Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende auch durch den Bundesrat

Das Gesetz zur Digitalisierung der Energiewende hat am 8. Juli 2016 im Bundesrat die letzte gesetzgeberische Hürde genommen. Es setzt einen Startschuss für den Roll-Out einer Infrastruktur von intelligenten Messsysteme (Smart Meters) und modernen Messeinrichtungen. Alle Beteiligten an den Energiemärkten müssen sich nun auf neue Aufgaben und Rollen einstellen.

Neue Rollen, neue Regulierung

Der Gesetzesentwurf (PDF), der durch eine Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Wirtschaft und Energie (PDF) vor der Entscheidung des Bundestags am 23. Juni 2016 noch leicht modifiziert wurde, fokussiert sich inhaltlich auf moderne Messeinrichtungen und intelligente Messsysteme und die sog. Smart Meter Gateways. Diese sollen nun nach einem festgelegten Roll-Out-Terminplan bei den verschiedenen Endnutzern und Einspeisern eingebaut werden.

Ziel der Novellierung ist es, die Energieversorgungsinfrastruktur auf einem hohen Datenschutz- und Datensicherheitsstandard an die Anforderungen der Digitalisierung anzupassen. Durch den Datenaustausch zwischen den Beteiligten sollen insbesondere intelligente Stromtarife möglich werden. An diese können die Endverbraucher ihre Energienutzung anpassen – beispielsweise, indem sie bestimmte Prozesse zu einer Zeit einleiten, während der die Energie besonders günstig ist.

Das neue Messstellenbetriebsgesetz

Kernbestandteil der Reform ist das neu eingeführte Messstellenbetriebsgesetz (MsbG). Dieses definiert auf insgesamt 77 Paragrafen neue Regeln für die Vermarktung und Verwendung von intelligenten Messsystemen, modernen Messeinrichtungen und Smart Meter Gateways.

Das Gesetz sieht für die Beteiligten am Energiemarkt neue Rollen vor. Im Zentrum steht dabei die Rolle des ‚Messstellenbetreibers‘, der für Einbau, Betrieb und Wartung der intelligenten Messstelle zuständig ist und in dieser Rolle reguliert wird (§  2 Nr. 12, § 3 ff. MsbG).

Die Rolle des Messstellenbetreibers fällt im Ausgangspunkt immer auf den Betreiber des Energieversorgungsnetzes (§ 2 Nr. 4 MsbG). Allerdings kann dieser seine „Grundzuständigkeit“ betreffend Smart Meters auch auf einen Dritten übertragen (§ 43 MsbG) oder zumindest einen Dritten mit der Rolle der technischen Administration der Geräte beauftragen (§ 2 Nr. 20 MsbG).

Auch die einzelnen Anschlussnehmer (z.B. Unternehmen der Wohnungswirtschaft) bzw. die einzelnen Anschlussnutzer (Letztverbraucher oder Anlagenbetreiber) können ‚Ihren‘ Messstellenbetreiber unter bestimmten Voraussetzungen selbst wählen (§§ 5 und 6 MsbG).

Das Gesetz definiert umfangreiche technische Anforderungen an die genutzte Mess- und Kommunikationstechnik (§§ 19 ff. MsbG). Die Bundesnetzagentur und das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) können diese Anforderungen durch Schutzprofile und technische Richtlinien weiter ergänzen. Weitere Informationen finden sich auf der Webseite des BSI.

Was wird nun passieren?

Nach langer kontroverser Diskussion ist mit Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens in Bundestag und Bundesrat der Startschuss gesetzt: Die betroffenen Unternehmen wissen nun, was auf sie zukommt. In den kommenden Wochen wird das Gesetz im Bundesgesetzblatt verkündet werden, direkt am nächsten Tag wird es in Kraft treten.

Für das Gesetz gilt allerdings: Nach der Reform ist vor der Reform. Denn die vielen datenschutzrechtlichen Vorschriften des MsbG werden ab dem 25. Mai 2018 schon wieder überholt sein. Zu diesem Zeitpunkt tritt die EU-Datenschutzgrundverordnung in Kraft, die für deutsches Datenschutzrecht einen engen Rahmen setzt (siehe ausführlich den Bird & Bird Guide to the General Data Protection Regulation, Kapitel 9). In vielen Bereichen, darunter auch Teile des MsbG, wird die Datenschutzgrundverordnung das deutsche Datenschutzrecht auch vollständig verdrängen. Es ist deshalb wahrscheinlich, dass der deutsche Gesetzgeber die datenschutzrechtlichen Regelungen im MsbG relativ zeitnah schon wieder abändern wird.

Der gestaffelte Roll-Out-Plan

Die nun beschlossene Regelung sieht für  Messstellenbetreiber einen zeitlich gestaffelten Roll-Out-Plan vor. In diesem sind bestimmte Gruppen von Letztverbrauchern und Anlagenbetreibern innerhalb bestimmter Zeitspannen mit intelligenten Messsystemen auszustatten (§ 31 MsbG). Der Roll-Out beginnt laut dem Gesetz bereits Anfang 2017 und soll sich bis 2032 fortsetzen. Welche Gruppen in welchen Zeiträumen anzuschließen sind, hängt bei den Letztverbrauchern vom Jahresverbrauch ab, bei den Anlagenbetreibern von der installierten Leistung.

  • 2017 bis 2024/2032: Ab Jahresbeginn 2017 startet der Roll-Out bei Letztverbrauchern mit mehr als 10.000 kWh pro Jahr und Anlagenbetreibern zwischen 7 und 100 kW installierter Leistung. Die meisten  Roll-Out-Fristen werden Ende 2024 auslaufen, nur bei Letztverbrauchern mit mehr als 100.000 kWh Jahresverbrauch läuft die Roll-Out-Frist bis 2032.
  • Ab 2020 bis 2027: Ab Jahresbeginn 2020 startet der Roll-Out auch bei Letztverbrauchern ab 6.000 kWh Jahresverbrauch und Anlagenbetreibern ab 100 kW installierter Leistung. Der Roll-Out muss bis 2027 beendet sein.
  • Für Anlagen im Sinne des §14a EnWG (unterbrechbare Verbrauchseinrichtungen in Niederspannung) und für EEG/KWKG-Anlagen gelten Sonderregelungen.

Bei den Verbrauchern bis zu 6.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch und Anlagenbetreibern über 1 bis einschließlich 7 kW Jahresleistung ist kein flächendeckender Pflichteinbau, sondern ein für den Messstellenbetreiber optionaler Einbau von intelligenten Messsystemen vorgesehen (§ 29 Abs. 2, § 31 Abs. 3 MsbG). Als letzte Variante sieht das MsbG für Fälle, in denen die Ausstattung mit intelligenten Messystemen nicht vorgesehen ist, den Einbau sog. „moderner Messeinrichtungen“ bis 2032 vor (§ 29 Abs. 3 MsbG).

In allen Fällen muss die Ausstattung technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar sein. Der Roll-Out kann nicht beginnen, bevor die erforderlichen Geräte von den Herstellern zur Verfügung gestellt worden und vom BSI zertifiziert worden sind (§ 30 MsbG).

Das Gesetz enthält für alle Konstellationen ein gestaffeltes, ausdifferenziertes System von Preisobergrenzen für jährliche Messstellenbetriebsentgelte. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Ausstattung von Messstellen mit intelligenten Messsystemen wirtschaftlich vertretbar bleibt.

Was müssen Unternehmen nun tun?

Für Messstellenbetreiber, Gerätelieferanten und Dienstleister wird es in den kommenden Monaten darauf ankommen, die zum Gesetz passenden Geschäftsmodelle zu entwickeln und praktisch umzusetzen. Der Gesetzgeber konnte jedenfalls nicht prognostizieren, wie oft grundzuständige Messstellenbetreiber die Option nutzen werden, auch Zählpunkte bis zu 6.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch unter Einhaltung der jeweiligen Preisobergrenzen mit intelligenten Messsystemen auszustatten.

1) Versorgungsnetzbetreiber

Betreiber von Energieversorgungsnetzen müssen eine zentrale Entscheidung gleich am Anfang des Prozesses treffen: In welchem Umfang sie die mit der „Digitalisierung der Energiewende“ verbundenen Aufgaben an externe Dienstleister übergeben wollen – sei es ganz oder teilweise, vorübergehend oder dauerhaft. Hier sind verschiedene Varianten denkbar.

Bei der Übertragung der „Grundzuständigkeit“, bei der ein anderes Unternehmen die wesentlichen Aufgaben des Messstellenbetriebs übernimmt, ist – wenn keine Ausnahme greift – ein Vergabeverfahren durchzuführen. Es kommt in einem solchen Verfahren dann einerseits auf die Beachtung der allgemeinen vergaberechtlichen Vorschriften an. Andererseits stellen die §§ 41 ff. MsbG an die Übertragung der „Grundzuständigkeit“ auch besondere zusätzliche vergaberechtlich relevante Anforderungen.

2) Dienstleister und Gerätehersteller

Unternehmen, die Unterstützungsleistungen für Smart Meters und moderne Messeinrichtungen anbieten wollen, können sich auf Basis des nun final vorliegenden Gesetzestextes auf die regulatorischen Anforderungen einstellen. Insbesondere ist das für Unternehmen notwendig, deren Unterstützungsleistungen in den Bereich einer der im Gesetz fest definierten „Rollen“ fällt (insb. die Rollen des ‚Messstellenbetreibers‘ und des ‚Smart Meter Gateway Administrators‘). Aber auch die eingesetzte Hardware muss genau definierten rechtlichen und technischen Anforderungen genügen; vor der Verwendung muss sie vom BSI zertifiziert werden.

3) Telekommunikationsdiensteanbieter

Für Anbieter von Telekommunikationsdiensten, die die Smart Meter-Infrastruktur vernetzen wollen, ist zunächst einmal wichtig, dass das MsbG technologieneutral ausgestaltet ist. Es kommen also unterschiedliche Technologien in Frage. 

Telekommunikationsdienste, die für die neue Smart Meter-Infrastruktur genutzt werden sollen, müssen allerdings regulatorische Vorgaben beachten, u.a. zur Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit (§ 25 Abs. 2 MsbG) und zur Übertragungssicherheit (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 MsbG). Die Anforderungen können vom BSI und der Bundesnetzagentur auch nachträglich noch spezifiziert werden (§ 22; § 27; § 47 Abs. 1 Nr. 3; § 75 Nr. 1 MsbG). Das BSI stellt auf seiner Webseite eine Übersicht über seine bisherigen Anforderungen zur Verfügung.

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