Vorratsdatenspeicherung vor dem Bundesverwaltungsgericht

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Anscheinend weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit – so jedenfalls der Eindruck nach einer Google-Recherche – verhandelt am morgigen 25.09.2019 das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die Revisionsverfahren zur Rechtmäßigkeit der Vorratsdatenspeicherung (Az. 6 C 12.18 und 6 C 13.18, weitere Informationen auf der Website des BVerwG).

 
Gegenstand der Verfahrens ist die Rechtmäßigkeit der in §§ 113a und 113b TKG geregelten Verpflichtung für Erbringer öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste für Endnutzer, Verkehrsdaten „auf Vorrat“ für Zwecke der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr zu speichern. Auch wenn das BVerwG voraussichtlich nicht das letzte Wort haben wird, sind die zu erwartenden Entscheidungen eine wichtige Weichenstellung für den weiteren Weg der Vorratsdatenspeicherung durch die Mühlen der Justiz.
 
Dies gibt Anlass, kurz die denkbaren Entscheidungsszenarien und deren Konsequenzen zu beleuchten. Denn das BVerwG verkündet häufig seine Entscheidungen noch am Tag der Verhandlung, so dass wir womöglich schon morgen oder übermorgen wissen, wie die Weichen gestellt werden. Dafür sind aus unserer Sicht grundsätzlich drei Szenarien denkbar:
 

1. BVerwG weist die Revision zurück

In diesem Szenario würde das BVerwG seine Entscheidung wohl im Wesentlichen auf die Argumente der Instanzgerichte (siehe das Urteil des VG Köln vom 20.04.2018, 9 K 3859/16) stützen. Da die Rechtsgrundlage (§ 113b i.V.m. 113a TKG) gegen Europarecht verstößt, kann sie den mit der Speicherpflicht einhergehenden Eingriff in die Unternehmensfreiheit der Diensteanbieter (Art. 16 GRC) nicht rechtfertigen.

Im Falle einer Zurückweisung der Revision durch das BVerwG wäre die BNetzA weiterhin an der Durchsetzung der Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung gehindert. Diensteanbieter müssten demnach bis zum Erlass einer europarechtskonformen gesetzlichen Neuregelung nichts zur Umsetzung der Speicherpflichten unternehmen. Auch wenn man dies aus Sicht der Bürgerrechte begrüßen mag, wäre eine weitere Folge jedoch, dass bereits zur Umsetzung der Speicherpflicht getätigte Investitionen auch weiterhin nutzlos bleiben würden.
 

2. Vorlage an den EuGH

Während das VG Köln keine Veranlassung dafür sah, ein Vorabentscheidungsverfahren anzustrengen (Art. 267 Abs.2 AEUV), ist denkbar, dass das BVerwG den EuGH um Klärung von Auslegungsfragen zur Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation bittet. Wie nachfolgend noch dargelegt, könnte insbesondere die Frage, inwieweit sich die klagenden Unternehmen auf die Verletzung des Fernmeldegeheimnisses ihrer Nutzer berufen können, dem EuGH vorgelegt werden.

Sollte sich das BVerwG tatsächlich für Vorlage an den EuGH entscheiden, bleibt den betroffenen Unternehmen nichts übrig, als dessen Entscheidung abzuwarten. In diesem Fall lässt sich erst nach Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den EuGH seriös beurteilen, welche weiteren Schritte Diensteanbieter gegebenenfalls unternehmen müssen. Die mehrjährige Hängepartie ginge also weiter.

3. Revision vor BVerwG hat Erfolg

Hat die Revision Erfolg, wird das BVerwG entweder in der Sache selbst entscheiden oder die angefochtenen Urteile des VG Köln aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Die Bundesrepublik Deutschland (d.h. die Beklagte des Verfahrens) hat dazu argumentiert, der EuGH habe in seinen Entscheidungen nicht die generelle Unzulässigkeit einer anlasslosen Speicherung von Verkehrsdaten festgestellt und die Regelungen des § 113a i.V.m. § 113b TKG unterscheide sich hinsichtlich der Speicherpflichten und Eingriffsintensität entscheidungserheblich von den vom EuGH beurteilten Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung in Großbritannien und Schweden.

Weiter könnte der 6. Senat des BVerwG eine klageabweisende Entscheidung auch darauf stützen, dass speicherpflichtige Unternehmen im Rahmen einer Inzidentkontrolle nicht Eingriffe in Grundrechte der Telekommunikationsteilnehmer geltend machen können. Ob die Kläger dies können, ist aus europarechtlicher Sicht noch offen (siehe die Anmerkung von Kühling zur Eilentscheidung des OVG Münster im Verfassungsblog; lesenswert auch die Erwiderung in den Kommentaren von Bäcker). Gerade der 6. Senat des BVerwG hat in anderen Zusammenhängen schon deutlich gemacht, dass er die Möglichkeit von TK-Anbietern, Grundrechtsverstöße von Telekommunikationsteilnehmern durch Überwachungsmaßnahmen zu rügen, restriktiv handhaben will (siehe das Urteil vom 30.05.2018, BVerwG 6 A 3.16, zur strategischen Fernmeldeüberwachung).

Vor diesem Hintergrund ist denkbar, dass das BVerwG bereits die Aktivlegitimation der Klägerinnen verneint und die Klagen deshalb abweist.
 
Nachdem die BNetzA als Reaktion auf den Beschluss des OVG NRW den Vollzug der §§ 113a und 113b TKG ausgesetzt hatte, wäre für den Fall einer erfolgreichen Revision zu erwarten, dass die BNetzA die Durchsetzung der Vorratsdatenspeicherung erneut vorantreiben würde. Unternehmen, die unter den Anwendungsbereich der § 113a und 113b TKG fallen, müssten dann die Speicherpflichten erfüllen, um Sanktionen durch die BNetzA zu vermeiden. Ob und in welchem Umfang die BNetzA dann noch Umsetzungsfristen einräumen würde, ist offen und sollte durch die zur Speicherung verpflichteten Unternehmen beobachtet werden.
 
Aber auch dann wäre die Hängepartie nicht beendet. Gut möglich, dass eine oder beide Klägerinnen die Angelegenheit dann mittels Urteilsverfassungsbeschwerden zum Bundesverfassungsgericht tragen würden. Dort sind außerdem bereits mehrere Gesetzesverfassungsbeschwerden unmittelbar gegen §§ 113a ff TKG anhängig (u.a. 1 BvR 2683/16). Schon deshalb ist zu erwarten, dass das BVerwG in dieser Sache nicht das letzte Wort haben wird.

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