Kündigungsschutzgesetz: Geschäftsführer zählen bei Schwellenwertberechnung nicht mit

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franziska fiedler Module
Franziska Fiedler

Associate
Deutschland

Als Associate der deutschen Praxisgruppe Arbeitsrecht und der International HR Services Group in Frankfurt berate ich meine Mandanten in allen Bereichen des individuellen und kollektiven Arbeitsrechts, insbesondere auf dem Gebiet der betrieblichen Altersversorgung.

Geschäftsführer sind keine Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG. Maßgeblich ist insoweit der nationale Arbeitnehmerbegriff.

BAG, Urteil vom 27.04.2021, Aktenzeichen 2 AZR 540/20

Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung

Der Arbeitnehmer hatte im zugrundeliegenden Fall Kündigungsschutzklage gegen eine ordentliche Kündigung erhoben und behauptet, dass die bei der Arbeitgebergesellschaft bestellten zwei Fremdgeschäftsführer hinsichtlich der Frage der Schwellenwertberechnung für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes mitzuzählen seien. Zum Kündigungszeitpunkt hatte der Arbeitgeber lediglich 8,5 Arbeitnehmer beschäftigt. Nur unter Hinzurechnung der Fremdgeschäftsführer wäre der erforderliche Schwellenwert von mehr als 10 beschäftigten Arbeitnehmern überschritten und das Kündigungsschutzgesetz anwendbar. 

Die Vorinstanzen hatten die Klage des Arbeitnehmers abgewiesen und auch vor dem Bundesarbeitsgericht hatte er keinen Erfolg.

Negative Fiktion des § 14 KSchG nicht ausschlaggebend

Das Landesarbeitsgericht hatte die Klageabweisung argumentativ im Wesentlichen auf § 14 Abs. 1 KSchG gestützt, der besagt, dass vertretungsberechtigte Organmitglieder keinen allgemeinen Kündigungsschutz genießen. Es entstehe ein Wertungswiderspruch, wenn man Fremdgeschäftsführern den gesetzlichen Kündigungsschutz versagen, aber sie gleichzeitig bei der Frage der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes mitberücksichtigen würde. 

Dem widersprach das Bundesarbeitsgericht. § 14 Abs. 1 KSchG ist vorliegend kein taugliches Argument. Zum einen ist die Frage des Vorliegens eines Kleinbetriebs, bei dem der gesetzliche Kündigungsschutz nicht zur Anwendung kommt, im vierten Abschnitt des Gesetzes geregelt, während die im § 14 Abs. 1 KSchG enthaltene negative Fiktion dem Wortlaut nach auf den ersten Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes beschränkt ist. Zum anderen bestehe für eine über den Wortlaut hinausgehende Anwendung des § 14 Abs. 1 KSchG kein Anlass. Hintergrund der negativen Fiktion des § 14 Abs. 1 KSchG ist es, dem vertretungsberechtigten Organmitglied solange den gesetzlichen Kündigungsschutz zu versagen, wie die Organstellung besteht. Dies gilt selbst dann, wenn das zugrundeliegende Schuldverhältnis ausnahmsweise materiell-rechtlich als Arbeitsverhältnis einzustufen ist. Denn obwohl Fremdgeschäftsführer üblicherweise auf Basis von Dienstverträgen beschäftigt werden, kommt es durchaus in Ausnahmefällen vor, dass eine Beschäftigung auf Grundlage eines Arbeitsvertrages erfolgt. Gleichwohl greift auch dann der gesetzliche Kündigungsschutz nicht, solange die Organstellung besteht, da juristische Personen ein besonders schutzwürdiges Interesse daran haben, die Anstellungsverträge ihrer Organmitglieder ohne soziale Rechtfertigung beenden zu können. Fällt die Organstellung weg, bevor das zugrundliegende Rechtsverhältnis gekündigt wird, kann u.U. der allgemeine Kündigungsschutz zur Anwendung kommen, wenn das zugrundliegende Rechtsverhältnis materiell-rechtlich als Arbeitsverhältnis einzustufen ist.

Dessen ungeachtet fehle es aber schon an dem vom Landesarbeitsgericht behaupteten Wertungswiderspruch. Das gesetzliche Regelungskonzept sieht vielmehr eine klare Unterscheidung zwischen dem persönlichen und dem betrieblichen Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes vor, die eine unterschiedliche Beurteilung rechtfertige. So werden Arbeitnehmer, die noch nicht länger als sechs Monate beim Arbeitgeber beschäftigt sind, bei der Berechnung des Schwellenwerts für die betriebliche Geltung des Kündigungsschutzgesetzes mitberücksichtigt, obwohl sie selbst noch keinen eigenen Kündigungsschutz genießen.

Allgemeines Kündigungsschutzrecht ist nicht unionsrechtlich determiniert

Ferner hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass im Rahmen der Bestimmung des betrieblichen Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes gemäß § 23 KSchG auf den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff – wie in § 611a BGB niedergelegt – abzustellen ist. 

Im vorliegenden Fall hatte der Kläger schon nicht dargelegt, dass die beiden Fremdgeschäftsführer im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt wurden. In der Praxis werden Fremdgeschäftsführer regelmäßig auf Grundlage eines freien Dienstverhältnisses tätig und nicht auf Basis eines Arbeitsvertrages. Zwar unterliegen sie dem Weisungsrecht der Gesellschafter. Allerdings ist diese Weisungsabhängigkeit im Regelfall nicht mit der eines Arbeitnehmers vergleichbar, da damit üblicherweise keine arbeitsbegleitenden und verfahrensorientierten Anweisungen, wie die Leistung zu erbringen ist, verbunden sind. 

Auch wenn der EuGH dies anders sieht und es für den unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff ausreichen lässt, dass überhaupt Weisungen erteilt werden, sind die insoweit aufgestellten Grundsätze vorliegend ohne Bedeutung. Das Bundesarbeitsgericht hat – wie die Vorinstanzen auch – klargestellt, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff nur dann maßgeblich sein kann, wenn Unionsrecht angewandt oder nationales Recht richtlinienkonform umgesetzt bzw. ausgelegt werden muss. Das allgemeine Kündigungsschutzrecht gemäß §§ 1, 23 KSchG ist hingegen nicht unionsrechtlich geprägt, so dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff vorliegend nicht zur Anwendung kommen kann.

Dies führt dazu, dass innerhalb eines Gesetzes gegebenenfalls unterschiedliche Arbeitnehmerbegriffe zur Anwendung kommen können, je nachdem, ob die einzelne Norm auf Europarecht zurückgeht oder nicht. Eine einheitliche Beurteilung des Arbeitnehmerbegriffs innerhalb eines Gesetzes ist nicht erforderlich. 

Der Kläger hatte mit Blick auf § 17 KSchG, der die Massenentlassung regelt und Fremdgeschäftsführer bei der Schwellenwertberechnung als Arbeitnehmer miteinbezieht, argumentiert, dass in § 23 und § 17 KSchG wesentliche Grundgedanken des Kündigungsschutzrechtes geregelt sind, so dass ein einheitliches Verständnis des Arbeitnehmerbegriffes zur Anwendung kommen müsse. Das Bundesarbeitsgericht hat jedoch geurteilt, dass insoweit nur ausschlaggebend sei, dass § 17 KSchG unionsrechtlich determiniert ist. Die Grundsätze der Massenentlassungsrichtline müssen bei der Auslegung der nationalen Vorschriften über anzeigepflichtige Entlassungen mitberücksichtigt werden. Das ist bei der Frage, ob das Kündigungsschutzgesetz in Kleinbetrieben zur Anwendung kommt oder nicht, jedoch nicht der Fall. Dieser Umstand allein rechtfertige, warum – innerhalb des Kündigungsschutzgesetzes – unterschiedliche Arbeitnehmerbegriffe zur Anwendung kommen.

Unbeachtlich ist ferner, dass Geschäftsführer im sozialversicherungsrechtlichem Sinne gemäß § 7 Abs. 1 SGB IV als Beschäftigte betrachtet werden können, die der Versicherungspflicht unterfallen. Der Beschäftigungsbegriff im Sinne des Sozialrechts ist nicht deckungsgleich mit dem des Arbeitsverhältnisses, so dass dies keine Auswirkungen auf die Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs in § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG haben kann.

Klarheit für die Praxis

Die Frage, ob und unter welchen Bedingungen Geschäftsführer als Arbeitnehmer angesehen werden können, beschäftigt die Gerichte regelmäßig. Zuletzt hatte insbesondere die Reichweite des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs für Irritationen gesorgt. Da der EuGH in der Vergangenheit Fremdgeschäftsführer aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlichen Weisungsabhängigkeit als Arbeitnehmer klassifizierte und bestimmten Arbeitnehmerschutzrechten unterstellte (z.B. Mutterschutzvorschriften), wurde eine Verwässerung des Arbeitnehmerbegriffs befürchtet.

Für die Praxis besteht nunmehr Klarheit, da das Bundesarbeitsgericht erneut in Fortführung seiner Rechtsprechung betont hat, dass der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff immer nur dann maßgeblich sein kann, wenn es um die Umsetzung und Anwendung von Europarecht geht. Fehlt es an einer solchen europäischen Prägung der maßgeblichen gesetzlichen Vorschrift, bleibt es bei dem nationalen Arbeitnehmerbegriff, der Fremdgeschäftsführer regelmäßig nicht umfasst.

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