AFGBV in Kraft – Verordnung komplettiert Gesetz zum autonomen Fahren

Ziel des im Jahr 2021 in Kraft getretenen Gesetzes zum autonomen Fahren war es, den Regelbetrieb autonomer Kraftfahrzeuge auf Deutschlands Straßen einzuläuten. Für die Anwendbarkeit der neu in das Straßenverkehrsgesetz (StVG) integrierten Vorschriften fehlte es jedoch bislang an einer konkretisierenden Rechtsverordnung.

Mit dem Inkrafttreten der Autonome-Fahrzeuge-Genehmigungs-und-Betriebs-Verordnung (kurz: AFGBV) am 1.7.2022 bietet das deutsche Straßenverkehrsrecht jetzt erstmals einen in sich geschlossenen Rechtsrahmen für die Verkehrszulassung und den Betrieb autonomer Kraftfahrzeuge. Nach den neuen rechtlichen Vorgaben bleibt der Einsatz autonomer Fahrzeuge zunächst allerdings auf behördlich genehmigte Einsatzgebiete (sog. festgelegte Betriebsbereiche) beschränkt. Zudem ist eine externe Aufsichtsperson (sog. Technische Aufsicht) als menschliche Rückfallebene vorgeschrieben.

Zulässiger Betrieb im Straßenverkehr

Erstmals können im Zusammenspiel der Vorschriften von StVG und AFGBV autonome Fahrzeuge (SAE-Level 4) auf öffentlichen Straßen zum Einsatz kommen. Hierzu bedarf es einer besonderen Betriebserlaubnis, die Fahrzeugherstellern vom Kraftfahrt-Bundesamt erteilt werden kann. Wesentliche Voraussetzung ist die Einhaltung äußerst anspruchsvoller Vorgaben an die technische Ausrüstung autonomer Kraftfahrzeuge. In einer Anlage zur AFGBV werden die technischen Vorgaben in großer Detailtiefe konkretisiert. Darunter finden sich etwa funktionale Anforderungen an autonome Kraftfahrzeuge, spezifische Anforderungen an den digitalen Datenspeicher sowie die Sicherheit im Bereich der Informationstechnologie.

Anforderungen an die technische Ausrüstung

Unerlässlich ist es, dass ein autonomes Fahrzeug in Ermangelung eines Fahrers selbstständig den an die Fahrzeugführung gerichteten Vorschriften entsprechen können muss. Spezifizierend verlangt die AFGBV die Bewältigung der dynamischen Fahraufgabe durch das Fahrsystem. Darunter fallen etwa die geeignete Wahl von Geschwindigkeit und Fahrpfad in veränderlichen Situationen sowie eine angemessene Reaktion auf plötzliche, unerwartete Ereignisse. Eine weitere Vorgabe besteht darin, dass jedes Fahrzeug mit einem System zur Unfallvermeidung und zum Umgang mit Dilemmasituationen ausgerüstet sein muss. Dazu gehört es, dass die technische Ausrüstung bei unvermeidbarer Schädigung von Rechtsgütern deren Wertigkeit zu erkennen und entsprechend zu priorisieren hat. Der Schutz menschlichen Lebens ist dabei prioritär, wobei sich bei unvermeidbarer alternativer Gefährdung von Menschenleben eine Gewichtung auf Basis persönlicher Merkmale (etwa Alter, Berufsgruppe, Geschlecht) verbietet. Schließlich sehen sich Fahrzeughersteller vor die Aufgabe gestellt, Konzepte für die Gewährleistung der elektronischen und elektrischen Fahrzeugsicherheit vor (Cyber-)Angriffen zu etablieren, die den gesamten Lebenszyklus des Fahrzeugs zu adressieren haben.

Umfangreiche Dokumentations- und Nachweispflichten für Fahrzeughersteller

Auf die Fahrzeughersteller kommen nach den konkretisierenden Vorschriften der AFGBV umfangreiche Dokumentations- und Nachweispflichten zu. Überwiegend beziehen sich die Anforderungen darauf, die Einhaltung der technischen und konstruktiven Vorgaben an autonome Fahrzeuge, ein funktionales Sicherheitskonzept sowie die Sicherheit im Bereich der Informationstechnologie nachzuweisen. Zudem müssen Hersteller bestimmte Reparatur- und Wartungsinformationen zur Verfügung stellen.

Erweiterte Anforderungen an Produkt- und Cybersicherheit

In Anbetracht der Gefahren, die mit kompromittierten autonomen Fahrfunktionen einhergehen, werden an die Gewährleistung von Cybersicherheit strenge Maßstäbe angelegt. Die AFGBV schreibt Herstellern die Einrichtung eines Cybersicherheitsmanagementsystems (CSMS) nach Maßgabe der internationalen Vorgaben in der UN-Regelung 155 vor. Im Kern laufen die Vorgaben darauf hinaus, dass Straßenfahrzeuge (auch) durch organisatorische Vorkehrungen der Hersteller vor Cyberangriffen auf elektrische und elektronische Komponenten zu schützen sind. Beachtlich ist, dass das Cybersicherheitsmanagementsystem einen ganzheitlichen Ansatz verkörpern muss. Es hat neben Vorgaben an Risikoerkennung und -minderung auch die Festlegung von administrativen Abläufen, Zuständigkeiten und Governance beim Umgang mit Cyberrisiken unter Berücksichtig der Lieferkette zu umfassen.

Digitaler Datenspeicher und korrelierender Datenschutz

Umfangreiche Anforderungen ergeben sich auch in Bezug auf die digitalen Datenspeicher, die in autonomen Kraftfahrzeugen integriert sein müssen. So haben Fahrzeughalter bestimmter Daten zu speichern, bei denen es sich beispielsweise um Positionsdaten, Nutzungszeiten der Fahrfunktion und Systemüberwachungsdaten handelt. Die Pflicht zur Speicherung der Daten wird durch das Auftreten gewisser Gefahrenmomente ausgelöst, etwa beim Eingreifen durch die Technische Aufsicht, (Beinahe-)Unfällen, nicht planmäßigen Ausweichmanövern oder sonstigen unvorhergesehenen Störungen im Betriebsablauf.

Für Fahrzeughersteller erwächst daraus das Erfordernis, bereits bei der Konstruktion und technischen Ausstattung ihrer Fahrzeuge die Voraussetzungen zu schaffen, dass der Halter seinen Speicher- und Bereitstellungspflichten nachkommen kann, und zwar während der gesamten Lebensdauer seines Fahrzeugs. Da der digitale Datenspeicher personenbezogene Daten umfasst, ist auf seine datenschutzkonforme Ausgestaltung (u.a. durch entsprechende Technikgestaltung und datenschutzfreundliche Voreinstellungen) besonderes Augenmerk zu legen.

Überwachung durch Technische Aufsicht

Während des autonomen Betriebs muss eine externe Überwachungsperson in die Fahrfunktion eingreifen und diese deaktivieren können. Die Technische Aufsicht ist nach den gesetzlichen Bestimmungen als menschliche Kontrollinstanz unabdingbar. Der Halter des autonomen Fahrzeugs muss die notwendigen sachlichen Voraussetzungen zur Verfügung zu stellen, damit die Technische Aufsicht ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommen kann. Dies erfordert unter anderem die Bereitstellung und die Einrichtung von Räumlichkeiten sowie informationstechnischen Systemen. Die Technische Aufsicht wird sich typischerweise in einer Zentrale befinden und für mehrere Fahrzeuge zeitgleich zuständig sein. Beispielsweise könnte es für Verkehrsbetriebe wirtschaftlich interessant sein, beim Einsatz von Shuttles zur Personenbeförderung auf zentral organisiertes Aufsichtspersonal zurückzugreifen.

An die Geeignetheit der Technischen Aufsicht werden anspruchsvolle Anforderungen gestellt. Insbesondere muss die betreffende natürliche Person über einen Abschluss in Maschinenbau, Fahrzeugtechnik oder einer vergleichbaren Fachrichtung verfügen und eine entsprechende Schulung in Bezug auf das überwachte Kraftfahrzeug mit autonomer Fahrfunktion erfolgreich abgeschlossen haben. Fahrzeughersteller sind spiegelbildlich verpflichtet, entsprechende Schulungen anzubieten.

Einsatz in festgelegtem Betriebsbereich

Autonome Kraftfahrzeuge dürfen nur in behördlich genehmigten Einsatzgebieten (sog. Betriebsbereichen) genutzt werden. Die Festlegung eines Betriebsbereichs erfolgt durch Genehmigung der zuständigen Behörde gegenüber dem Fahrzeughalter. Die Genehmigung eines bestimmten Betriebsbereichs kann zugleich für mehrere baugleiche Fahrzeuge erteilt werden. Fahrzeughalter dürften allerdings regelmäßig auf die Unterstützung des Fahrzeugherstellers angewiesen sein, um der Genehmigungsbehörde geeignete Einsatzgebiete vorschlagen und diese technisch ausrüsten zu können.

Ausblick -  überholendes Unionsrecht?

Jüngste Rechtsentwicklungen im Unionsrecht stellen die dauerhafte Relevanz der neuen Regelungen in StVG und AFGBV bereits wieder in Frage.

So besteht seit September 2022 die Möglichkeit einer eigenständigen EU-Typgenehmigung für automatisierte Fahrsysteme (kurz: ADS) auf Basis der sog. ADS-Verordnung. Zentrale Anforderung ist dabei die Erstellung eines ADS-Sicherheitskonzepts, das relevante Verkehrsszenarien, Gefahren und Risiken während der gesamten Betriebsdauer abdeckt. Es ist augenfällig, dass etwa die im nationalen Recht vorausgesetzte externe Rückfallebene (Technische Aufsicht) nach der ADS-Verordnung nur dann verpflichtend ist, wenn sie Teil des herstellerseitigen ADS-Sicherheitskonzeptes ist. Damit bietet das europäische Recht Herstellern größere Gestaltungsfreiheiten als das nationale Regelwerk. Das wirft zwangsläufig die Frage nach der Koexistenz beider Rechtsebenen auf.

In Kürze werden sich auf europäischer Ebene zudem Regelungen zur EU-Gesamtfahrzeug-Typgenehmigung autonomer Kraftfahrzeuge finden. Die Rahmenverordnung (EU) 2018/858 wird zu diesem Zweck durch eine delegierte Verordnung um technische Anforderungen an selbstpilotierte Fahrzeuge erweitert. Damit wird es Fahrzeugherstellern möglich, eine EU-Typgenehmigung für in Kleinserie hergestellte autonome Kraftfahrzeuge zu beantragen. Die EU-Gesamtfahrzeug-Typgenehmigung von autonomen Fahrzeugen, die in unbegrenzter Serie hergestellt werden, soll bereits bis Juli 2024 möglich werden.

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