Recht auf Nichterreichbarkeit

Das EU-Parlament fordert von der europäischen Kommission einen Entwurf für ein Recht auf Nichterreichbarkeit für Beschäftigte. Damit soll der Entgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben vorgebeugt werden.

Die Anzahl der Beschäftigten, die im Homeoffice arbeiten, hat sich im Zuge der Corona-Pandemie drastisch erhöht. Arbeiten von Zuhause aus ist dank technischer Hilfsmittel einfacher als je zuvor. Dieser Trend kann zu einer Entgrenzung zwischen Arbeits- und Privatleben führen: Vor dem Schlafengehen werden noch einmal die E-Mails gecheckt und beantwortet und morgens am Frühstückstisch bereits Nachrichten mit Kollegen ausgetauscht. Dem stellt sich das EU-Parlament entgegen und fordert von der Kommission einen Entwurf für eine Richtlinie für ein Recht auf Nichterreichbarkeit. Würde ein solches Recht auf Nichterreichbarkeit eine wesentliche Veränderung des Arbeitnehmerschutzes in Deutschland darstellen?

Bestehende Regelung zu Ruhezeiten nach dem Arbeitszeitgesetz

Das Arbeitszeitgesetz (ArbZG) beinhaltet bereits eine grundlegende Vorschrift zu Ruhezeiten. Gemäß § 5 Abs. 1 ArbZG muss jeder Arbeitnehmer nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden haben. Die Ruhezeit soll dabei der ungestörten Erholung dienen. In dieser Zeit darf der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber keinerlei Verpflichtungen unterliegen, die ihn an der freien Ausübung seiner eigenen Interessen hindern würden. Bei einer Unterbrechung ist eine erneute vollständige ununterbrochene Ruhezeit von mindestens 11 Stunden erforderlich.  

Es wird in diesem Zusammenhang weitgehend die Auffassung vertreten, dass nicht nennenswerte Arbeitsleistungen den Charakter der Ruhezeit nicht stören. Zumindest bei geringfügigen Unterbrechungen, wie dem bloßen Lesen einer E-Mail oder einer kurzen Abstimmung mit Arbeitskollegen, werde die Ruhezeit typischerweise nicht beeinträchtigt. Was ist aber, wenn die Beantwortung der E-Mail doch etwas länger dauert, z.B. 20 Minuten? Oder wenn einen das Lesen der E-Mail (z.B. vom Chef) innerlich aufwühlt? Solche Details sind nicht geklärt. Ein europäisches Recht auf Nichterreichbarkeit könnte sie klären.

Grundsätzlich keine Verpflichtung zur Erreichbarkeit außerhalb von Arbeitszeiten

Eine gesetzliche Verpflichtung zur Erreichbarkeit von Arbeitnehmern „rund um die Uhr“ besteht im deutschen Recht nicht. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitnehmer mit einem Diensthandy des Arbeitgebers ausgestattet ist. Eine Erreichbarkeit ist grundsätzlich nur im Rahmen der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten geschuldet. Etwas anderes kann jedoch für Arbeitnehmer in Positionen mit mehr Verantwortung gelten. Andersherum betrachtet gibt es bislang aber auch kein ausgestaltetes Recht von Arbeitnehmern auf Nichterreichbarkeit.

Ausblick: Mögliches Recht auf Nichterreichbarkeit

Arbeitnehmer haben grundsätzlich keine Pflicht zur Erreichbarkeit außerhalb der Arbeitszeiten. Vielmehr müssen die Ruhezeiten des Arbeitszeitgesetzes eingehalten werden. Es bleibt abzuwarten, wie ein mögliches europäisches Recht auf Nichterreichbarkeit ausgestaltet wäre. Zumindest dürften einige bislang ungeklärte Fragen beantwortet werden.

Aus Arbeitgebersicht zu begrüßen wäre, wenn Ausnahmen geregelt werden, z.B. anhand von Einkommensgrenzen oder Führungsverantwortung. Eine große Abweichung - soweit das Recht auf Nichterreichbarkeit überhaupt kommt - zu den derzeit bereits geltenden Regelungen dürfte die Kodifizierung des Rechts auf Nichterreichbarkeit aber nicht darstellen. Sie könnte allerdings Arbeitnehmer in ihrem Bewusstsein bzw. Streben stärken, auch im Homeoffice nach Dienstschluss keine beruflichen Tätigkeiten mehr auszuüben. 

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