Das Einwurf-Einschreiben – sichere Zustellmethode oder Fallstrick vor Gericht?

Kommt es zwischen Parteien zum Streit, so entscheidet sich ein Prozess im Zivilrecht oftmals daran, wer was beweisen kann.

Urteil des BGH vom 27. September 2016 (II ZR 299/15)

So kommt beispielsweise im Kündigungsschutzprozess dem Beweis des Zugangs der Kündigungserklärung (zu einem bestimmten Zeitpunkt) oftmals eine entscheidende Rolle zu – beispielsweise, wenn darum gestritten wird, ob bestimmte Fristen eingehalten wurden (z.B. im Falle der Probe- bzw. Wartezeitkündigung). 

Mit seinem Urteil vom 27. September 2016 (II ZR 299/15) schien der Bundesgerichtshof endlich für Klarheit bezüglich des sog. Einwurf-Einschreibens zu sorgen und dies als sichere Zustellungsmethode anzuerkennen. Doch zumindest in der Arbeitsgerichtsbarkeit wird die Frage, inwieweit hierdurch der Zugang einer Erklärung bewiesen wird, weiterhin kontrovers diskutiert, da es an einer entsprechenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes bislang fehlt. 

Der Verfahrensablauf beim Einwurf-Einschreiben 

Das Einwurf-Einschreiben wurde zum 1. September 1997 von der Deutschen Post-AG eingeführt. Beim Einwurf-Einschreiben erfolgt die Ablieferung durch Einwurf der Sendung in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers. Unmittelbar vor dem Einwurf (jedenfalls in der Theorie) zieht der Postangestellte das so genannte „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dieser ab und klebt es auf den vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen, Auslieferungsbeleg. Auf diesem Beleg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Auf Wunsch erhält der Absender eine Reproduktion des elektronisch archivierten Auslieferungsbelegs. In der Praxis gab es teilweise Fälle, in denen Postangestellte die Belege gesammelt (und nicht wie vorgesehen einzeln direkt nach Einwurf) ausgefüllt hatten und so der genaue Zeitpunkt der Zustellung nicht bekannt war.

Ausgangspunkt des Streits: Die Beweismittel im Prozess

Fast so alt wie das Einwurf-Einschreiben selbst ist die Frage, inwieweit dieses im Prozess als Beweismittel für den Zugang einer Erklärung herangezogen werden kann. Hintergrund ist, dass es im Zivilprozess grundsätzlich eine abschließende Auflistung von Beweismitteln gibt, unter welche sich das Einwurf-Einschreiben nicht ohne Weiteres subsumieren lässt.

Bei dem reproduzierten Auslieferungsbeleg handelt es sich insbesondere nicht um eine „öffentliche Urkunde“, da die aus der Deutschen Bundespost hervorgegangene Deutsche Post AG, jedenfalls im Privatrechtsverkehr, keine öffentliche Behörde mehr darstellt. Auch die Vernehmung des Zustellers als Zeugen erweist sich regelmäßig als schwierig. Denn es kann verständlicherweise regelmäßig nicht erwartet werden, dass sich ein Zusteller in einem Prozess, der teilweise Wochen oder sogar Monate nach der Zustellung verhandelt wird, tatsächlich noch an den konkreten Zustellvorgang erinnern kann. 

Ein möglicher Ausweg – Der sog. „Anscheinsbeweis“

Dieses Problem wurde auch von den Gerichten erkannt und insofern überlegt, ob dem Einwurf-Einschreiben nicht zumindest Indizwirkung zukommt. Ins Gespräch gebracht wurde dabei der von der Rechtsprechung entwickelte so genannte Anscheinsbeweis. Das Besondere an diesem ist, dass damit von der grundsätzlichen Maxime des Zivilprozesses abgewichen wird, dass derjenige eine Tatsache beweisen muss, der sich auf diese ihm günstige Tatsache beruft. Beim Anscheinsbeweis gilt eine Tatsache, der ein typischer Geschehensablauf zugrunde liegt, zugunsten der beweisbelasteten Partei als bewiesen, solange die andere Partei nicht die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen, typischen Ablaufs beweist. Regelmäßig zum Einsatz kommt der Anscheinsbeweis im Verkehrsunfallprozess. So wird bei einem Auffahrunfall zugunsten des Vordermannes vermutet, dass den Auffahrenden die Schuld für diesen trifft (aufgrund der fehlenden Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes). Es obliegt dann der Gegenseite, diese Vermutung zu erschüttern.

Der Knackpunkt – die Zuverlässigkeit der Postdienstleister

Bei der Frage, ob es dem typischen Geschehensablauf entspricht, dass ein Einwurf-Einschreiben tatsächlich beim Empfänger ankommt, müssen die Gerichte letztlich Farbe bekennen. Und getreu dem Motto, zwei Juristen, drei Meinungen wurde dies dann im Jahr 2000 direkt auch gegensätzlich entschieden. Während das LG Potsdam in seinem Urteil vom 27.Juli.2000 (11 S 233/99) befand, dass ein solch typisierter Geschehensablauf nicht bejaht werden kann, so kam das AG Paderborn lediglich eine Woche später in seinem Urteil vom 3.August.2000  (51 C 76/00) zum genau gegenteiligen Schluss, nämlich, dass aufgrund der Tatsache, dass der Zusteller die Zustellung handschriftlich bestätigt, hinreichende Indizien für das Vorliegen eines Anscheinsbeweis bestehen. 

In den folgenden Jahren schlossen sich beiden Seiten erst- und zweitinstanzliche Gerichte an, was letztlich zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führte. Wollte man insoweit einen rechtssicheren Zugang bewirken, so blieb einem nur die Möglichkeit auf den Boten zurückzugreifen, der dann im Prozess als Zeuge benannt werden konnte.

Das Ende des Streits? – die Entscheidung des Bundesgerichtshofes

Entsprechend viele Hoffnungen waren insoweit mit dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 27. September 2016 (Az. II ZR 299/15) verbunden. Hierin stellte der Bundesgerichtshof klar, dass nach seiner Auffassung bei Einhaltung des beschriebenen ordnungsgemäßen Verfahrens beim Einwurf-Einschreiben der Einsendebeleg in Verbindung mit dem Auslieferungsbeleg als Anscheinsbeweis zugunsten des Versenders dafür streite, dass die entsprechende Erklärung auch zugestellt wurde und es insoweit dem Empfänger obliegt, Tatsachen vorzutragen, die diesen Anscheinsbeweis erschüttern.

Neuer Zweifel – der Sonderweg der Arbeitsgerichte  

Nur wenige Jahre später ist es mit dieser Klarheit – zumindest in der Arbeitsgerichtsbarkeit – aber bereits wieder vorbei. So hat sich das Arbeitsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 22.Februar.2019 (14 Ca 465/19) dagegen ausgesprochen, aus dem Urteil des BGH allgemeingültige Schlüsse im Hinblick auf die Zustellung von Erklärungen zu ziehen. In eine ähnliche Richtung geht auch das Arbeitsgericht Reutlingen, wenn es verlangt, dass der Versender jedenfalls den ordnungsgemäßen Zustellvorgang beweisen muss (Urteil vom 19. März 2019 – 7 Ca 89/19). Denn dies liefe letztlich wieder auf die Vernehmung des Zustellers hinaus, wodurch sich im Ergebnis kein Mehrwert des Einwurf-Einschreibens bietet. 

Ganz anders wiederum entschied das LAG Mecklenburg-Vorpommern (LAG Mecklenburg – Vorpommern, Urteil vom 12.März.2019 – 2 SA 139/18), welches ungeachtet der Tatsache, dass die Entscheidung des BGH im Zusammenhang mit einer Sondervorschrift des GmbH-Gesetzes erging, die hier getroffenen Aussagen grundsätzlich auf sämtliche Zustellvorgänge übertragbar hält. Dem Einwurf-Einschreiben komme bei Vorlage der Einlieferungs- und Reproduktion des Auslieferungsbelegs ein Anscheinsbeweis der Zustellung zugute. Andere Landesarbeitsgerichte konnten die Frage im Ergebnis bislang offenlassen (so zB LAG BW, Urteil vom 18.Juni.2019 – 15 Sa 47/19; LAG Rheinland-Pfalz vom 17.September.2019 – 5 Sa 57/19).

Fazit

Während bei den ordentlichen Gerichten das Urteil des Bundesgerichtshofs für Klarheit gesorgt hat, so schwelt der Streit im Arbeitsgerichtsprozess weiterhin. Will man hier derzeit auf der ganz sicheren Seite sein, so kommt man wohl nicht umhin die Erklärung persönlich durch einen Boten zustellen zu lassen und den gesamten Vorgang vom Eintüten des Originalschreibens bis zur Auslieferung ordentlich zu dokumentieren. In heiklen oder zeitkritischen Fällen sollte auf die Varianten der persönlichen Übergabe (wiederum nebst Zeugen) oder der Zustellung durch Boten zurückgegriffen werden. Für den üblichen Fall einer Standardkündigung, oder im Rahmen von größeren Kündigungswellen, kann jedoch – bereits aus Praktikabilitätsgründen – durchaus die Variante des Einwurf-Einschreibens gewählt werden. Dem Einwurf-Einschreiben kommt - nach hiesiger Überzeugung - bei ordnungsgemäßer und lückenloser Dokumentation der Beweis des ersten Anscheins für den erfolgten Zugang der dokumentierten Sendung zugute. 

Zu begrüßen ist insoweit auch die klare Positionierung des LAG Mecklenburg-Vorpommern, mit der die Hoffnung verbunden ist, dass sich weitere (Landes-)Arbeitsgerichte schon bald dieser Auffassung anschließen werden oder es diesbezüglich zu einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts kommt. Es mutet anderenfalls durchaus seltsam an, dass in weiten Teilen der Gesellschaft derzeit Digitalisierungsprozesse forciert werden und man sich gleichzeitig bei der beweissicheren Zustellung einseitiger Erklärungen jener Mittel bedienen müsste, wie vor Jahrhunderten. Letztlich wäre es auch mit dem Gedanken der Einheitlichkeit der Rechtsordnung nicht vertretbar, wenn das BAG ein- und dieselbe Fragestellung gegenteilig von dem BGH beurteilen würde, sodass – auch ohne Anrufung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes – die Hoffnung besteht, dass weitere Rechtssicherheit dieses für Arbeitgeber wichtigen Bereiches erwächst.

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