Jetzt gibt der Staat Gas – Auf dem Weg zur Gasmangellage im Energierecht

Mit der heutigen Zustimmung des Bundesrates zum Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken ist in Rekordzeit vor der parlamentarischen Sommerpause der Weg für eine weitere Stärkung der Rolle des Staates in der Gasversorgung frei. In Vorbereitung auf eine drohende Gasmangellage werden das Energiewirtschaftsgesetz, das Energiesicherungsgesetz und weitere energiewirtschaftliche Regelungen geändert.

Praktisch wird der Kohleausstieg einstweilen angehalten, um Gas einzusparen und die Versorgung mit Strom zu ermöglichen. Außerdem werden Mechanismen geschaffen, um Preise in Gaslieferverträgen anzupassen, staatliche Umlagen für die Verteilung von Zusatzkosten zu ermöglichen, die Gasnutzung zu beschränken und für die Energieversorgung kritische Unternehmen durch staatliche Intervention vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Hintergrund

Der Angriff Russlands auf die Ukraine löst nach wie vor starke Unsicherheit für die Versorgung mit Primärenergieträgern, insbesondere mit Erdgas aus. Neben dem kriegsbedingten Ausfall von Pipelines durch die Ukraine gibt nun der (planmäßige) Stopp der Lieferung über NordStream 1 Anlass zu Besorgnis. Auch bestehen Zweifel, ob und inwieweit die bereits bislang reduzierte Versorgung überhaupt wieder aufgenommen wird.

Die reduzierten Liefermengen waren bereits der Grund dafür, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) in der vergangenen Woche mit der Alarmstufe die zweite von drei Stufen des nationalen Notfallplan Gas aktiviert hat.

Die Alarmstufe allein bedeutet noch keine staatliche Intervention in den Gasmarkt. Die Bundesnetzagentur (BNetzA) hat auch eine sog. Gasmangellage noch nicht festgestellt, also die erhebliche Reduzierung der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland. Das Preisanpassungsrecht der Energieversorgungsunternehmen, die Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen (§ 24 Energiesicherungsgesetz - EnSiG) greift daher auch (noch) nicht. Gleichwohl werden aktuell weitere gesetzliche Grundlagen für staatliche Interventionsmechanismen in den Gasmarkt etabliert.

(Weitere) Anpassung Energiesicherungsgesetz

So wird zum einen die erst im Mai erfolgte Novelle des Energiesicherungsgesetzes erneut ergänzt und angepasst. Der insoweit im Rahmen einer Beschlussempfehlung ergänzte Gesetzesentwurf (EnSiG n.F.) wurde am 07. Juli im Bundestag und bereits am 08. Juli im Bundesrat beschlossen. Er enthält im Wesentlichen die folgenden Punkte:

  • Alternativ zu der bereits angesprochene Option, Energieversorgungsunternehmen eine Preisanpassung zu ermöglichen, wird die Bundesregierung ermächtigt per Verordnung eine Umlage in Form einer saldierten Preisanpassung einzuführen (§ 26 Abs. 1 EnSiG n.F.). Mit den Einnahmen aus der Umlage sollen die infolge der erhöhten Weltmarktpreise für Erdgas eintretenden höheren Kosten der Energieversorgungsunternehmen ausgeglichen werden. Voraussetzung für beide Maßnahmen ist jeweils, dass die Bundesnetzagentur (BNetzA) eine Gasmangellage festgestellt hat.
  • Energieversorgungsunternehmen werden zudem in der Ausübung ihrer vertraglichen und gesetzlichen Leistungsverweigerungsrechte beschränkt. So sieht § 28 Abs. 1 EnSIG n.F. vor, dass die Ausübung solcher Rechte in Erdgaslieferverträgen der Genehmigung der BNetzA bedarf, wenn die Leistungsverweigerung mit dem Ausfall oder der Reduzierung von Gaslieferungen unter von dem Energieversorgungsunternehmen abgeschlossenen Lieferverträgen begründet wird. Einer Genehmigung bedarf es nicht, wenn das Unternehmen nachweist, dass eine Ersatzbeschaffung unmöglich ist.
  • Schließlich wird die Durchführung sogenannter Stabilisierungsmaßnahmen erleichtert. Der mit Blick auf die Lage des kriselnden Konzerns bereits als Lex Uniper beschriebene § 29 EnSiG n.F. sieht vor, dass ein Unternehmen, welches der kritischen Infrastruktur im Bereich Energie zugeordnet ist, Maßnahmen beantragen kann, die der Sicherung oder Wiederherstellung einer positiven Fortbestehensprognose oder der Durchfinanzierung der Abwicklung des Unternehmens dienen (Stabilisierungsmaßnahmen).

    Konkret wird der Erwerb von Anteilen durch den Bund erleichtert. Dabei werden Teile der im Rahmen der Finanzmarktkrise durch das Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz etablierten Maßnahmen auf Unternehmen im Energiebereich übertragen. Das Verfahren ähnelt damit dem, das in der Corona-Pandemie den Einstieg des Bundes bei der Lufthansa AG ermöglichte.

    Die Maßnahmen sind auf Antrag des Unternehmens beim BMWK möglich, dass im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) und dem Bundeskanzleramt über die Anträge entscheidet. Ein Rechtsanspruch auf die Stabilisierungsmaßnahmen besteht nicht. Das Gesetz sieht zudem eine Befristung des Instruments bis Ende 2027 vor.

Erweiterung Netzreserve (Kohle)

Neben der Verwendung als Brennstoff zur Wärmeerzeugung und als Rohstoff in der Industrie dient Erdgas auch der Stromerzeugung. Diesbezüglich soll mittel- bis langfristig der im Rahmen des aktuell beratenen Osterpakets geplante beschleunigte Ausbau erneuerbarer Energien die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen lösen.

Kurzfristig soll der drohende Ausfall von Gaskraftwerken zur Stromerzeugung durch eine Erweiterung der vorzuhaltenden Netzreserve auch auf Kohlekraftwerke abgefedert werden. Die hierzu notwendigen Änderungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) sind ebenfalls im Rahmen des Ersatzkraftwerkbereithaltungsgesetzes (EnWG n.F.) beschlossen worden.

Das Gesetz sieht eine befristete Teilnahme dieser Kraftwerke am Strommarkt für den Fall vor, dass die Bundesregierung durch Rechtsverordnung „eine Störung oder Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems“ oder feststellt, dass „eine zukünftige Gefährdung der Sicherheit oder Zuverlässigkeit des Gasversorgungssystems nicht ausgeschlossen werden kann“ (§ 50a Abs. 1 EnWG n.F.). Dies gilt auch für solche Anlagen, für die eigentlich 2022 und 2023 ein Verbot der Kohleverfeuerung greift (§ 50a Abs. 2 EnWG n.F.). Eine endgültige Stilllegung solcher Anlagen ist den Betreibern bis zum 31.03.2024 verboten, sofern ein Weiterbetrieb technisch und rechtlich möglich ist (§ 50a Abs. 4 EnWG n.F.).

Anlagenbetreiber müssen die Betriebsbereitschaft ab dem 01.11.2022 sicherstellen und dazu unter anderem eine Brennstoffreserve für 30 (Kohle) bzw. 10 (Mineralöl) Tage vorhalten (§ 50b Abs. 1 und 2 EnWG n.F.). Altanlagenbetreiber (Inbetriebnahme vor 1970) können beantragen, von der Verpflichtung ausgenommen zu werden (§ 50b Abs. 5 EnWG n.F.). In gleichem Maße können alle Anlagenbetreiber die befristete Teilnahme am Strommarkt durch Anzeige gegenüber der BNetzA vorzeitig beenden (§ 50c Abs. 1 EnWG n.F.).

Das Gesetz sieht auch Regelungen zur Vorhaltung von Braunkohlekraftwerken als Versorgungsreserve vor (§ 50d EnWG-E).

Konkretisierung Maßnahmen Notfallstufe des Notfallplan Gas

Schließlich wurden – ebenfalls durch eine Ergänzung des EnWG - weitere Maßnahmen für den Fall beschlossen, dass die Notfallstufe des Notfallplan Gas aktiviert werden muss.

In diesem Fall kann die Bundesregierung durch Verordnung Regelungen zur Verringerung oder zum vollständigen Ausschluss der Stromerzeugung durch Erdgas erlassen. Insbesondere kann der Betrieb von Anlagen untersagt oder durch Strafzahlungen je MWh erzeugter elektrischer Energie belegt werden (§ 50f Abs. 1 Nr.2 EnWG n.F.). Diese Maßnahmen sind auf neun Monate zu befristen.

Ausblick

Die aktuellen Entwicklungen und die Maßnahmen, für die nun die gesetzlichen Grundlagen geschaffen wurden, zeigen den Ernst der Lage. Nachdem das Gesetz Bundestag und Bundesrat passiert hat, wird es nach Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft treten.

Noch ist allerdings offen, ob neben finanziellen Zuschüssen wie beispielsweise für energieintensive Unternehmen im Rahmen des sog. Energiekostendämpfungs¬programms und Anreizen wie dem diskutierte Gasauktionsmodell Interventionen notwendig sind. In jedem Fall zeigt die aktuelle gesetzgeberische Tätigkeit und auch deren Schnelligkeit, dass man sich für den Ernstfall wappnet.

Wir beraten Sie gerne zum Umgang mit Preisanpassungen oder zu sich aus den neuen Regelungen ergebenden rechtlichen Verpflichtungen.

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