COVID-19: Konsequenzen für die Streitbeilegung in Deutschland

Die neuartige Coronavirus-Pandemie (COVID-19) hat weitreichende Folgen für den Zugang zur Justiz und zu alternativen Formen der Streitbeilegung in Deutschland. In diesem Artikel informieren wir Sie über die bisher getroffenen Maßnahmen und die Konsequenzen für aktuell anhängige Verfahren vor deutschen Gerichten. Bitte beachten Sie, dass sich die praktischen Auswirkungen jeden Tag ändern können.

1) Wie wirkt sich das Coronavirus auf anhängige Rechtsstreitigkeiten vor deutschen Gerichten aus?

Bislang sind deutsche Gerichte weiterhin in Betrieb und unterliegen keinem generellen „Lock-down“, arbeiten jedoch mit sehr eingeschränkten Ressourcen und eingeschränkter Verfügbarkeit. In der Praxis haben die meisten Gerichte bereits alle Termine zur mündlichen Verhandlung für die Monate März und April aufgehoben oder verlegt. Wenn Termine zur mündlichen Verhandlung im April und Mai noch nicht verlegt wurden, dann kann jede Partei die Verlegung des Termins beantragen. Die Gerichte werden mit hoher Wahrscheinlichkeit dem Antrag nachkommen. Denn regelmäßig kann ein Antrag auf Verlegung auf § 227 ZPO gestützt werden, da mit der Reisetätigkeit und der physischen Anwesenheit im Gericht aufgrund der Verbreitung des Coronavirus erhöhte Gesundheitsrisiken verbunden sind. Wir erwarten, dass Termine zur mündlichen Verhandlung nur in dringenden Fällen nicht verlegt werden.

Gemäß § 128a ZPO könnten mündliche Verhandlungen allerdings auch per Videokonferenz als Alternative zur physischen Anwesenheit vor Gericht durchgeführt werden. Uns sind hier auch einzelne Fälle bekannt, in denen Gerichte diese Option zumindest angedacht haben. Aufgrund der fehlenden technischen Ausstattung und der mangelnden Erfahrung der meisten Gerichte mit Videokonferenzen ist aber zu erwarten, dass die Gerichte von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen werden. Die Gerichte werden die Gerichtsverhandlungen weitgehend auf dringende Fälle beschränken. Um das Verfahren nicht zu verzögern, steht es den Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO frei, eine Entscheidung des Gerichts erster Instanz im schriftlichen Verfahren zu beantragen.

Die COVID-19 Pandemie ist regelmäßig kein Grund für den Ausschluss der Öffentlichkeit. Vielmehr sieht § 172 Nr. 1a GVG einen solchen Ausschluss der Öffentlichkeit nur dann vor, wenn eine Gefahr für Leben, Leib oder Freiheit eines Zeugen oder einer anderen Person besteht. In fast allen Fällen wird jedoch die Verlegung des Termins als milderes Mittel möglich sein.

2) Wie wird mit laufenden Gerichtsfristen umgegangen?

Darüber hinaus sind alle von den Gerichten gesetzten Fristen grundsätzlich nicht gehemmt, wenn das Gericht in Betrieb ist und keiner Zwangsschließung unterliegt. Alle Gerichte stellen einen Notfallbereitschaftsdienst sicher, so dass die Rechtspflege - wenn auch in sehr begrenztem Umfang - durchgeführt wird und es keinen Stillstand der Rechtspflege nach § 245 ZPO gibt. Im Allgemeinen muss die betroffene Partei formell gemäß § 224 Abs. 2 ZPO einen Antrag auf Fristverlängerung stellen. Dies gilt vor allem bei Krankheit der Parteien oder ihrer Vertreter oder etwa bei Schulschließungen. Unsere Erfahrung zeigt, dass die Gerichte, wenn ein solcher Antrag von der betroffenen Partei gestellt wird, bei der Gewährung der Fristverlängerungen recht großzügig sind, selbst ohne Rücksprache mit der Gegenpartei. Falls Verteidigungsmittel nicht rechtzeitig eingereicht werden können, sollten die Vertreter der Partei daher so bald wie möglich einen formellen Antrag auf Fristverlängerung stellen.

Bitte beachten Sie jedoch, dass einige Gerichte besondere Vorkehrungen bezüglich möglicher Hemmungen von Fristen in der Corona-Krise getroffen haben (z.B. das Landgericht Hannover). Diese können auf der Homepage des jeweiligen Gerichts nachgeschlagen oder telefonisch erfragt werden.

Bitte beachten Sie ebenso, dass bestimmte Fristen, unabhängig von der Corona-Krise, von den Gerichten nicht verlängert werden können. Nur wenn bestimmte Fristen unverschuldet versäumt werden, ist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (§ 233 ZPO). Darunter fallen z.B. die Frist für die Anzeige der Verteidigungsbereitschaft (§ 276 Abs. 1 ZPO), die Frist für den Einspruch gegen Versäumnisurteile (§ 339 Abs. 1 ZPO) oder die Frist für die Begründung der Berufung (§ 517 ZPO). Wir raten aber dringend davon ab, sich auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung zu verlassen.

Rechtliche Entwicklungen in Österreich:

Am 20. März 2020 hat das österreichische Parlament ein Bundesgesetz ("2. COVID-Gesetz") verabschiedet, das auch Regelungen zur Unterbrechung von Fristen enthält. Das Gesetz ist am 22. März 2020 in Kraft getreten. Es läuft mit Ende des 31. Dezember 2020 aus. Es besagt, dass in zivilgerichtlichen Verfahren alle Verfahrensfristen, die in die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ende des 30. April 2020 fallen, unterbrochen werden. Die jeweilige Frist beginnt am 1. Mai 2020 neu zu laufen. Ein entsprechendes Gesetz ist in Deutschland bisher nicht erlassen worden.

3) Welche Auswirkungen hat das auf die Verjährungsfristen?

Eine mögliche Hemmung der Verjährung durch höhere Gewalt nach § 206 BGB kommt in Betracht. Die Vorschrift stellt jedoch recht hohe Anforderungen. Es müssen Umstände vorliegen, die die Fristwahrung unmöglich machen und die auch bei größter Sorgfalt nicht vorhersehbar und abwendbar waren. Dies wäre grundsätzlich denkbar, wenn der Geschäfts- und/oder Gerichtsbetrieb aufgrund des Coronavirus und trotz entsprechender Vorsorge- und Vorbeugemaßnahmen ohne Verschulden des Klägers völlig zum Erliegen kommt. An dieser Stelle ist es jedoch nicht ratsam, sich auf die Wirkung einer möglichen Hemmung durch höhere Gewalt zu berufen, sondern andere Mittel zur Hemmung der Verjährung zu wählen.

4) Wie sieht es mit der Einleitung eines neuen Gerichtsverfahrens aus?

Da Schriftsätze über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) eingereicht werden können, dürfte die Einleitung eines neuen Verfahrens in der Praxis keine großen Schwierigkeiten bereiten. Wichtig ist die Einhaltung der jeweiligen Verjährungsfristen (gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) durch rechtzeitige Übermittlung des Schriftsatzes in das elektronische System. Wenn die Gerichte in Zukunft ihre Tätigkeit vorübergehend aussetzen und daher ein Anspruch der Gegenseite nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist zugestellt werden kann, könnte dieser dennoch wirksam sein und würde den Ablauf der Verjährungsfrist verhindern. Nimmt das Gericht seine Tätigkeit zu einem späteren Zeitpunkt wieder auf, so wirkt sich die erfolgte Zustellung des Schriftsatzes rückwirkend zum Zeitpunkt des Eingangs bei Gericht aus, wenn die Voraussetzungen des § 167 ZPO erfüllt sind.

5) Sind Dringlichkeitsmaßnahmen und einstweilige Verfügungen noch möglich?

Die Durchsetzung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtschutzes setzt voraus, dass das zuständige Gericht zumindest mit einer Notbesetzung arbeiten kann. Insbesondere, wenn Maßnahmen des einstweiligen Rechtschutzes erforderlich sind, sollte dies noch möglich sein. Bis heute haben alle deutschen Bundesländer erklärt, dass sie beabsichtigen, die Funktionsfähigkeit ihrer Gerichte, insbesondere im Hinblick auf einstweilige Maßnahmen, sicherzustellen. Wir haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass Prozesse vor den Gerichten deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen können als vor dem Ausbruch des Coronavirus. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Gerichtsbediensteten sowie zumindest ein erheblicher Teil der Richter von zuhause arbeiten. In diesen Zeiten kann es demnach schwierig sein, den Richter oder das Geschäftszimmer telefonisch zu erreichen, auch wenn dies die bevorzugte Methode ist, um den Stand von laufenden Verfahren zu erfragen. Dies sollte bei der Beantragung von einstweiligen Maßnahmen berücksichtigt werden.

Nach §§ 922 Abs. 1 Satz 1, 936 ZPO hat das Gericht im einstweiligen Rechtsschutz immer die Möglichkeit ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden. Dies gilt bisher insbesondere für Fälle, in denen die Gefahr besteht, dass der Antragsgegner die Vollstreckung der vorläufigen Entscheidung vereiteln könnte.

6) Was ist mit der Schiedsgerichtsbarkeit?

Auch auf die Schiedsgerichte hat die Corona-Pandemie praktische Auswirkungen. Wichtige Termine zur mündlichen Verhandlung bzw. Verfahrenskonferenz werden regelmäßig verlegt oder aufgehoben, aber eine Fernzustellung ist weiterhin möglich. Parteien und ihre Anwälte können durch staatliche Maßnahmen, wie die kürzlich angekündigten Reiseverbote, an der Teilnahme an mündlichen Anhörungen gehindert werden. Viele Schiedsordnungen sehen auch ausdrücklich die Möglichkeit vor, eine mündliche Verhandlung per Videokonferenz durchzuführen. Im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren bietet ein Schiedsverfahren den Parteien in Krisenzeiten eine größere Flexibilität. So wäre es beispielsweise ohne weiteres möglich, dass sich die Parteien darauf einigen, den Verhandlungsort in eine weniger vom Coronavirus betroffene Region zu verlegen (sofern eine Anreise möglich ist).

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