Alkohol am Arbeitsplatz

Eine kurze Übersicht anlässlich des Urteils, LAG Berlin-Brandenburg, 15 Sa 2498/18 

Alkohol am Arbeitsplatz ist ein komplexes Thema: Während es in einigen Branchen sozialadäquat sein kann auch einmal in der Mittagspause mit Kollegen oder Kunden anzustoßen, Karneval oder Weihnachten zu feiern, ist es andernorts (z.B. in Werksgeländen, im Cockpit und in Umgebung gefährlicher Maschinen) strengstens verboten Alkohol anzurühren. Entsprechend vielfältig ist auch die arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung mit diesem Thema. Eine besondere Gruppe nehmen dabei alkoholkranke Arbeitnehmer ein, die – oftmals jahrelang – ausfallen oder regelmäßig aufs Neue versuchen „trocken“ zu werden. Die Alkoholsucht stellt im Alltag und am Arbeitsplatz ein nicht zu unterschätzendes und sehr aktuelles Problem dar. Berichten zufolge hat jeder zehnte Arbeitnehmer in Deutschland einen riskanten Alkoholkonsum. Eine weitere Entscheidung hierzu hat im vergangenen Jahr das LAG Berlin-Brandenburg getroffen und in einem Einzelfall eine außerordentliche Kündigung wegen einer Alkoholerkrankung für wirksam erachtet. Diese Möglichkeit der Kündigung bestehe jedenfalls dann, wenn die Fehlzeiten des erkrankten Arbeitnehmers derart hoch seien, dass auch in Zukunft eine hohe Zahl an krankheitsbedingten Fehlzeiten zu erwarten und das Arbeitsverhältnis sinnentleert sei.
  

LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 24. Juli 2019 – 15 Sa 2498/18

Wirksamkeit einer Kündigung wegen Alkoholerkrankung

In konkretem Fall war die Arbeitnehmerin aufgrund ihrer Alkoholsucht seit Jahren nahezu dauerhaft arbeitsunfähig. Trotz mehrerer angefangener Entwöhnungstherapien in den vergangenen Jahren wurde sie nach Rückkehr zum Arbeitsplatz erneut rückfällig. Das LAG erklärte die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist für wirksam und folgte der sog. Drei-Stufen-Prüfung:

  1. Negative Gesundheitsprognose
    Der Arbeitgeber muss objektive Tatsachen vorlegen, die weitere Erkrankungen in bisherigen Umfang befürchten lassen. Dies ist gegeben, wenn bereits eine Entwöhnungstherapie erfolglos geblieben ist und der Arbeitnehmer nach der Therapie rückfällig geworden ist. Die Erkrankungen in der Vergangenheit haben indizielle Bedeutung für die künftige Entwicklung.

  2. Erhebliche Fehlzeiten prognostiziert
    Die prognostizierten Fehlzeiten müssen zu erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen führen. Dabei kommen neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen in Betracht, wenn Entgeltfortzahlungskosten zu erwarten sind, die für einen Zeitraum von mehr als 6 Wochen pro Jahr aufzubringen sind.

  3. Betriebliche Interessen überwiegen
    Eine umfassende Interessenabwägung muss im Rahmen einer außerordentlichen Kündigung zu dem Ergebnis kommen, dass die betrieblichen Interessen des Arbeitgebers in erheblichem Maße überwiegen, mithin deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen würde. Das Arbeitsverhältnis muss sinnentleert sein, d.h. der Arbeitnehmer trägt weder zur Förderung des Betriebszwecks bei noch kann sein Einsatz sinnvoll und verlässlich geplant werden. Das liegt jedenfalls dann vor, wenn der Arbeitnehmer in den letzten Jahren nahezu durchgehend arbeitsunfähig ist. Für einen Arbeitnehmer, der nur noch ganz wenige Tage pro Jahr für eine Arbeitsleistung zur Verfügung steht, könne eine zu bearbeitende Arbeitsmenge sinnvollerweise nicht vorgehalten werden, so das LAG. In einem solchen Fall sei es sinnvoll, den Arbeitsplatz nicht dauerhaft weiter frei zu halten.

Verhaltensbedingt oder personenbedingt?

Eine Kündigung wegen Alkoholmissbrauchs und/oder Alkoholismus ist entweder auf verhaltens- oder personenbedingten Gründen zu stützen. Um eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen muss eine schuldhafte Pflichtverletzung durch steuerbares Verhalten vorliegen. Von Alkoholismus als Krankheit spricht man, wenn aufgrund psychischer oder physischer Abhängigkeit trotz Einsicht weiterhin übermäßig Alkohol konsumiert wird. Das suchtbedingte Trinken ist daher kein steuerbares Verhalten, sondern vielmehr ein Umstand, der mit der Krankheit einhergeht. Begeht ein krankhaft trunksüchtiger Arbeitnehmer während der Arbeitszeit aufgrund seiner Alkoholisierung Pflichtverletzungen, begründet dies regelmäßig keine verhaltensbedingte Kündigung, da es aufgrund mangelnder Selbstkontrolle an einem steuerbaren Verhalten fehlt. Meist kommt daher bei einer Alkoholerkrankung keine verhaltensbedingte Kündigung (und keine Abmahnung) in Betracht. 

Die krankheitsbedingte Kündigung als personenbedingte ordentliche oder außerordentliche Kündigung ist in solchen Fällen üblicherweise die Option, wobei es stets auf den jeweiligen Einzelfall ankommt. Verhaltensbedingt kann ein Arbeitgeber (nach erfolgter Abmahnung) regelmäßig nur kündigen, wenn ein Nicht-Alkoholiker gegen ein in dem Unternehmen (wiederholt) geltendes Alkoholverbot verstößt und beispielsweise betrunken zur Arbeit erscheint oder sonstige arbeitsvertragliche Pflichten verletzt.

Alkohol am Arbeitsplatz – immer ein Kündigungsgrund?

In den meisten Unternehmen gilt für Arbeitnehmer nur ein relatives Alkoholverbot. Das bedeutet, dass der Arbeitnehmer sich nicht in einen Zustand versetzen darf, in dem er sich oder andere gefährdet und seine Arbeit nicht mehr ordnungsgemäß erledigen kann. Relative oder absolute Alkoholverbote können sich auch aus Tarifverträgen ergeben. Der Arbeitgeber kann darüber hinaus im Rahmen seines Weisungs- und Direktionsrechts ein relatives oder absolutes Alkoholverbot anordnen, wenn er die Grenzen des billigen Ermessens einhält. Die Grenzen des billigen Ermessens sind jedenfalls dann eingehalten, wenn ein absolutes Alkoholverbot für sicherheitsrelevante Bereiche angeordnet wird. In anderen Bereichen kann ein absolutes Alkoholverbot dagegen unzulässig sein, wenn es in die private Lebensgestaltung der betroffenen Arbeitnehmer eingreift, indem dem Arbeitnehmer je nach zeitlicher Nähe zum nächsten Arbeitsbeginn nur ein mäßiger oder sogar überhaupt kein Alkoholkonsum erlaubt wird. Ein Verstoß gegen ein zulässiges absolutes Alkoholverbot kann je nach Fall eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.

Besteht kein absolutes Alkoholverbot, so führt nicht jeder Alkoholkonsum während der Arbeitszeit zu einer (ggf. kündigungsrelevanten) Pflichtverletzung, soweit noch ein gesitteter Konsum vorliegt und der Arbeitnehmer seine Arbeitsfähigkeit nicht durch den Konsum einschränkt. 
Wann ein abmahn- oder kündigungsrelevanter Alkoholmissbrauch vorliegt, beurteilt sich nach den Umständen des Einzelfalls (insb. Art der Tätigkeit, Alkoholmenge, körperliche Verfassung des Arbeitnehmers, Gefahren für sich und andere).

Umgang mit Alkoholismus im Unternehmen

Der Arbeitgeber ist verpflichtet bei Anzeichen von Alkoholkonsum jegliche Gefahren zu vermeiden und Maßnahmen zur Prävention von Betriebsunfällen zu ergreifen. Arbeitgeber haben dabei eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter. Arbeitsschutzrecht und Unfallverhütungsvorschriften bilden den Rahmen, wobei es z.B. auch erforderlich sein kann, den betrunkenen Arbeitnehmer nicht mehr zu beschäftigen und ggf. auch für den Heimtransport des alkoholisierten Mitarbeiters zu sorgen. 

Eine allgemeine Verpflichtung der Arbeitnehmer zur Durchführung oder Duldung von Alkoholtests besteht dagegen nicht. Eine solche Verpflichtung kann sich jedoch aus Spezialgesetzen oder Tarifverträgen ergeben. Solche Alkoholtests dürfen jedoch nur mit Zustimmung des Arbeitnehmers durchgeführt werden, da sie stets einen Eingriff in die durch Art. 2 Abs. 1 iVm 1 Abs. 1 GG geschützte Intimsphäre des Arbeitnehmers darstellen.

Beteiligung des Betriebsrats 

Dem Betriebsrat steht in Fragen der Ordnung des Betriebes und des Verhaltens der Arbeitnehmer sowie bei Regelungen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und zum Gesundheitsschutz ein Mitbestimmungsrecht zu. Die Einführung eines Alkoholverbotes betrifft die Ordnung des Betriebs und unterliegt daher der Mitbestimmungspflicht, genauso wie die allgemeine Regelung zur Frage, wie bei einem Verdacht von Alkoholgenuss zu verfahren ist. Dem Betriebsrat kommt daneben auch das Recht zu, Vorschläge zur Vorbeugung und Unterbindung von Alkoholmissbrauch und davon ausgehenden Gefahren zu machen. Mitbestimmungspflichtig ist auch der Erlass einer Betriebsvereinbarung zur Einschränkung von Alkohol im Betrieb oder ein Verbot.

Fazit

Die Themen Alkohol am Arbeitsplatz und alkoholerkrankte Arbeitnehmer haben nicht nur in arbeitsgerichtlichen Verfahren praktische Relevanz. Sowohl für Arbeitgeber als auch für Arbeitnehmer bestehen zahlreiche Pflichten im Umgang mit Alkohol oder Alkoholproblemen. 
Generell ist hierbei eine besondere Sensibilität erforderlich und Arbeitgebern wird bei Alkoholerkrankungen grundsätzlich zunächst zugemutet, einen Therapieversuch des erkrankten Arbeitnehmers abzuwarten. Besonderheiten bestehen in sicherheitsrelevanten Bereichen, was verdeutlicht, dass Verallgemeinerungen nicht möglich sind. Wo erforderlich sollte der Arbeitgeber – ggf. in Kooperation mit dem Betriebsrat – klare Verhaltensregeln für den Genuss von Alkohol am Arbeitsplatz schaffen, die den tatsächlichen betrieblichen Erfordernissen gerecht werden. In aufkommenden Problemfällen empfiehlt sich regelmäßig intensives und dokumentiertes Mikromanagement des Falles und ein enger Austausch aller Betroffenen.
 

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