechtsprechung und setzte damit erste Grundsätze für die rechtssichere Gestaltung von Tarifverträgen bezüglich Nachtarbeitszuschlägen.

Im Jahr 2013 nahm das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 11.12.2013 – 10 AZR 736/12) an, dass in unterschiedlich hohen Nachtarbeitszuschlägen keine Ungleichbehandlung im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt und billigte unterschiedlich hohe Nachtzuschläge. Im Jahr 2018 entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urteil vom 21.03.2018 – 10 AZR 34/17) sodann, dass eine tarifliche Regelung, die für regelmäßige Nachtschichten niedrigere Nachtschichtzuschläge vorsah als für unregelmäßige Nachtschichten unwirksam sei. Die betroffenen Arbeitnehmer:innen konnten basierend darauf den jeweils höheren Nachtzuschlag fordern, auch wenn sie dessen Voraussetzungen nicht erfüllten.

Auch in der Begründung zum Vorabentscheidungsersuch im streitgegenständlichen Verfahren nahm das Bundesarbeitsgericht noch an, dass in der tarifvertraglichen Regelung ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG zu sehen ist.

Nunmehr lassen sich unterschiedliche hohe Zuschläge für Nachtarbeiten danach beurteilen, ob ein sachlicher Grund, der über den Schutz der Gesundheit hinausgeht, vorliegt und ob dieser im Tarifvertrag erkennbar ist.

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