Wiedereingliederung - Schadensersatzpflicht bei Verzögerung

Kommen Arbeitgeber dem Wunsch nach Wiedereingliederung nicht nach, droht ihnen eine Schadensersatzpflicht.

LAG-Brandenburg, Urteil vom 23.05.2018 – 15 SA 1700/17

Sachverhalt:
Die Klägerin ist beim beklagten Land als Lehrerin angestellt; sie ist schwerbehindert. In 2013 erkrankte die Klägerin und war ca. 1,5 Jahre arbeitsunfähig. Im Januar 2015 beantragte sie die Durchführung einer Wiedereingliederung. Hierzu legte sie eine ärztliche Bescheinigung vor, wonach sie ab Ende März 2015 wieder voll arbeitsfähig sein sollte. Das beklagte Land lehnte die Wiedereingliederung aber ab. Erst nach einem zweiten Anlauf der Klägerin schlossen die Parteien einen Vertrag über die Wiedereingliederung. Danach startete die Klägerin dann im April 2015 – statt wie anfangs gewollt im Januar – mit zehn Unterrichtsstunden pro Woche und stockte dann bis Mitte Mai 2015 auf Vollzeit auf. Die Klägerin erhielt während der Wiedereingliederung eine Vergütung nur pro rata für ihre anfangs reduzierte Arbeitszeit. Die Klägerin verlangte daraufhin Schadensersatz für die Vergütung, die ihr aufgrund der erst verspäteten Wiedereingliederung entgangen sei.

Entscheidung:
Das LAG gab der Klage statt (§§ 280 Abs.1 BGBG und § 823 Abs.2 BGB iVm § 81 Abs.4 Satz 1 SGB IX a.F.). Es ging von folgender Annahme aus: Wenn schwerbehinderte Arbeitnehmer ihre ursprünglich geschuldete Leistung nicht mehr erbringen können, können sie eine anderweitige Tätigkeit verlangen. Das gilt auch im Rahmen einer Wiedereingliederung. Erforderlich ist daher eine ärztliche Bescheinigung mit folgenden Angaben: (i) die Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, (ii) Einschränkungen, (iii) Umfang der Arbeitszeit, (iv) die Dauer der Maßnahme sowie (v) eine Prognose, wann die volle Wiederaufnahme der Tätigkeit voraussichtlich erfolgen kann. Genaue Stufen der Wiedereingliederung müssen dagegen nicht definiert sein. Ein Schadensersatzanspruch besteht, wenn der Arbeitgeber – bei Vorliegen einer solchen ärztlichen Bescheinigung – schuldhaft die Wiedereingliederung versäumt. Der Schadensersatzanspruch entspricht der Höhe der entgangenen Vergütung. Der Anspruch des Arbeitnehmers unterliegt aber Grenzen: Der Arbeitgeber hat keine Pflicht zur Wiedereingliederung, wenn diese für ihn unzumutbar oder unverhältnismäßig ist. Hierzu hatte das beklagte Land im Fall aber gerade nichts vorgetragen.

Folgen für die Praxis:

Bei der Wiedereingliederung ist zu trennen zwischen (i) schwerbehinderten Arbeitnehmern und (ii) vorübergehend erkrankten anderen Arbeitnehmern.

Nur schwerbehinderte Arbeitnehmer haben einen echten Anspruch auf Wiedereingliederung. Es drohen empfindliche Schadensersatzforderungen, wenn der Arbeitgeber sich weigert (s.o.).

Vorübergehend (mind. 6 Wochen am Stück) erkrankte  Arbeitnehmer können ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) verlangen. Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, ein BEM durchzuführen. Vielmehr ist eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nötig; für beide Seiten gilt das Prinzip der Freiwilligkeit. Aber Vorsicht: Kein oder ein nur ungenügendes BEM können zur Falle im Kündigungsschutzprozess werden. Der Arbeitgeber muss darlegen, dass ein BEM nicht erfolgreich gewesen wäre oder dass ein BEM gescheitert ist.

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