Das betriebliche Eingliederungsmanagement - Chance oder Last?

Hinweise zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM), insbesondere vor dem Hintergrund krankheitsbedingter Kündigungen oder Versetzungen

Ist ein Mitarbeiter immer wieder für kürzere Zeitabstände oder auch dauerhaft erkrankt, ziehen Arbeitgeber häufig eine personenbedingte - krankheitsbedingte - Kündigung in Betracht. Eine solche ist keineswegs ausgeschlossen oder per se unwirksam. Allerdings stellt das Bundesarbeitsgericht hinsichtlich solcher Kündigungen sehr hohe Hürden auf.

Eine besondere Rolle spielt dabei regelmäßig auch das - im Rahmen der durch das Gericht vorgenommenen Abwägung der Interessen des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers Berücksichtigung findende - betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM). Dieses findet sich normiert in § 84 SGB IX und wurde durch den Gesetzgeber 2004 mit dem Ziel eingeführt, einen Rahmen zu schaffen, in dem Möglichkeiten zu erörtern sind, wie eine bestehende Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann.

Das betriebliche Eingliederungsmanagement

Gem. § 84 SGB IX soll, sofern ein Beschäftigter bereits länger als sechs Monate für den Arbeitgeber tätig und innerhalb eines Jahres (wobei ein Zeitraum von 365 Tagen und nicht das Kalenderjahr gemeint ist) länger als 6 Wochen erkrankt (unabhängig davon, ob es sich um eine Langzeit- oder immer wiederkehrende Kurzerkrankungen handelt) ist, ein betriebliches Eingliederungsmanagement stattfinden. Das Gesetz knüpft die Durchführung dessen dabei nicht an eine bestimmte Zahl von Mitarbeitern, weshalb auch Kleinbetriebe dazu angehalten sind, ein BEM durchzuführen. Ebenfalls keine Voraussetzung ist die Existenz eines Betriebsrates. Besteht allerdings ein Betriebsrat, so ist dieser zu beteiligen. Bei schwerbehinderten oder diesen gleichgestellten Arbeitnehmern sind außerdem die Schwerbehindertenvertretung und ggf. das Integrationsamt zu beteiligen. Zudem ist bei Durchführung eines BEM - soweit vorhanden und erforderlich - der Werks-/Betriebsarzt hinzuzuziehen.

Allerdings ist all dies nur möglich, wenn der Mitarbeiter auch seine Zustimmung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements gibt. Damit er dahingehend eine fundierte Entscheidung treffen kann (es besteht insofern keine Mitwirkungspflicht, sondern allenfalls eine Obliegenheit), muss der Arbeitgeber das BEM ordnungsgemäß einleiten, indem er den Arbeitnehmer insbesondere über dessen Ziele, sowie Art und Umfang der erhobenen und gespeicherten Daten unterrichtet. Auch der Hinweis, dass eine Ablehnung des Arbeitnehmers am BEM teilzunehmen nachteilige Auswirkungen haben kann, sollte - insbesondere zur Vorbereitung einer etwaigen Kündigung - standardmäßig in jedem Falle erfolgen.

Dies bedeutet konkret, dass dem Mitarbeiter verdeutlicht werden muss, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann bzw. soll. Daneben ist, wie oben angedeutet, ein ausdrücklicher Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes BEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss hierzu mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten als sensible Daten erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden (siehe auch Newsletter Arbeitsrecht April 2016).

Als Ergebnis eines solchen betrieblichen Eingliederungsmanagements sind verschiedene Ausgänge denkbar. So kann es zur Einholung eines medizinischen Gutachtens oder zur Versetzung bzw. Schaffung eines leidensgerechten Arbeitsplatzes führen. Ebenso denkbar ist es, dass das BEM zu der Erkenntnis führt, dass die individuelle Arbeitszeit des Betroffenen geändert werden muss oder , dass es keine Möglichkeiten gibt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers zu überwinden oder künftig zu vermeiden (negatives Ergebnis). Ferner ist es möglich, dass der Arbeitnehmer sich einem betrieblichen Eingliederungsmanagement von vornherein verweigert.

Sofern das BEM jedoch zu einem positiven Ergebnis geführt hat und eine entsprechend geänderte Weiterbeschäftigung möglich erscheint, ist der Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, die empfohlene Maßnahme durchzuführen.

Kündigungsschutzprozess im Anschluss an ein durchgeführtes oder unterlassenes BEM, sowie andere arbeitsrechtliche Maßnahmen (Versetzung)

In einem Rechtsstreit, in dem über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung gestritten wird, ist das betriebliche Eingliederungsmanagement keine - wie häufig angenommen - formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personenbedingte Kündigung aus krankheitsbedingten Gründen, sondern wirkt sich je nach Ausgang entscheidend auf die Darlegungs- und Beweislast der Parteien aus. So steht es einer Kündigung nicht entgegen, dass kein BEM durchgeführt wurde, falls diese auch bei ordnungsgemäßer Durchführung eines solchen nicht hätte verhindert werden können.

Wie angedeutet ändert sich jedoch die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen eines etwaigen Kündigungsschutzprozesses entscheidend: Das BEM wird dabei insbesondere bei der Konkretisierung des Ultima-Ratio-Grundsatzes relevant. Dieser besagt, dass die Kündigung des Arbeitsverhältnisses stets das letzte Mittel sein muss und etwaige mildere Mittel vorher sorgfältig zu prüfen sind. Sofern der Arbeitgeber also kein BEM (welches konkrete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten und mögliche Änderungen der Arbeitsbedingungen sorgfältig evaluiert) durchgeführt hat - bzw. dieses nicht angeboten hat -, kann er sich in einem Prozess nicht pauschal darauf berufen, ihm seien keine alternativen, der Erkrankung angemessenen Einsatzmöglichkeiten bekannt.

Andererseits hingegen, sofern ein ordnungsgemäßes BEM zu einem negativen Ergebnis geführt hat (also zu der Erkenntnis, es bestünden keine angemessenen, leidensgerechten Einsatzmöglichkeiten für den Arbeitnehmer), oder der Arbeitnehmer dem regelkonform angebotenen BEM gar nicht erst zugestimmt hat, genügt der Arbeitgeber seiner diesbezüglichen Darlegungslast in einem Kündigungsschutzprozess, wenn er auf diesen Umstand hinweist und pauschal vorträgt, es bestünden keine weiteren Beschäftigungsmöglichkeiten. Sodann ist es Sache des Arbeitnehmers im Einzelnen darzulegen, dass es entgegen des Ergebnisses des betrieblichen Eingliederungsmanagements weitere Alternativen gibt, die entweder trotz Erwähnung nicht behandelt worden sind oder sich erst nach dessen Abschluss ergeben haben.

Zuletzt entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG v. 18.10.2017 - Az.: 10 AZR 47/17) im Hinblick auf das betriebliche Eingliederungsmanagement, dass dieses auch keine Voraussetzung für eine Versetzung nach einer Krankheit darstellt. Damit verdeutlicht das BAG erneut, dass ein BEM keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung arbeitsrechtlicher Maßnahmen ist, sondern solche lediglich (oftmals entscheidend) beeinflussen kann.

Im zu entscheidenden Fall hielt ein Arbeitnehmer seine Versetzung von Nacht- in Wechselschicht für unwirksam, da der Arbeitgeber bei einer Versetzung, die (u.a. auch) auf gesundheitliche Gründe gestützt war, zuvor ein betriebliches Eingliederungsmanagement hätte durchführen müssen. Das BAG stellte jedoch klar, dass bei einer solchen Weisung des Arbeitgebers maßgeblich ist, ob diese billigem Ermessen im Sinne der §§ 106 S.1 GewO, 315 Abs. 1 BGB entspricht (siehe hierzu auch Newsletter Arbeitsrecht November 2017), wobei insgesamt auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen ist.

Empfehlungen

Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist also nicht stets zwingend erforderlich, wenn es in einem Arbeitsverhältnis zu Spannungen oder Veränderungen aufgrund oder infolge von Krankheit kommt, wenngleich es sich zumeist dennoch empfiehlt. Sollte sich ein Arbeitgeber dazu entschließen, ein BEM (insbesondere im Hinblick auf eine Kündigung) durchzuführen, so sollte dies zum einen ordnungsgemäß unter Einschluss aller Beteiligten und mittels sorgfältiger Prüfung der möglichen Maßnahmen und Ziele geschehen. Zum anderen sollte jeder Schritt gründlich dokumentiert werden, denn auf ein fehlerhaft durchgeführtes BEM kann sich ein Arbeitgeber nicht berufen. Dabei muss auch auf die Einhaltung ordnungsgemäßer Formalien und Dokumentationen großer Wert gelegt werden, da z.B. bereits ein fehlerhaftes Einladungsschreiben (welches nicht auf die datenschutzrechtlichen Aspekte zur Erhebung und Verwendung der Arbeitnehmer-/Krankendaten hinweist) einer ordnungsgemäßen Einladung zum BEM und seiner entsprechend positiven Verwendung in einem späteren Prozess entgegenstehen können.

Insbesondere vor einer beabsichtigten krankheitsbedingten Kündigung sollte, in Anbetracht der strengen Rechtsprechung, ein BEM immer angeboten und durchgeführt werden. Dabei können auch und gerade Personen im Krankenstand angeschrieben werden und entsprechende Versuche, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, unternommen werden. Ein BEM ist hierbei im Übrigen mehr als ein bloßes Krankenrückkehrgespräch und sollte dementsprechend hiervon unterschieden werden.

Hingegen erscheint die Durchführung eines BEM im Falle anderer Maßnahmen, wie einer Versetzung, jedenfalls nicht zwingend, wenngleich auch hier bei der gebotenen Interessenabwägung die Möglichkeiten des BEM berücksichtigt werden.

Abschließend ist hervorzuheben, dass das Anbieten eines betrieblichen Eingliederungsmanagements durchaus auch als Chance anzusehen ist, ein gestörtes Arbeitsverhältnis wieder lebensfähig zu machen oder letztendlich auch, um einen Mitarbeiter insoweit aus der Reserve zu locken, da der Mitarbeiter im Rahmen des BEM selbst mögliche Alternativen explizit aufzeigen muss oder anderenfalls dokumentiert werden kann, dass es keine geeigneten Einsatzmöglichkeiten (mehr) gibt. Dies wiederum würde dem betroffenen Arbeitgeber in einem möglichen Kündigungsverfahren helfen.

Unabhängig vom Verhalten des Mitarbeiters wird durch offensives Anbieten eines BEM zudem (ggf. erneut) verdeutlicht, dass sich der Arbeitgeber als bemühter und aktiver Part darstellt und alle verfügbaren Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

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