Gerichtsstandsvereinbarungen legen fest, welches Gericht über einen Rechtsstreit entscheidet. Klauseln zu Gerichtsständen finden in Verträgen und AGB häufig – zu Unrecht – wenig Beachtung. Denn kommt es zu einem Rechtsstreit zwischen den Vertragsparteien, erlangen Gerichtsstandsvereinbarungen überragende Bedeutung und können so über Erfolg oder Misserfolg mitentscheiden.
Eine Gerichtsstandsvereinbarung entfaltet ihre Wirkung nur dann, wenn sie wirksam ist. Ist die Klausel unwirksam, kann dies dazu führen, dass eine Vertragspartei den Rechtsstreit vor einem anderen Gericht führen muss als ursprünglich beabsichtigt. Dies ist umso problematischer, wenn es sich um eine grenzüberschreitende Vertragsbeziehung handelt, weil dann Gerichte heimatfremder Staaten zuständig sein können und die in Sachverhalten mit Auslandsbezug häufig relevante Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 („Brüssel Ia-VO“) anders als die deutsche Zivilprozessordnung keinen Verweisungsmechanismus kennt.
Der EuGH hat sich in einer vor kurzem veröffentlichten Entscheidung (Urt. v. 27.2.2025 – C-537/23) mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen sog. asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen wirksam sind. Eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung liegt vor, wenn eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht nur einen ausschließlichen Gerichtsstand bestimmt, sondern zusätzlich einer der Parteien die Option einräumt, Klage vor jedem anderen zuständigen Gericht zu erheben. Asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen sind im Rechtsverkehr zwischen Unternehmern verbreitet, insbesondere in AGB.
Maßgebliche Bestimmung für die Beurteilung der Wirksamkeit von asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarungen in Sachverhalten mit Auslandsbezug ist nicht nationales deutsches Recht, sondern Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO, wenn die Gerichtsstandsvereinbarung die Zuständigkeit eines Gerichts oder der Gerichte eines EU-Mitgliedsstaats begründen soll. Das ist beispielsweise der Fall, wenn ein Liefervertrag zwischen einem deutschen Unternehmen und seinem italienischen Lieferanten als Gerichtsstand Stuttgart festlegt. Der notwendige Auslandsbezug wird vom EuGH sehr weit verstanden, was zu einem großen Anwendungsbereich von Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO führt.1
Der BGH hat eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung im Kontext einer individuellen Parteivereinbarung für unbedenklich erachtet.2 Auch das OLG München bestätigte kürzlich, dass eine asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung auch in AGB getroffen werden kann. Unwirksam sei lediglich eine Vereinbarung, die selbst keine Kriterien für das Gericht oder die Gerichte enthält, die zuständig sein sollen, und nur festlegt, dass eine Partei einseitig und beliebig das zuständige Gericht bestimmen kann.3
Der Entscheidung des EuGH lag ein Liefervertrag zwischen einem französischen und einem italienischen Unternehmen („SIL“) zugrunde. Der Liefervertrag sah folgende asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarung vor:
„Das Gericht Brescia [(Italien)] ist für jeden Rechtsstreit zuständig, der aus oder in Zusammenhang mit dem vorliegenden Vertrag entsteht. (SIL) behält sich die Möglichkeit vor, gegen den Käufer vor einem anderen zuständigen Gericht in Italien oder im Ausland vorzugehen.“
Der EuGH stellt klar, dass die Inhaltskontrolle einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung im Anwendungsbereich der Brüssel Ia-VO anhand eigenständiger Kriterien des Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO und nicht anhand nationalen Rechts erfolge. Die in Art. 25 Abs. 1 S. 1 der Brüssel Ia-VO vorgesehene Ausnahme der (nach nationalem Recht zu beurteilenden) materiellen Nichtigkeit sei restriktiv auszulegen. Folge: Ist deutsches Recht anwendbar, bleibt für eine weitergehende Inhaltskontrolle nach deutschem AGB-Recht kein Raum.
Im Einklang mit deutschen Gerichten hat der EuGH entschieden, dass asymmetrische Gerichtsstandsvereinbarungen zwar grundsätzlich nach Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO wirksam seien. Erforderlich für die Wirksamkeit einer asymmetrischen Gerichtsstandsvereinbarung ist aber, dass die Klausel
Gerade die Beschränkung des Wahlrechts auf Gerichte von EU-Mitgliedstaaten oder Übereinkommensstaaten des Lugano-II-Übereinkommens4 ist bei der in Rede stehenden Gerichtsstandsvereinbarung problematisch, da diese von „einem anderen zuständigen Gericht … im Ausland“ spricht.
Kann eine Gerichtsstandsvereinbarung so ausgelegt werden, dass sie auch die Vereinbarung von Gerichten außerhalb der EU- und Lugano-II-Staaten umfasst, so ist die Klausel unwirksam.
Die Entscheidung ist für die Vertragspraxis von enormer Bedeutung, da sich der Großteil der von Unternehmen verwendeten Gerichtsstandsvereinbarungen an Art. 25 Abs. 1 der Brüssel Ia-VO messen lassen muss. Insbesondere bei der vom EuGH hervorgehobenen Beschränkung des einseitigen Wahlrechts auf Gerichte von EU-Mitgliedstaaten oder Lugano-II-Übereinkommensstaaten handelt es sich um eine sehr wesentliche Einschränkung, die bei der Gestaltung von Gerichtsstandsvereinbarungen zukünftig zu berücksichtigen ist.
Unternehmen sollten die Entscheidung zum Anlass nehmen, ihre in Verträgen und AGB verwendeten Gerichtsstandsvereinbarungen zu überprüfen. In diesem Zusammenhang sollten auch alternative Streitbeilegungsmechanismen (z.B. Schiedsklauseln) abweichend oder ergänzend zur Streitentscheidung durch staatliche Gerichte in Betracht gezogen werden
[1] EuGH, Urt. v. 29.7.2024 – C-774/22, EuZW 2024, 967, 968 – FTI Touristik; EuGH, Urt. v. 8.2.2024 – C-566/22, EuZW 2024, 262, 263 f. – Inkreal.
[2] BGH, Beschl. v. 15.6.2021 – II ZB 35/20, NZG 2021, 1083, 1087 f.
[3] OLG München, Beschl. v. 12.12.2024 – 19 U 1449/24e, BKR 2025, 417, 419; so bereits auch OLG Hamm, Urt. v. 20.9.2005 – 19 U 40/05, BeckRS 2005, 11962.
[4] Die Lugano-II-Übereinkommensstaaten sind neben den EU-Mitgliedsstaaten die Schweiz, Island und Norwegen.