Neue Vergabeart: EuGH entscheidet über Open-House-Verträge

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit Urteil vom 2. Juni 2016 über das Vorabentscheidungsersuchen des Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG Düsseldorf) zu sogenannten Open-House-Verträgen entschieden und diese nunmehr dem Anwendungsbereich des klassischen Vergaberechts entzogen. Diese Entscheidung ist von enormer praktischer Reichweite.
 
Bei sog. Open-House-Verträgen handelt es sich um ein Konstrukt, bei dem der öffentliche Auftraggeber aus wirtschaftlichen und/oder (gerade im Gesundheitsbereich) Compliancegründen nicht nur mit einem oder einer von Anfang an bestimmen Anzahl von Unternehmen einen Liefer- oder Dienstleistungsvertrag abschließen, sondern zu vorher vorgegebenen Konditionen mit allen interessierten Unternehmen kontrahieren will. In dem vom EuGH zu entscheidenden Fall wollte eine Krankenkasse so z. B. nicht durch eine Ausschreibung eine Festlegung hin zur Versorgung von Arzneimitteln nur durch ein Unternehmen bezwecken, sondern mit allen Unternehmen Lieferverträge schließen, die bestimme vertragliche 
Bedingungen einhalten und den vorgegebenen Preis akzeptieren.

Die vom EuGH zu beantwortende Frage war, ob es sich bei diesem Vertrag um einen öffentlichen Auftrag handelt und er daher nach den Regeln des klassischen Vergaberechts auszuschreiben ist.

Dies hat der EuGH aus folgenden Gründen verneint:

  • Sinn und Zweck des (europäischen) Vergaberechts ist die Vermeidung der Bevorzugung einheimischer Bieter oder Bewerber.
  • Diese Bevorzugung ist eng mit der Auswahl bestimmter Unternehmen verbunden, welche sodann durch den Auftrag ein 
    Ausschließlichkeitsrecht erhalten.
  • Strebt ein Auftraggeber an, gerade kein Unternehmen exklusiv auszuwählen, sondern steht jedem Interessierten ein Recht zum Vertragsschluss zu, so müssen die präzisen Vergaberegularien nicht angewendet werden.
  • Im Ergebnis handelt es sich daher immer nur dann um einen öffentlichen (auszuschreibenden) Auftrag, wenn der Auftraggeber eine Auswahlentscheidung trifft.

Bei dem Vertrag handelt es sich nach Auffassung des EuGH auch nicht um einen auszuschreibenden Rahmenvertrag. Denn von dem klassischen Rahmenvertrag unterscheidet sich das Open-House-Modell dadurch, dass auch während der Vertragsphase ein Beitritt zu gleichen Bedingungen ermöglicht wird und daher anders als bei Rahmenverträgen nach Art. 32 Abs. 2 UA 2 der RL 2004/18 die potentiellen Vertragspartner nicht von vornherein feststehen.

Folgen des Urteils sind unserer Auffassung nach:

  • Keine Ausschreibungspflicht von Open-House-Verträgen, da es sich nicht um einen öffentlichen Auftrag handelt und damit auch kein vergaberechtlicher Rechtsschutz, zumindest in Deutschland, möglich ist.
  • Open-House-Modelle sind nur zulässig, wenn:
  • Der öffentliche Auftraggeber die vorgegebenen Bedingungen (wie auch den Preis) vorher nicht mit Unternehmen verhandelt, sondern frei bestimmt
  • Die Absicht des Vertragsabschlusses und auch den nachträglichen Beitritt zumindest bei Binnenmarktrelevanz europaweit bekanntmacht (ted.eu)
  • Die Bedingungen für den Vertragsabschluss und Beitritt transparent und diskriminierungsfrei sind
  • Anwendung des Modells auch außerhalb des Gesundheitswesens.
    Der Auftraggeber wird allerdings zu entscheiden haben, ob er meint durch ein Open-House-Modell seinen Bedarf wirtschaftlicher und effizienter beschaffen zu können, als bei klassischen Vergaben. Die Auswahl unter den beigetretenen Vertragspartnern stellt keinen eigenen öffentlichen Auftrag mehr da, sondern ist unter dem einmal bekanntgemachten Modell vergabefrei. Hierzu wird es allerdings wohl die größten Rechtsstreitigkeiten geben. Zwar kein vergaberechtlicher Rechtsschutz – es bleibt aber bei der Möglichkeit diese Verträge auf ihre Vereinbarkeit mit dem EU Primärrecht und weiteren rechtlichen Vorgaben (Vertragsrecht/Kartellrecht/Sozial- und Preisrecht) zu überprüfen.

Das von Bird & Bird LLP unter der Federführung von Dr. Alexander Csaki als Mitglied der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht für den öffentlichen Auftraggeber entwickelte Modell steht ab sofort somit allen öffentlichen Auftraggebern als weitere Beschaffungsvariante zur Verfügung. Es ist in seiner Anwendung wohl immer dann von Bedeutung, wenn öffentliche Auftraggeber leicht zu beschreibende Standardgüter beschaffen wollen oder die Beschaffung nicht für den Auftraggeber selbst, sondern Dritte (Patienten/ Ärzte/ Sozialversicherungsnehmer, etc.). erfolgt. In Fällen, in denen der Auftraggeber einen besonders günstigen Preis erzielen will, wird die klassische Vergabe meist das wirtschaftlichere Ergebnis erzielen.

Für weitere Fragen und sehr praxisnahe Inhouse-Schulungen zu den brandaktuellen Entwicklungen des am 18.04.2016 komplett reformierten deutschen Vergaberechts, stehen wir Ihnen sehr gerne zur Verfügung. 

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