Kündigung kann den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern.
BAG, Urteil vom 08.09.2021 – Aktenzeichen 5 AZR 149/21
Nicht selten erreicht den Arbeitgeber zeitgleich mit der Kündigung eine Krankschreibung für die verbleibende Arbeitszeit. Dies ist für den Arbeitgeber in zweierlei Hinsicht von Nachteil: Er muss auf die weiterhin geschuldete Arbeitsleistung verzichten und ist gleichwohl für bis zu sechs Wochen zur Entgeltfortzahlung verpflichtet. Stimmt die Dauer der Krankschreibung mit der Kündigungsfrist überein, können dem Arbeitgeber unter Umständen Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kommen.
Vor diesem Hintergrund hat das BAG Arbeitgeber mit seiner Entscheidung vom 08.09.2021 gestärkt. Der Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könne erschüttert werden, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit der Dauer der Kündigungsfrist entspricht. In diesem Fall müsse der Arbeitnehmer seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit anderweitig darlegen. Gelinge dies nicht, habe der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall.
Die Klägerin war seit Ende 2018 als Kaufmännische Angestellte bei der Beklagten tätig. Am 08.02.2019 kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 22.02.2019. Am selben Tag reichte sie bei der Beklagten eine Bescheinigung ein, welche ihre Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende der Beschäftigung, den 22.02.2019 attestierte. Die Beklagte verweigerte in der Folge die Entgeltfortzahlung. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert, weil diese genau die Restlaufzeit des Arbeitsverhältnisses nach der Eigenkündigung der Klägerin abdecke. Die Klägerin verwies auf ihre ordnungsgemäße Krankschreibung. Auch habe sie kurz vor einem Burn-Out gestanden. Die Vorinstanzen hatten der Klage auf Lohnfortzahlung für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit stattgegeben.
Ist ein Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit nicht in der Lage seine Arbeit auszuüben, hat er unter den Voraussetzungen des § 3 EFZG einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit. Gemäß § 5 Abs. 1 S. 1 EFZG ist der Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit unverzüglich mitzuteilen. Ist der Arbeitnehmer länger als drei Tage erkrankt, muss er eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vorlegen. Kommt der Arbeitnehmer dieser Nachweispflicht nicht nach, kann der Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung verweigern.
Auch im Prozess trifft den Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen des § 3 EFZG. Den Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit erbringt der Arbeitnehmer regelmäßig durch die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Dieser kommt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung ein hoher Beweiswert zu.
Gleichwohl kann der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch den Arbeitgeber erschüttert werden. Hierfür muss der Arbeitgeber tatsächliche Umstände darlegen, die nachvollziehbare Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen. Derartige Zweifel können sich aus der Bescheinigung selbst, aber auch aus den Umständen ihrer Entstehung ergeben. Ist der Beweiswert erschüttert, muss der Arbeitnehmer anderweitig darlegen, dass er arbeitsunfähig war.
Im vorliegenden Fall ist es dem Arbeitgeber gelungen, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Nach Ansicht des BAG begründet bereits die zeitliche Übereinstimmung von Kündigung und Krankschreibung ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit. Damit sei die Klägerin im Prozess ihrer Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit nicht hinreichend konkret nachgekommen. Die Klage auf Lohnfortzahlung wurde daher abgewiesen.
Das BAG hat erneut deutlich gemacht, dass der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeit nicht grenzenlos ist. Die bisher veröffentliche Pressemitteilung verdeutlicht, dass die zeitliche Überschneidung einer Kündigung und einer parallelen Krankschreibung ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründet. Gleichwohl die Entscheidungsgründe noch nicht veröffentlicht sind, dürfen sich Arbeitgeber in Zukunft darin bestärkt sehen, in vergleichbaren Fällen die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmer zu hinterfragen.