Hinweisgeberschutzgesetz: Bürokratische Hürde oder Chance?

Der Entwurf des Hinweisgeberschutzgesetz soll „Whistleblowern“ umfassenden Schutz bieten und nimmt Unternehmen hierfür in die Pflicht. 

Hintergrund: Hinweisgeberschutz-Richtlinie

Spätestens seit Edward Snowden ist Whistleblowing – das Aufdecken von Fehlverhalten von Behörden oder Unternehmen – ein Begriff. Mit Blick auf den Wirecard-Skandal erscheint es unglaublich, dass kein Beschäftigter den Betrug durchschaut hat. Hätte es geholfen, wenn sich die Arbeitnehmer bei einem Verdacht an interne oder externe Stellen hätte wenden können, ohne den Verlust des Arbeitsplatzes oder Repressalien wegen Geheimnisverrats befürchten zu müssen?

Auf diese Problematik wurde mit der Richtlinie (EU) 2019/1937 vom 23. Oktober 2019 zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden (künftig: Richtlinie) auf europäischer Ebene reagiert. Die Richtlinie soll nun durch das Hinweisgeberschutzgesetz umgesetzt werden.

Umfassender Schutz von Hinweisgeber

Bisher ist der Hinweisgeberschutz durch die Rechtsprechung geprägt. Es bestehen lediglich vereinzelte Beschwerderechte (vgl. § 17 ArbSchG, § 84 BetrVG) und Regelungen, die zur Verschwiegenheit verpflichten (vgl. § 79 BetrVG, §116 AktG). Stets musste eine Abwägung zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen erfolgen. Aufgrund der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheits- und Loyalitätspflicht war der Gang an die Öffentlichkeit regelmäßig ultima ratio. Arbeitnehmer mussten sich zunächst an interne Stellen wenden. Nach dem Entwurf können Hinweisgeber sich künftig gleichrangig an interne sowie externe, staatliche Meldestellen wenden, wenn sie zumindest begründete Verdachtsmomente für einen Verstoß haben.

Eine Veröffentlichung der Informationen ist aber nur geschützt, wenn der „Verstoß eine unmittelbare oder offenkundige Gefährdung des öffentlichen Interesses darstellen kann“ oder Repressalien bei der Meldung an öffentliche Meldestellen zu befürchten sind. Eine Veröffentlichung ist zudem geschützt, wenn die unterrichtete, externe Stelle den Hinweisgeber nicht nach spätestens drei Monaten über die Einleitung geeigneter Folgemaßnahmen unterrichtet hat.

Geschützt ist auch die Meldung von Informationen, die als Geschäftsgeheimnisse üblicherweise der Verschwiegenheit unterliegen. Davon ausgenommen sind Träger von Berufsgeheimnissen wie Rechtsanwälte oder Ärzte. Die Hinweisgeber werden geschützt, indem ihre Identität nur der Person, die die Meldung annimmt, bekannt wird und nur an Strafverfolgungsbehörden aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Entscheidung oder bei Einwilligung des Hinweisgebers weitergegeben werden darf.

Zudem dürfen Hinweisgeber – sollten sie doch bekannt werden – nicht beruflich benachteiligt werden. Hierbei wird die Beweislast umgekehrt: Erfolgt nach einer Meldung oder Offenlegung eine Benachteiligung, muss der Arbeitgeber nachweisen, dass die Benachteiligung nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruht, sondern hinreichend gerechtfertigt ist.

Sonst ist er zur Zahlung von Schadensersatz verpflichtet. Hinweisgeber müssen bisher das Risiko tragen, falsche Informationen zu liefern. Sie sind jedoch nach dem Entwurf geschützt, wenn sie über „begründete Verdachtsmomente“ informieren. Sind die Hinweise dagegen grob fahrlässig oder vorsätzlich falsch, muss der Hinweisgeber entstehende Schäden ersetzen.

Anforderungen an die internen Meldestellen

Das neue Hinweisgeberschutzgesetz betrifft alle Beschäftigungsgeber und staatliche Dienststellen, mit regelmäßig über 50 Beschäftigten, auch wenn sie sich gesetzestreu verhalten. Sie werden ab dem 17. Dezember 2021 (17. Dezember 2023, wenn weniger als 250 Beschäftigte) verpflichtet, interne Meldestellen zu errichten, welche die eingehenden Meldungen dokumentieren, auf ihre Stichhaltigkeit prüfen und gegebenenfalls Folgemaßnahmen einleiten sollen. Diese Meldestellen können mit internen Arbeitnehmern besetzt werden oder an externe Dritte delegiert werden.

Welche Personen, Organisationseinheiten oder Dritte am besten geeignet sind die Aufgaben zu erfüllen, wird im Gesetzesentwurf bewusst nicht geregelt. Garantiert werden soll so eine im Einzelfall größtmögliche Freiheit bei Erfüllung der der Meldestelle obliegenden Aufgaben. Im Rahmen der Erwägungsgründe zur Richtlinie selbst werden beispielhaft Mitarbeiter der Complianceabteilung, Integritäts-, Rechts- oder Datenschutzbeauftragte der Unternehmen sowie externe Berater oder Prüfer genannt.

Die mit der Bearbeitung der Meldungen betrauten Personen müssen für diese Aufgabe besonders geschult werden. Es muss sichergestellt sein, dass sie mit den eingerichteten Systemen vertraut sind und so eine effiziente Bearbeitung und Kommunikation mit dem Hinweisgeber gewährleistet ist. Zudem ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit den geltenden Datenschutzvorschriften zwingend.

Es dürfen keine Interessenskonflikte mit ihren anderen Aufgaben bestehen. In größeren Unternehmen empfiehlt es sich daher, Personen exklusiv für diese Aufgaben einzusetzen. Das Hinweisgebersystem ist so auszugestalten, dass sowohl schriftliche als auch mündliche Meldungen möglich sind. Zudem können Online-Systeme eingerichtet werden. Auf Wunsch des Hinweisgebers ist auch ein persönliches Gespräch zu ermöglichen. Die Meldungen sind umfassend zu dokumentieren. Nach Abschluss des Verfahrens müssen die erfassten Daten alle gelöscht werden. Bemerkenswert ist, dass keine Möglichkeit zur Abgabe anonymer Hinweise geschaffen werden muss.

Benachteiligungsverbot stellt Arbeitgeber vor Herausforderungen

Zusätzlich stellt das Benachteiligungsverbot mit der Beweislastumkehr die Arbeitgeber vor Herausforderungen: Wird ein Hinweisgeber dem Arbeitgeber bekannt, steht jede künftige Abmahnung oder Kündigung unter dem Verdacht, durch den Hinweis bedingt zu sein. Ein missbräuchlich handelnder Hinweisgeber kann sich darauf beschränken, das absolute Minimum zu leisten – eine verhaltensbedingte Kündigung wird nur schwer durchzusetzen sein.

Das ist insbesondere mit Blick auf den erweiterten Anwendungsbereich auf bußgeldbewährtes deutsches Rechts bedenklich: Meldet ein Arbeitnehmer beispielsweise einen einfachen Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz, weil ihm eine Mittagspause nicht rechtzeitig gewährt wurde, ist jede für ihn nachteilige Maßnahme verdächtig, eine Repressalie zu sein.  

Problematisch gestaltet sich das Regelungsvorhaben auch unter einem weiteren Gesichtspunkt: Der so zu erlangende Schutz des Arbeitnehmers könnte diesen in Versuchung bringen, aus eigenem Vorteil geheimhaltungsbedürftige Unternehmensvorgänge auch in unbegründeten Fällen an die Öffentlichkeit zu tragen.

Bindung des Gesetzgebers durch die Richtlinie

Der Gesetzesentwurf setzt die Richtlinie im Wesentlichen unverändert um. Ausgeweitet wird der Anwendungsbereich: Neben Verstößen gegen Unionsrecht werden auch nationale Straf- und Bußgeldvorschriften erfasst. Die Anwendung des Gesetzes auf Verstöße gegen deutsches Recht ist ein konsequenter Schritt zur Vereinheitlichung des Schutzes von Hinweisgebern.

Dadurch, dass in Deutschland viele Gesetze durch Ordnungswidrigkeiten abgesichert werden, ergibt sich aber ein großes Missbrauchspotential durch die Meldung geringer Verstöße zur Erlangung des Hinweisgeberschutzes. Eine weitere überschießende Umsetzung ist die Schulungspflicht für die Arbeitnehmer, die die Meldekanäle betreuen.

Bewertung: Belastung durch Bürokratie - Chance bei Anonymität

Das Gesetz – sollte der Entwurf umgesetzt werden – bürdet Unternehmen und Behörden die Aufgaben auf, interne Meldestellen mit dafür geschulten Beschäftigten zu betreiben. Diese Regelung belastet insbesondere mittelgroße und kleine Unternehmen, in denen solche Strukturen in der Regel noch nicht bestehen. Die Umsetzung muss zudem bei Unternehmen mit über 250 Beschäftigten bis zum 17. Dezember 2021 erfolgen – keine lange Zeit zur Einrichtung von Meldestellen, vor allem wenn die Gesetzesverkündung noch auf sich warten lässt.

Andererseits kann das Gesetz bei wohlüberlegter Anwendung eine Chance bieten, die Hinweise in den internen Meldestellen zu erhalten: Die externen Meldestellen sind nicht verpflichtet, anonymen Hinweisen nachzugehen. Da viele potenzielle Hinweisgeber diese vorziehen, kann ein Arbeitgeber, der – über die Verpflichtung hinausgehend – anonyme Hinweise durch digitale Kanäle ermöglicht, die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass intern, ohne staatlichen oder öffentlichen Druck, Probleme behoben werden.

Der Vorteil einer internen Abwicklung liegt auf der Hand: Kein Unternehmer kann wollen, dass etwaige oder auch nur behauptete Verstöße zu staatlichen Kontrollen führen oder dass der Unternehmensname in künftigen Veröffentlichungen auf Wikileaks oder in der Boulevardpresse auftaucht. Ein weiterer Vorteil der Anonymität: Der Arbeitgeber steht bei einer zukünftigen Benachteiligung des Hinweisgebers nicht im durch die Beweislastumkehr gestützten Verdacht, diesen benachteiligt zu haben.

Natürlich wird – und so will es der Gesetzgeber auch – das Gesetz verstärkt Meldungen von Arbeitnehmern motivieren. Ob so ein System wirklich wünschenswert ist, wird nicht jeder gleich beurteilen. Daher unsere Empfehlung: Die Meldestelle vorbereiten und eine Strategie entwickeln, um alle etwaigen Hinweise in der internen Meldestelle zu empfangen.

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