Der einstmals hochgeschätzte Gerichtsstandort Deutschland steht seit Jahren unter Druck. Nicht zuletzt die Flut von Massenverfahren (wie zum Beispiel den abertausenden von Diesel-Klagen) sowie die Verwendung von Englisch als internationale Wirtschaftssprache haben deutsche Gerichte in den letzten Jahrzehnten immer weniger attraktiv erscheinen lassen. Viele Mandanten beunruhigt die teilweise lange Verfahrensdauer, mangelnde (fremdsprachliche) Flexibilität und fachliche Spezialisierung. Gerade bei Streitigkeiten in laufenden Geschäftsbeziehungen wollen die Parteien meist eine schnelle Entscheidung. Oftmals wurden private Schiedsgerichte als Alternative mit der Entscheidung betraut. Im Hinblick auf eine geordnete Rechtsfortbildung und Rechtssicherheit ein durchaus problematischer Trend. Seit April 2025 begannen nunmehr aber mehrere Bundesländer, unmittelbar sog. Commercial Courts (an den Oberlandesgerichten) und Commercial Chambers (an den Landgerichten) einzurichten. Hintergrund ist das Justizstandort-Stärkungsgesetz, durch das die staatliche Gerichtsbarkeit für größere internationale Wirtschaftsstreitigkeiten attraktiver gemacht werden soll, indem die Vorzüge aus staatlicher Gerichtsbarkeit (etwa der gesetzliche Richter, verfügbare Strukturen, günstigere Kostenstruktur) mit einigen Vorzügen von Schiedsgerichten (Verhandlung in englischer Sprache, verkürzter oder kein Instanzenzug) kombiniert werden.
Commercial Courts sind keine neuen Gerichte, sondern spezialisierte Senate an den Oberlandesgerichten. Sie können erstinstanzlich über komplexe Wirtschaftsstreitigkeiten mit Streitwerten ab 500.000 Euro entscheiden. Außerdem werden sie innerhalb zugewiesener Sachgebiete in Berufungs- und Beschwerdeverfahren tätig. Die Länder können bestimmte Zivilkammern und Kammern für Handelssachen an Landgerichten als Commercial Chambers bestimmen.
Bislang sind in neun Bundesländern Commercial Courts und Commercial Chambers angekündigt oder bereits eingerichtet. Am Kammergericht Berlin wurde der Commercial Court für Bau- und Architektenverträge sowie Ingenieurverträge eingerichtet und in Bremen der Hanseatic Commercial Court for Aerospace, Logistics and Maritime Trade. Auch in Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf hat man bereits Commercial Courts und Commercial Chambers errichtet. In Celle, Frankfurt am Main, Dresden und München sollen Commercial Courts und Commercial Chambers folgen.
Erstinstanzlich besteht für die Zuständigkeit der Commercial Courts eine Streitwertschwelle von 500.000 Euro, ferner ist eine Beschränkung auf bestimmte Sachgebiete und die Einwilligungspflicht der Parteien von Bedeutung.
Die Commercial Courts werden erstinstanzlich nur in bestimmten Sachgebieten tätig. Die Sachgebiete bestimmen die jeweiligen Länder in den Grenzen des § 119b I GVG. Im Mittelpunkt stehen bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten zwischen Unternehmern, Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit dem Erwerb von Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen sowie Streitigkeiten zwischen einer Gesellschaft und Mitgliedern des Leitungsorgans oder Aufsichtsrats. Ausdrücklich ausgeschlossen sind dagegen Streitigkeiten auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, Urheberrechts und des UWG.
Eine weitere Voraussetzung der Zuständigkeit in erster Instanz ist die Einigung der beteiligten Parteien (§ 119b II GVG). Die Parteien können eine Zuständigkeit des Commercial Courts ausdrücklich oder stillschweigend bestimmen. Ausreichend ist auch, dass sich die Beklagtenseite im Verfahren rügelos auf die Zuständigkeit des Commercial Courts einlässt, wenn diese von der Klägerseite beantragt worden ist. Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten und Zuständigkeitskonflikten empfiehlt es sich, die Zuständigkeit mittels Gerichtsstandsvereinbarung festzusetzen.
In der Rechtsmittelinstanz können die Länder den Commercial Courts Berufungen und Beschwerden gegen landgerichtliche Entscheidungen zuweisen (§ 119b IV GVG). Dabei muss die Streitigkeit eines der zugewiesenen Sachgebiete betreffen. Die Streitwertgrenze von 500.000 Euro muss hingegen nicht erreicht werden.
Verfahren an den Commercial Courts folgen im Wesentlichen den allgemeinen Vorgaben des Zivilverfahrens (§§ 253-510b ZPO). Das Verfahren wird jedoch um einige praxisgerechte Instrumente ergänzt (§§ 610-614 ZPO). Diese gelten zum Teil auch für die Commercial Chambers (§§ 612, 613 ZPO).
Eine wesentliche Besonderheit ist das frühe organisatorische Gespräch (§ 612 ZPO). Die Vorgabe ähnelt der im Schiedsverfahren üblichen Case Management Conference und dient der Koordination und Planung komplexer Prozesse. Die Beteiligten können etwa Regelungen für die Organisation und den Ablauf des Verfahrens festlegen und einen Verfahrenskalender erstellen.
Außerdem hat auch das in Schiedsverfahren bewährte Wortprotokoll Einzug in das Verfahren vor den Commercial Courts und Commercial Chambers gefunden (§ 613 ZPO). Ein Wortprotokoll ist grundsätzlich auf übereinstimmenden Antrag der Parteien zu führen. Regelmäßig wird ein mitlesbares Wortprotokoll geführt. Mitlesbare Protokolle sind zwar sehr aufwändig, wegen der exakten Verschriftlichung der Aussagen sind sie jedoch in besonderem Maße geeignet, Beweis über den Verfahrensablauf zu bieten. Die Parteien können aber auch übereinstimmend auf die Mitlesbarkeit des Wortprotokolls verzichten.
Zu beachten ist weiterhin, dass die Klägerpartei bereits in der Klageschrift beantragen muss, das erstinstanzliche Verfahren vor dem Commercial Court zu führen (§ 610 II ZPO). Schließlich entscheiden die Commercial Courts zwingend als Kollegialspruchkörper. Eine Entscheidung durch einen Einzelrichter ist nicht vorgesehen (§ 610 I ZPO).
Eine weitere Besonderheit ist der verkürzte Instanzenzug. Gegen erstinstanzliche Urteile des Commercial Courts findet unmittelbar die Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) statt (§ 614 ZPO). Einer Zulassung der Revision bedarf es nicht. Hierdurch wird der rechtskräftige Abschluss der Verfahren beschleunigt. Zur weiteren Verkürzung des Verfahrens bleibt es den Parteien freigestellt, bei Anrufung des Commercial Courts einvernehmlich auf Rechtsmittel zu verzichten.
Vor den Commercial Courts und den Commercial Chambers kann im Einvernehmen der Parteien in englischer Sprache verhandelt werden. Die Vorteile dieser längst überfälligen Regelung liegen auf der Hand: ausländischen Parteien wird der Zugang zu Gericht erleichtert, Brüche zwischen Vertrags- und Verfahrenssprache werden vermieden und die häufig erforderliche Übersetzung des Prozessstoffes wird entbehrlich. Der BGH führt dagegen Verfahren nur in englischer Sprache, wenn 1) das Ausgangsgericht das Verfahren in Englisch geführt hat, 2) das Verfahren in Englisch beantragt wird und 3) der zuständige Senat des BGH dem Antrag stattgibt. Damit wird in der Revisionsinstanz ein Sprachbruch in Kauf genommen.
Die Verfahrensführung in englischer Sprache liegt in der Hand der Parteien. Die Parteien des Rechtsstreits müssen der Verfahrensführung ausdrücklich oder stillschweigend zustimmen (§ 184a III GVG). Auch hier kommt ein rügeloses Einlassen in Betracht, wobei schon eine in deutscher Sprache verfasste Klageerwiderung als Rüge ausreichen soll. Umgekehrt dürfen Parteien trotz englischer Verfahrenssprache auf Deutsch vortragen, wenn dies vereinbart ist oder dem Vortrag nicht unverzüglich widersprochen wird.
Unsere Erfahrungen in den letzten Jahren mit den bisherigen „Commercial Courts“ (nunmehr Commercial Chambers) sind insgesamt positiv. Tatsächlich werden die Verfahren oft schnell und effizient von Seiten des Gerichts organisiert und die Richter scheinen besonders motiviert, die Materie auch wirtschaftlich zu durchdringen. Verfahren (vollständig) in englischer Sprache waren aber – nach unserer Erfahrung – auch nicht der Regelfall. Auch bleibt ein Nachteil zur Schiedsgerichtsbarkeit: die weiterhin nur eingeschränkte Vertraulichkeit.
Im Ergebnis ist die Bildung der Commercial Courts aber begrüßenswert und sollte auch bei der Vertragsgestaltung (Gerichtsstandsklausel) beachtet werden.