Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen aus Russland durch neuen REPower-Plan der Europäischen Kommission

Am 18. Mai 2022 hat die Europäische Kommission ihren REPower EU-Plan vorgestellt, um die Unabhängigkeit Europas von russischen fossilen Brennstoffen angesichts des Einmarsches Russlands in die Ukraine bereits deutlich vor 2030 gewährleisten zu können.

Die Dringlichkeit, der mangelnden Zuverlässigkeit der russischen Energielieferungen etwas entgegenhalten zu können, wird durch die jüngsten Unterbrechungen der Gaslieferungen nach Bulgarien und Polen erneut verdeutlicht. Nachdem die Kommission das Konzept bereits am 8. März 2022 vorgeschlagen hatte, stimmte der Europäische Rat am 24. und 25. März 2022 zu, die Abhängigkeit Europas von russischen Energieimporten so bald wie möglich zu beenden. Neben der zu schaffenden Unabhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen soll durch die Transformation des Energiesystems Europas jedoch gleichzeitig auch die Bewältigung der Klimakrise vorangetrieben werden. 

Der Plan der Kommission nimmt die Abkehr von russischen fossilen Brennstoffen und gezielte Investitionen in die Gasinfrastruktur zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in den Blick. Er erfasst auch Änderungen an der derzeitigen Ölinfrastruktur sowie umfangreiche Investitionen in das Stromnetz und eine EU-weite Wasserstoffgrundstruktur. Die verschiedenen Elemente des Plans enthalten eine Reihe von Vorschlägen, Mitteilungen und Leitfäden. Sie sollen für alle europäischen Marktteilnehmer interessant sein: von den Entwicklern von Projekten für erneuerbare und konventionelle Energien, über Käufer und Verkäufer von Rohstoffen, bis hin zu privaten Haushaltskunden. 

Um ein resilienteres Energiesystem und eine echte Energieunion zu erreichen, befasst sich der Plan mit Energieeinsparungen, der Diversifizierung der Energieversorgung und der beschleunigten Einführung erneuerbarer Energien. Dazu baut er auf dem bestehenden „Fit für 55“-Paket auf und ergänzt die Maßnahmen zur Energieversorgungssicherheit und -speicherung. Angesichts dieser Veränderungen setzt der Plan auf drei Ebenen an: auf der Nachfrageseite (durch Energieeinsparungen), auf der Angebotsseite (durch die Abkehr von russischen fossilen Brennstoffen und die Hinwendung zu anderen, zuverlässigeren Lieferanten) und schließlich bei der Beschleunigung des Übergangs zu grüner Energie (durch die Einführung erneuerbarer Energien und die Verringerung des Verbrauchs fossiler Brennstoffe in Industrie und Verkehr).

Energieeinsparungen

Die Verringerung des Energieverbrauchs durch höhere Effizienz stellt einen wesentlichen Bestandteil der Energiewende dar, der die Resilienz der EU-Wirtschaft erhöht und gewährleistet, dass ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht durch hohe Preise für fossile Brennstoffe beeinträchtigt wird. Die Kommission schlägt darauf aufbauend vor, das verbindliche Ziel der Energieeffizienz-Richtlinie von bisherigen 9 % bis 2030 auf 13 % zu erhöhen. In einer entsprechenden Mitteilung über Energieeinsparungen werden Verhaltensänderungen erläutert, die zu einer Senkung der Gas- und Ölnachfrage um 5 % innerhalb eines Jahres führen sollen. Damit soll die EU in die Lage versetzt werden, die REPowerEU-Ziele vollständig zu erreichen, ohne andere Teile des „Fit für 55“-Pakets ebenfalls anpassen zu müssen. Darüber hinaus sollen die Mitgliedstaaten durch den Plan aufgefordert werden, steuerliche Maßnahmen zur Förderung von Energieeinsparungen zu nutzen, wie z. B. ermäßigte Mehrwertsteuersätze auf energieeffiziente Heizsysteme, Gebäudedämmungen sowie Geräte. Zudem sind für den Fall schwerwiegender Versorgungsunterbrechungen Notfallmaßnahmen vorgesehen, und die Kommission beabsichtigt, noch in diesem Jahr Leitlinien für die Aktualisierung der nationalen Energie- und Klimapläne („NECP“) der Mitgliedstaaten im Jahr 2024 zu veröffentlichen. Unter anderem durch die Berichte zur Lage der Energieunion und zu den Klimaschutzmaßnahmen ist vorgesehen, über erreichte Fortschritte in Bezug auf den REPower-Plan zu informieren.

Diversifizierung der Energieimporte

Die bereits eingerichtete EU-Energieplattform wird den gemeinsamen Einkauf von Gas, Flüssigerdgas und Wasserstoff und die Diversifizierung der Versorgung ermöglichen. Sie erfüllt dabei die folgenden Funktionen: Bündelung und Strukturierung der Nachfrage, optimierte und transparente Nutzung der Import-, Speicher- und Transportinfrastruktur für Gas, Maximierung der Versorgungssicherheit sowie Wiederauffüllung der Speicher und langfristige internationale Kooperationsmaßnahmen.

Als nächsten Schritt beabsichtigt die Kommission, einen "gemeinsamen Beschaffungsmechanismus" zu entwickeln, um Gaseinkäufe im Namen der Mitgliedstaaten auszuhandeln. Dies könnte in Form eines Joint Ventures oder einer unternehmenseigenen Einrichtung geschehen, um die Vorteile des europäischen Marktes zu nutzen. Ein solches Konstrukt wird in Bezug auf seine Auswirkungen auf den Wettbewerb überprüft werden müssen. Die angenommene externe Energiestrategie der EU soll die Diversifizierung der Energieversorgung vereinfachen und langfristige Partnerschaften aufbauen, da sie dem Engagement der EU für die grüne Energiewende Vorrang einräumt. Da die EU-Energieplattform auch den Vertragsparteien der Energiegemeinschaft (darunter die westlichen Balkanstaaten, Ukraine, Moldawien, Georgien) offen steht, dürfte sie auch den Partnern der EU in deren unmittelbarer Nachbarschaft zugute kommen, die sich den EU-Binnenmarktregeln und der gemeinsamen Versorgungssicherheit verpflichtet haben. 

Substitution fossiler Brennstoffe und Beschleunigung des Ausbaus erneuerbarer Energien

Auch ein massiver Ausbau des Einsatzes erneuerbarer Energien bei der Stromerzeugung, in der Industrie und im Gebäude- und Verkehrssektor soll zu einer Unabhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen beitragen. Zur Beschleunigung des Ausbaus schlägt die Kommission vor, das Ziel für den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch in der EU bis 2030 von 40 % auf 45 % zu erhöhen, und zwar im Rahmen des "Fit für 55"-Paketes:

  • Eine EU-Solarstrategie zur Verdoppelung der Photovoltaikkapazität auf über 320 Gigawatt bis 2025 und zur Installation von 600 Gigawatt bis 2030.
  • Eine Initiative für Solardächer mit einer gesetzlichen Verpflichtung zur Installation von Solarzellen auf allen neuen öffentlichen und gewerblichen Gebäuden ab 2025 und auf Wohngebäuden ab 2029.
  • Eine Verdoppelung des Einsatzes von Wärmepumpen und Maßnahmen zur Integration von geothermischer und solarthermischer Energie in Heizsysteme.
  • Eine gezielte Änderung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie, um erneuerbare Energien als öffentliches Interesse anzuerkennen und Gebiete für erneuerbare Energien mit vereinfachten Genehmigungsverfahren zu schaffen. 
  • Das Ziel, bis 2030 jährlich 10 Millionen Tonnen Wasserstoff aus erneuerbaren Energiequellen zu produzieren und 10 Millionen Tonnen zu importieren, um Erdgas, Kohle und Öl in schwer zu dekarbonisierenden Industrien und Verkehrssektoren zu ersetzen. 
  • Der Abschluss der Bewertung der ersten wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse ("IPCEI"), die sich auf Technologien und Innovationen entlang der Wertschöpfungsketten für Solar- und Windenergie und Wärmepumpen konzentrieren.
  • Ein Biomethan-Aktionsplan, der eine industrielle Biomethan-Allianz und finanzielle Anreize zur Steigerung der Produktion auf 35 Mrd. Kubikmeter bis 2030 umfasst.

Die massive Beschleunigung und Ausweitung des Einsatzes erneuerbarer Energien in der Stromerzeugung, in der Industrie, in Gebäuden und im Verkehr wird nicht nur den schrittweisen Ausstieg aus den russischen fossilen Brennstoffen beschleunigen, sondern soll auch darauf abzielen, jedenfalls auf lange Sicht die Strompreise zu senken und die Importe fossiler Brennstoffe zu reduzieren. 

Intelligente Investitionen

Zur Erfüllung der Zielvorgaben des Plans sind bis 2027 weitere Investitionen in Höhe von 210 Mrd. Euro erforderlich. Sie gehen über das hinaus, was bereits zur Verwirklichung der Ziele des „Fit für 55“-Paketes notwendig ist. Da die Umsetzung des „Fit für 55“-Rahmens und des REPowerEU-Plans der EU bis 2030 jährlich 80 Mrd. Euro an Ausgaben für Gasimporte, 12 Mrd. Euro an Ausgaben für Ölimporte und 1,7 Mrd. Euro an Ausgaben für Kohleimporte einsparen wird, erwartet die Kommission, dass sich die Investitionen auszahlen. 
Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, ihren bestehenden Konjunktur- und Resilienzplänen („RRP“) ein eigenes Kapitel mit neuen Maßnahmen hinzuzufügen, um die REPowerEU-Ziele der Diversifizierung der Energieversorgung und der Verringerung der Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu erreichen. Die gezielte und rasche Änderung sieht die Zuweisung zusätzlicher Mittel aus der Versteigerung von Zertifikaten des Emissionshandelssystems ("EHS") vor. Diese wird die verbleibenden 225 Mrd. Euro an Darlehen im Rahmen der RRF ergänzen, so dass sich ein Gesamtbetrag von fast 300 Mrd. Euro ergibt.

Dank des Rahmens für die transeuropäischen Energienetze („TEN-E“) wurde eine widerstandsfähigere europäische Gasinfrastruktur geschaffen, die eine stärker diversifizierte Versorgung ermöglicht. Dennoch sind Investitionen in Höhe von weiteren 10 Mrd. Euro erforderlich, um den künftigen Ausfall der russischen Gasimporte zu kompensieren.

Stärkung der Vorsorge

Um sicherzustellen, dass die Gasspeicher in den kommenden Monaten ausreichend befüllt werden, fordert die Kommission die Mitgliedsstaaten zu den folgenden Maßnahmen auf:

  • Zügige Umsetzung der Anforderungen der Gasspeicherverordnung.
  • Vorbeugende Umsetzung der EU-Mitteilung über Energieeinsparungen, um mit dem eingesparten Gas unterirdische Speicheranlagen vor dem nächsten Winter wiederaufzufüllen. 
  • Aktualisierung der Notfallpläne der Mitgliedsstaaten im Hinblick auf die Empfehlungen der Kommission zur Vorsorgeüberprüfung. In diesen sollten die wesentlichen Kunden genannt werden, die für kritische Lieferketten in der Union eine Schlüsselrolle spielen. 
  • Aufforderung an die Netzbetreiber, die technischen Maßnahmen zu beschleunigen, mit denen die Reverse-Flow-Kapazitäten von West nach Ost bis zum nächsten Winter erhöht werden können.
  • Abschluss der noch ausstehenden bilateralen Solidaritätsvereinbarungen mit Nachbarländern.

Dass dieser umfassende Plan der Europäischen Kommission neben der vordergründig bestehenden faktischen Notwendigkeit, unabhängig von russischen fossilen Brennstoffen zu werden, auch als wirtschaftliche und politische Waffe eingesetzt werden kann, bleibt jedenfalls zu hoffen.

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