Handelsdokumentation und Digitalisierung – Auf dem Weg zum papierlosen Handel

Der Digitalisierungsprozess wird mittelfristig für die Handelsdokumentation unumkehrbar sein. Teilnehmern des internationalen Handelsverkehrs ist deshalb zu empfehlen, sich mit den Entwicklungen des Marktes frühzeitig vertraut zu machen.

Gerne geben wir Ihnen hier bereits einen ersten Überblick:

1. Funktionen und Entwicklung der Handelsdokumentation

Im internationalen Handel – sowohl zu Land, Luft als auch See – hat sich eine Vielzahl von Dokumenten etabliert, die wesentliche Funktionen für die beteiligten Akteure in der rechtssicheren Abwicklung von Transport- und Logistikketten erfüllen. Beispielhaft seien Versicherungszertifikate, Zolldokumente oder Sicherheitsdatenblätter genannt.

Zu den wichtigsten dieser Dokumente gehören aber die Transportdokumente, wobei zwischen Frachtbriefen und Traditionspapieren unterschieden wird. 

Frachtbriefe dienen insbesondere als Nachweis dafür, dass die Ware versendet oder zum Transport an den Frachtführer übergeben worden ist. 

Traditionspapiere, wie etwa Lager- und Ladeschein, Frachtbrief (im handelsrechtlichen Sinne) und Konnossement, erfüllen darüber hinausreichende bedeutsame Funktionen für die am Transport Beteiligten – einschließlich der finanzierenden Kreditinstitute –, indem sie unter anderem das Eigentum an den sich in Transit befindlichen Gütern repräsentieren. Dass schon die Übergabe eines Traditionspapiers Auswirkungen auf die Besitz- und Eigentumsverhältnisse an dem Gut hat, wird in Jahrhunderte währendem Brauch in den meisten Staaten der Welt anerkannt. 

Obwohl bereits seit Jahrzehnten Bestrebungen zur Digitalisierung der internationalen Handelsdokumentation existieren und der Gesetzesrahmen seit 2013 die Ausstellung elektronischer Wertpapiere ermöglicht, konnte sich die Digitalisierung bislang nicht als Industriestandard durchsetzen. Die weit überwiegende Anzahl an Handelsdokumenten wird auch heute noch analog, d.h. papiergebunden, ausgestellt.

Insofern ist zu begrüßen, dass seit dem 5. April 2022 das Zusatzprotokoll vom 20. Februar 2008 zum Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) betreffend den elektronischen Frachtbrief in Kraft ist. Ein dem Protokoll entsprechender elektronischer Frachtbrief (auch eCMR genannt) steht somit dem analogen Frachtbrief gleich – nicht nur in Deutschland, sondern etwa auch im Baltikum, Polen, Portugal, der Schweiz, Spanien, dem Vereinigten Königreich und vielen weiteren Staaten.

2. Das Konnossement im Spiegel der Digitalisierung

Aber nicht nur für den Transport auf der Straße ist die Digitalisierung von Interesse. Auch das bereits genannte Konnossement, als besonderer Frachtbrief für den Seetransport, bietet Digitalisierungschancen. 

2.1 Risikoallokation und wirtschaftliche Funktion des Konnossements 

Das im Seehandel vom Verfrachter ausgestellte Konnossement (englisch: Bill of Lading – B/L) enthält – ebenso wie die sonstigen Traditionspapiere, für die es hier stellvertretend steht – verschiedenste Informationen (u.a. die Spezifikation der Ware, des Empfangsorts, des Be- und Entladehafens sowie die Beförderungsbedingungen) und hat sich infolge der dem Traditionspapier innewohnenden Verbriefung als Instrument zur Besicherung der Exportfinanzierung per Dokumentenakkreditiv (englisch: commercial letter of credit) etabliert. 

Das Akkreditiv beantwortet im internationalen Handel die praktisch wesentliche Frage der Abwicklung der Kaufpreiszahlung: Da weder der Befrachter (Exporteur) noch der Empfänger (Importeur) das Risiko der Vorleistung auf sich nehmen wollen, hat sich in der Praxis eine Abwicklung der Bezahlung über finanzierende Kreditinstitute etabliert. Diese wiederum lassen sich das Konnossement als Titel übertragen, um abgesichert zu sein. Gezahlt wird erst nach vollständiger und korrekter Vorlage zuvor definierter Transportdokumente.

Diese im Grundgedanken ebenso simple wie bestechende Konstruktion ermöglicht seit Jahrhunderten effektiven internationalen Handel. Zunächst vereinbaren Exporteur und Importeur das Akkreditiv als Zahlungsinstrument. Nach Kaufvertragsschluss wird beim Kreditinstitut des Importeurs das Akkreditiv beantragt und über das Kreditinstitut des Exporteurs bestätigt. Nachdem der Exporteur die Ware an den Importeur versandt hat, reicht der Importeur anschließend alle zuvor definierten Dokumente (insbesondere auch das Konnossement) beim Kreditinstitut des Exporteurs ein. Dieses überprüft die Dokumente – zumeist manuell anhand papiergebundener Dokumentation – auf Vollständigkeit und inhaltliche Richtigkeit. Im Falle korrekt vorliegender Dokumente werden diese an das Kreditinstitut des Importeurs weitergegeben. Dieses führt die gleichen Prüfungen erneut durch. Sobald auch das Kreditinstitut des Importeurs die Dokumente als korrekt einstuft, wird die Zahlung an den Exporteur ausgelöst. So die Theorie im einfachsten Fall. In der Praxis kommen jedoch noch viele weitere Parteien hinzu, die an der Zahlungsabwicklung oder Beförderung des Gutes beteiligt sind. 

In der Abwicklung bietet sich daher – mag auch in der Regel alles gut gehen – reichlich Potenzial für Fallstricke. Der Blick auf die rechtlichen Grundlagen ist daher unerlässlich:

2.2 Rechtliche Grundlagen und Funktion des Konnossements

Das Konnossement ist zunächst – wie die anderen Traditionspapiere – den zwingenden Vorschriften des Handelsrechts unterworfen und darf nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen existieren (sog. numerus clausus der Wertpapiere).

Es wird in der Praxis regelmäßig mit einem Ordervermerk („auf Order“) ausgestellt. Dabei verspricht der Aussteller des Konnossements – der Verfrachter –, an eine in dem Wertpapier namentlich bestimmte Person oder an denjenigen anderen zu leisten, der von dem Benannten durch einen Übertragungsvermerk (das Indossament) als Gläubiger bezeichnet wird. Das Konnossement wird, sofern auf Order ausgestellt – wie die übrigen handelsrechtlichen Wertpapiere – durch ein solches Indossament übertragen. Der zuletzt in einer ununterbrochenen Kette von Indossamenten ausgewiesene Inhaber des Papiers ist aus dem Konnossement berechtigt.

Über die beschriebene wirtschaftliche Akkreditivfunktion hinaus weist das deutsche Recht den handelsrechtlichen Wertpapieren verschiedene Funktionen zu:

  • Traditionsfunktion: Die Übergabe (lat.: traditio) des Konnossements ersetzt bei Übertragung des Eigentums die Übergabe der dem Verfrachter zur Beförderung übergebenen Güter während deren Transport, § 524 HGB. Aufgrund dieser wesentlichen Funktion werden die handelsrechtlichen Wertpapiere auch Traditionspapiere genannt.
  • Beweisfunktion: Vermutung über die Richtigkeit des Inhalts des Dokuments, insb. der Angaben zum Gut. Diese belegt, dass der Verfrachter die Güter wie im Konnossement angegeben übernommen hat, § 517 HGB.
  • Legitimationsfunktion: Vermutung zugunsten des auf den Inhaber lautenden Konnossements oder – im Falle bereits erfolgter Übertragung – zugunsten des in einer ununterbrochenen Reihe von Übertragungsvermerken (Indossamenten) zuletzt genannten Inhabers, dass er der aus dem Konnossement Berechtigte ist, § 519 Satz 3 HGB.
  • Sperrfunktion: Die im Konnossement verbrieften seefrachtvertraglichen Ansprüche können nur von dem aus dem Konnossement Berechtigten geltend gemacht werden, 519 Satz 1 HGB.

2.3 Die Notwendigkeit einer Digitalisierungsperspektive

Die papiergebundene Ausstellung führt zu einem erheblichen logistischen und ökonomischen Aufwand. Dieser entsteht insbesondere dadurch, dass die papiergebundene Dokumentation physisch gesondert von dem Gut transportiert wird. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Frachtbrief den finanzierenden Kreditinstituten im oben beschriebenen Akkreditivprozess als Sicherheit übergeben und dann dem Empfänger rückübersandt wird. 

Diese logistische Ineffizienz bedeutet einen enormen Aufwand im internationalen Warenverkehr, in dem der Transport eines einzigen Containers bis zu 30 Parteien und bis zu 200 individuelle Interaktionen einbeziehen kann. 

Die hiermit verbundenen Kosten des analogen Systems belaufen sich Schätzungen zufolge auf 5-10 % des Wertes der jährlich international gehandelten Waren (2019: ca. 19 Billionen USD). Sie könnten durch die Digitalisierung der Prozesse erheblich gesenkt werden. Nach Erhebungen der Praxis fallen in circa einem Viertel Vertragsstrafen wegen zu langen Einliegens an, weil die Ware im Importhafen nicht (oder nur unter Ausstellung eines separaten, ebenfalls Kosten auslösenden letter of indemnity) ohne entsprechendes Konnossement abgenommen werden kann. 

Die hierdurch bewirkte Überfüllung der Frachthäfen stellt – gerade in Zeiten krisenbedingt ohnehin gestörter bzw. jedenfalls strapazierter Lieferketten – eine weitere gravierende Beeinträchtigung für einen reibungslosen internationalen Handel dar. Auch die Schnelligkeit und Genauigkeit der Informationsbereitstellung ist durch den Versand der Konnossemente per Kurier beeinträchtigt.

Die elektronische Frachtdokumentation bietet daher immenses Potenzial für Effizienzsteigerungen der Prozesse. Neben dieser ökonomischen Perspektive überzeugt sie aber auch aus ökologischer Perspektive, können doch erhebliche Mengen an Ressourcen eingespart werden.

2.4 Erweiterung des numerus clausus durch funktional-technologieoffene Regelungstechnik

Das Gesetz zur Reform des Seehandelsrechts vom 20. April hatte bereits 2013 den numerus clausus des HGB derart erweitert, dass die die Ausstellung elektronischer Konnossemente ermöglicht worden war.

Der relevante § 516 Abs. 2 HGB (wie auch die parallelen wortgleichen Vorschriften für den Lager- und Ladeschein sowie den Frachtbrief) wählt einen funktional-technologieoffenen Ansatz und verlangt dem Verwender nicht die Nutzung einer bestimmten Technologie ab. 

Für die Frage, ob ein elektronisches Konnossement handelsrechtliche Wirkungen entfaltet, ist vielmehr wesentlich, dass es die in der Norm beschriebenen Charakteristika – Authentizität und Integrität der Aufzeichnung – aufweist und fernerhin „dieselben Funktionen“ erfüllt wie das papiergebundene Konnossement (sog. Funktionsäquivalenz). 

Die Begriffe der Authentizität und Integrität gem. § 516 Abs. 2 HGB sind technisch zu verstehen. Authentisch ist eine elektronische Aufzeichnung, wenn sichergestellt ist, dass diese tatsächlich von dem angegebenen Absender stammt. Die Integrität einer Aufzeichnung ist gewahrt, wenn sichergestellt ist, dass die aufgezeichnete Information nicht verändert wurde und auch nicht werden kann.

2.5 Etablierung einer geeigneten Technologie

Anbieter haben zunächst geschlossene Systeme für elektronische Konnossemente entwickelt. 

Aktuelle Systeme bedienen sich dagegen der Blockchain-Technologie, deren DLT-Ökosystem (dezentraler Charakter, kryptographische Verschlüsselung, Darstellbarkeit von Übertragungssachverhalten, Public-Private-Key-Infrastruktur etc.) die verschiedenen rechtlichen Anforderungen nach § 516 Abs. 2 HGB abzubilden in der Lage ist. Sie werden nicht nur wissenschaftlich erprobt, sondern bereits in der Praxis eingesetzt. So setzen bereits namhafte Akteure der Branche, darunter internationale Banken und ein global agierendes deutsches Transport- und Logistikunternehmen, seit einigen Jahren auf digitale, blockchainbasierte Konnossemente und bieten ihren Partnern deren Verwendung an.

2.6 Hemmnisse einer Digitalisierungsperspektive

Bei all den positiven Aspekten und ungeachtet der wachsenden Anwenderzahl stellt sich die Frage, warum die Digitalisierung in diesem Bereich nicht bereits viel weiter vorangeschritten ist. 

Ein erster Grund hierfür kann sicher in der Natur der Sache des grenzüberschreitenden internationalen Handels gesehen werden: Jeder Lösungsentwurf zur Digitalisierung der Frachtdokumentation muss für seine grenzüberschreitende Effektivität grundsätzlich auf die Zustimmung zumindest einer Mehrheit der großen Handelsnationen treffen. Allerdings ist ein solcher großer Wurf bislang nicht gelungen. 

Aber auch für das geltende Recht hat die Rechtswissenschaft die bereits bestehenden Möglichkeiten lange nicht hinreichend rechtssicher umrissen. Die Fragen technischer Möglichkeit und juristischer Anerkennung sind deshalb untrennbar miteinander verbunden und benötigen einen beständigen interdisziplinaren Dialog und Wissenstransfer.

3. Ausblick

Zukunftsweisend und letztlich erfolgversprechend dürften diejenigen Bemühungen der Praxis sein, die im Sinne einer Gesamtlösung die Digitalisierung über das einzelne Dokument hinausdenken. Eine solche ambitionierte ganzheitliche Lösung muss allerdings hohen (rechtlichen) Anforderungen – nicht zuletzt an den Datenschutz – standhalten.

Ganzheitliche Lösungen setzen zudem einen zu einem Mindestmaß harmonisierten Rechtsrahmen voraus, für den es eines breiten internationalen Konsenses bedarf. Positive Entwicklungen in dieser Hinsicht stellen etwa die EU-Verordnung über elektronische Frachtbeförderungsinformationen (eFTI-VO) und der Beschluss der Digitalisierungsminister der G7-Staaten vom 11. Mai 2022 dar, der immerhin drei seiner insgesamt 38 Punkte der Digitalisierung der Handelsdokumentation und grenzüberschreitenden Lösungen widmete. Die weitestgehend ab August 2024 geltende eFTI-VO ermöglicht den betroffenen Unternehmen durch eine Anerkennungspflicht der Behörden, ihren gesetzlichen Frachtbeförderungsinformationspflichten durch Übermittlung elektronischer Dokumente nachzukommen. Nach dem Abflauen einer bildlichen leichten Brise in Sachen Digitalisierung hat der Wind somit nun wieder Fahrt aufgenommen und verheißt, die Bemühungen auch über die Schwelle einer großflächigen Verwendung digitaler Frachtpapiere zu tragen. 

Damit besteht jetzt eine reale Digitalisierungsperspektive. Bei der rechtssicheren Umsetzung notwendiger Anpassungen, insbesondere in Vertragsgewerken, oder für die Begutachtung der Rechtskonformität bestimmter technischer Lösungen stehen wir Ihnen gerne als verlässlicher Partner zur Seite.

Kommen Sie gerne jederzeit auf uns zu, wenn auch Sie diesen Aufwind für Ihr Unternehmen nutzen möchten. 

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