Annahmeverzug des Arbeitgebers bei unbilligem Verbot des Zutritts zum Arbeitsplatz nach Rückkehr aus Corona-Risikogebiet

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich im Herbst vergangenen Jahres mit der Frage, ob einem Arbeitnehmer, dem nach der Rückkehr aus einem durch das Robert-Koch-Institut (RKI) als solches ausgewiesenes Corona-Risikogebiet der Zutritt zum Betriebsgelände versagt wird, im Einzelfall zu Recht die Entgegennahme seiner Arbeitsleistung verweigert wird.

Das Gericht urteilte, dass ein Arbeitnehmer gemäß § 615 Satz 1, § 611a Abs. 2 iVm §§ 293 ff. BGB Annahmeverzugslohn verlangen kann, wenn nach der entsprechenden landesrechtlichen Verordnung keine Quarantänepflicht besteht.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.08.2022 - 5 AZR 154/22

Quarantänepflicht nach Rückkehr aus Corona-Risikogebiet?

Während der Corona-Pandemie sah die Eindämmungsmaßnahmenverordnung des Landes Berlin vor, dass sich Reiserückkehrer aus einem durch das RKI als solches ausgewiesenes Corona-Risikogebiet im Grundsatz für 14 Tage in häusliche Quarantäne begeben mussten. Eine Ausnahme von der Quarantänepflicht galt nach der Verordnung für den Fall, dass Betroffene einen negativen Corona-PCR-Test sowie Symptomfreiheit in Bezug auf eine COVID-19-Erkrankung vorweisen konnten. 

Verweigerung des Zutritts zum Betrieb und der Lohnzahlung

Der Kläger war bei der Beklagten, die Lebensmittel produziert, als Leiter der Nachtreinigung in dem Berliner Betrieb der Beklagten beschäftigt. Das von der Mustergesellschaft der Beklagten in Bezug auf Maßnahmen des betrieblichen Infektionsschutzes eingeführte Hygienekonzept, das in allen Gesellschaften der Unternehmensgruppen – mithin auch bei der Beklagten umgesetzt wurde, sah vor, dass aus dem Urlaub zurückkehrende Arbeitnehmer eine Selbsterklärung abgeben mussten, ohne die das Betreten der Betriebsstätte nicht gestattet war und dass Rückkehrer aus Risikogebieten für 14 Tage zu Hause bleiben mussten, wobei eine einmalige PCR-Testung im Rahmen der Rückkehr aus einem Corona Risikogebiet seitens der Beklagten nicht anerkannt wurde. 

Während des ihm von der Beklagten gewährten Urlaubs vom 11.-14. August 2020 reiste der Kläger in die Türkei, die zu dieser Zeit vom RKI als Corona-Risikogebiet eingestuft war. Der von ihm vor der Ankunft in Deutschland durchgeführte Corona-PCR-Test wies einen negativen Befund auf und dem Arbeitnehmer wurde am Montag, den 17. August 2020 auch die Symptomfreiheit ärztlich attestiert. Als der Kläger am 17. August 2020 seinen Arbeitsplatz aufsuchen wollte, wurde er nach Ausfüllen der von der Beklagten geforderten Selbstauskunft aufgrund seiner Angabe zur Reiserückkehr aus einem Corona-Risikogebiet noch am Werktor abgewiesen. Trotz ausdrücklichen Hinweises auf sein negatives Testergebnis und die attestierte Symptomfreiheit sowie eines Angebots der Arbeitskraft versagte die Beklagte dem Kläger mit Verweis auf das Infektionsrisiko für insgesamt 14 Tage nach Reiserückkehr den Zutritt zum Werksgelände und damit das Aufsuchen seines Arbeitsplatzes. Gleichzeitig teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er für diesen Zeitraum auch keinen Vergütungsanspruch habe – er könne jedoch Urlaub nehmen. 

Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers wegen Annahmeverzug 

Der Kläger verklagte seinen Arbeitgeber auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Dauer der Verweigerung des Zutritts zum Arbeitsplatz. Zwar war die Beklagte der Ansicht, dass der Kläger seine Arbeitsleistung nicht ordnungsgemäß angeboten hatte, weil es ihm für die Dauer von 14 Tagen nach Rückkehr aus dem Risikogebiet nicht möglich gewesen sei, seine Arbeitsleistung im Betrieb zu erbringen. Die Gerichte gaben jedoch dem klagenden Arbeitnehmer durch die Instanzen hinweg Recht. Das Arbeitsgericht Berlin (Urt. v. 03.03.2021 – 39 Ca 13047/20) verurteilte die Beklagte in der ersten Instanz zur Zahlung der Vergütung. Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Urt. v. 02.03.2022 – 4 Sa 644/21) wies die Berufung der Beklagten gegen das arbeitsgerichtliche Urteil zurück. Auch die Revision vor dem BAG hatte keinen Erfolg. 

Das BAG bestätigte, dass dem Kläger ein Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs zustehe. Der Kläger habe bei Arbeitsantritt nach seinem Urlaub seine Arbeitsleistung in tatsächlicher Weise angeboten (§ 294 BGB). Er sei im Streitzeitraum auch nicht nach § 297 BGB außerstande gewesen, die geschuldete Leistung zu bewirken, da er sowohl tatsächlich als auch rechtlich zur geschuldeten Arbeitsleistung in der Lage gewesen sei. Es habe nach verordnungsrechtlichen Vorgaben im vorliegenden Fall trotz Rückkehr aus einem Corona-Risikogebiet keine Quarantänepflicht bestanden, da der Kläger nach der Verordnung durch den negativen Corona-PCR-Test und die attestierte Symptomfreiheit von der im Grundsatz bestehenden Verpflichtung ausgenommen sei. Die Weisung der Beklagten gegenüber dem Kläger, dem Betrieb für die Dauer von insgesamt 14 Tagen nach Rückkehr aus dem Urlaub ohne Fortzahlung des Arbeitsentgelts fernzubleiben, war nach Ansicht des BAG außerdem ungerechtfertigt und folglich unwirksam. Die Annahme der Arbeitsleistung sei der Beklagten auch nicht im Hinblick auf das bestehende Infektionsrisiko unzumutbar gewesen. Denn die Beklagte hätte dem Kläger als milderes Mittel z.B. die Möglichkeit eröffnen können, durch einen weiteren Corona-PCR-Test eine Infektion weitgehend auszuschließen oder sie hätte auch ein Betretungsverbot unter Fortzahlung der Vergütung erteilen können. Hierdurch hätte die Beklagte den nach § 618 Abs. 1 BGB erforderlichen und angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer erreicht und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen können, ohne zu intensiv in die Rechte des Klägers einzugreifen.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BAG ist im Ergebnis rechtlich korrekt – stellt sie auch Arbeitgeber vor die Herausforderung, im Hinblick auf die Regelungen eines eigens ausgearbeiteten Hygienekonzeptes stets kritisch abzuwägen, ob diese tatsächlich erforderlich sind, um einen angemessenen Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer und einen ordnungsgemäßen Betriebsablauf sicherstellen. Gehen die Regelungen eines betrieblichen Hygienekonzeptes über die geltenden (vorordnungs-)rechtlichen Vorgaben hinaus, sehen also strengere Maßnahmen vor als die jeweils anwendbare Verordnung, läuft der Arbeitgeber erhöhte Gefahr, dass die Regelungen als „nicht erforderlich“ angesehen werden und der Arbeitgeber daher im Ergebnis die Kosten hierfür zu tragen hat (im vorliegenden Fall in Form von Annahmeverzugslohn für die Zeit der arbeitgeberseitig angewiesenen „Nichtarbeit“).

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