Die Europäische Union stellt Arbeitgeber vor neue Herausforderungen. Mit der Entgelttransparenz-Richtlinie und der Plattformrichtlinie müssen in 2026 zwei Richtlinien umgesetzt werden, die für mehr Fairness am Arbeitsmarkt sorgen sollen. Zugleich bedeuten sie für Unternehmen aber erheblichen Anpassungsbedarf.
Noch immer liegt die Gender Pay Gap in der EU bei rund 13 Prozent und in Deutschland sogar bei 18 Prozent. Hier soll die Entgelttransparenz-Richtlinie ansetzen, die im Juni 2023 verabschiedet worden ist und bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umgesetzt werden soll. Hierdurch sollen Arbeitgeber verpflichtet werden, Gehaltsspannen transparent zu machen und objektive Kriterien für Gehaltsentwicklungen offenzulegen. Beschäftigte sollen ein umfassenderes Auskunftsrecht erhalten, ohne dass wie bisher Mindestgrößen von Vergleichsgruppen bestehen. Zusätzlich sollen Berichtspflichten Arbeitgeber zur regelmäßigen Offenlegung des Entgeltgefälles zwischen den Geschlechtern verpflichten. Diese sind nach Unternehmensgröße gestaffelt. Unternehmen mit mindestens 250 Arbeitnehmern müssen demnach ab dem 7. Juni 2027 jährlich berichten, während Unternehmen mit 150 bis 249 Arbeitnehmern alle drei Jahre zur Berichterstattung verpflichtet sind. Für kleinere Unternehmen mit 100 bis 149 Arbeitnehmern beginnt die Berichtspflicht erst 2031 mit dreijährlichen Intervallen. Zeigen die Berichte ein Lohngefälle von über 5 %, müssen die Unternehmen aktiv werden und gemeinsam mit der Arbeitnehmervertretung das Problem angehen. Verstöße können teuer werden. Bei geschlechterspezifischer Lohndiskriminierung, also einer ungleichen Entlohnung für gleichwertige Tätigkeiten, kehrt sich die Beweislast zulasten der Arbeitgeber um. Diese müssen dann mit umfassenden Schadensersatzforderungen rechnen, welche auch die vollständige Erfüllung rückständiger Vergütungsansprüche umfassen. Zusätzlich können die Mitgliedstaaten weitere wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängen, deren konkrete Ausgestaltung in ihrem Ermessen liegt
Der Retail- Sektor steht vor besonderen Hürden. Recruiter dürfen Bewerber künftig nicht mehr nach dem bisherigen Gehalt fragen und müssen Einstiegsgehälter oder Gehaltsspannen offenlegen. Hinzu kommt: Ohne eine Mindestgröße für Vergleichsgruppen sind in Handelsketten mit vielen ähnlichen Positionen zahlreiche Auskunftsanfragen zu erwarten. Besonders komplex ist zudem der Umgang mit variablen Vergütungselementen wie Provisionen und Boni, die vollständig bilanziert und transparent dargestellt werden müssen. Für große, insbesondere international agierende Unternehmensgruppen bzw. Ketten mit dezentralen Strukturen bedeutet das, Gehaltsdaten zentral zu erfassen und konsistent auszuwerten – ein erheblicher Aufwand angesichts hoher Fluktuation und vielfältiger Stellenprofile.
Auch die parallel zu implementierende Plattformrichtlinie aus dem Jahr 2024, greift tief in die Praxis ein. Plattformarbeit – etwa bei Lieferando oder Uber – bewegt sich bislang oft in einer rechtlichen Grauzone zwischen Selbstständigkeit und abhängiger Beschäftigung. Sie bezeichnet das Verteilen von Arbeitsaufträgen durch eine digitale Arbeitsplattform an einzelne externe Beschäftigte. Die Richtlinie stellt nun eine Vermutung auf: Wenn eine Plattform die wesentlichen Arbeitsbedingungen, wie die Vergütung oder Arbeitszeiten, bestimmt, liegt ein Arbeitsverhältnis vor. Hinzu kommen strenge Vorgaben für den Einsatz von Algorithmen. Digitale Plattformen müssen künftig offenlegen, wie automatisierte Systeme über Zuweisung von Aufträgen, Vergütung oder auch Kündigungen entscheiden. Damit erhalten Plattformtätige nicht nur mehr Transparenz, sondern auch Zugang zu Sozialversicherung, Kündigungsschutz und Entgeltfortzahlung.
Für den Handel ist die Plattformrichtlinie nur bei hybriden Geschäftsmodellen mit eigenen Lieferdiensten relevant, nicht aber für reine Verkaufsplattformen wie Amazon. Für Plattformanbieter kann dies erhebliche Kosten und eine grundlegende Neubewertung ihrer Vertragsmodelle bedeuten.
Beide Richtlinien markieren einen Paradigmenwechsel: mehr Rechte für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, mehr Pflichten für Arbeitgeber. Unternehmen sollten deshalb frühzeitig ihre Vergütungs- und Vertragsstrukturen prüfen, Prozesse anpassen und ihre Compliance stärken. Andersfalls drohen Schadensersatzansprüche oder gar Haftung für Ordnungswidrigkeiten. Wer frühzeitig handelt, minimiert rechtliche Risiken und stärkt gleichzeitig seine Attraktivität als Arbeitgeber.