Steuerliche Organschaft: Dünnes Eis bei konzerninterner Reorganisation

Finanzgericht Kassel, Urteil vom 28.05.2015 – 4 K 677/14

Ein bewährtes Mittel zur Steueroptimierung im Konzern ist die Bildung einer Organschaft, mittels derer verschiedene –rechtlich selbstständige – Unternehmen zu einer Besteuerungseinheit zusammengefasst werden. Sofern dies im Anwendungsbereich des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) erfolgt, setzt dies (gemäß § 14 KStG) zwischen dem Organträger und der Organgesellschaft (i) die durch eine Mehrheitsbeteiligung vermittelte unmittelbare oder mittelbare finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger und (ii) einen zwischen diesen Unternehmen auf mindestens fünf Jahre fest abgeschlossenen und während seiner gesamten Geltungsdauer tatsächlich durchgeführten Gewinnabführungsvertrag (GAV) voraus.

Problematisch kann dabei regelmäßig die zweite der genannten Voraussetzungen werden. Die Fünfjahresfrist dient dazu, das steuerlich günstige nur kurzfristige Allokieren von Erträgen zu vermeiden und so steuerlichen Missbräuchen vorzubeugen. Entsprechend wichtig ist es dem Gesetzgeber und der Finanzverwaltung, diese Voraussetzung zu zementieren: Erfolgt eine – zwar freilich ohne Weiteres zulässige – vorzeitige Beendigung des GAV innerhalb der ersten fünf Jahre seiner Laufzeit, etwa durch einvernehmliche Vertragsaufhebung oder einseitige Kündigung, so führt dies zur Versagung der Anerkennung der Organschaft mit Rückwirkung auf den Beginn der Fünfjahresfrist.

Ausgenommen von dieser Rechtsfolge sind gemäß § 14 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 S. 2 KStG nur die Fälle der Kündigung des GAV aus wichtigem Grund. Was nun aber genau als ein solcher zählt, darum wird in vielfacher Hinsicht trefflich gestritten. Zu dieser Thematik nahm das Finanzgericht Kassel in einem Urteil Stellung und warf damit ein Schlaglicht auf eine bestimmte sehr praxisrelevante Fallgruppe, nämlich inwiefern eine konzerninterne Reorganisation der an einem GAV beteiligten Unternehmen einen solchen wichtigen Grund darstellt.


1. Der Sachverhalt

Vereinfacht zusammengefasst lagen dem Urteil folgende Ereignisse zugrunde: Zwischen einer Organträgerin (Mutter) und einer Organgesellschaft (Tochter) bestand ein auf mehr als fünf Jahre fest abgeschlossener GAV. In diesem war von den Parteien vereinbart, dass ein wichtiger Grund zu seiner Kündigung dann vorliege, wenn der Organträgerin nicht mehr die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft zustünden.

Im dritten Jahr seiner Laufzeit nahm die Organträgerin eine Konzernreorganisation vor und schalte eine Zwischenholding (eine GmbH) zwischen sich und die Organgesellschaft, die nunmehr also nur noch die Enkelin der Organträgerin war. Diese Zwischenholding hielt noch weitere Beteiligungen neben der Organgesellschaft und sollte im Konzern als Profit Center fungieren. Um die neue Beteiligungskette nachzuzeichnen, kündigte die Organträgerin aus wichtigem Grund in Einklang mit dem vertraglich vereinbarten Kündigungsgrund des „Eigentümerwechsels“ – aber erst zwei Monate (!) nach diesem Eigentümerwechsel – den unmittelbar mit der Organgesellschaft bestehenden GAV zum Ablauf des Geschäftsjahres und ersetzte diesen – wie von Anfang an beabsichtigt – durch zwei neue GAVe; einen zwischen der Organträgerin und der Zwischenholding und einen weiteren zwischen der Zwischenholding und der Organgesellschaft.

Die Finanzverwaltung erkannte die erfolgte Reorganisation indessen nicht als wichtigen Grund im Sinne des KStG an, versagte dementsprechend rückwirkend die Organschaft und änderte sämtliche Körperschaftsteuerfestsetzungen seit Anbeginn der Laufzeit des gekündigten ursprünglichen GAV ab. Dies begründete sie damit, dass die Kündigung des GAV zum gleichen Stichtag wie die Einbringung der Organgesellschaft in die Zwischenholding hätte erfolgen müssen. Hiergegen klagte die Enkelin.

2. Die Entscheidung des Finanzgerichts Kassel

Das Gericht gab der Klage der Organgesellschaft statt. Zur Begründung führte es sinngemäß aus, dass es nicht darauf ankäme, ob gesellschaftsrechtlich oder nach dem Vertragstext des GAV ein wichtiger Grund zur Unterschreitung der fünfjährigen Mindestlaufzeit vorliege. Maßgeblich sei alleine die objektive steuerrechtliche Beurteilung. Andenfalls stünde der wichtige Grund im Belieben der Parteien des GAV. Zwar könnten im Einzelfall zivilrechtliche (also aus der Sphäre der Parteien stammende) Gründe ausreichen; so etwa die Verletzung wesentlicher Vertragspflichten durch einen der Vertragspartner. Jedenfalls dürften es die Vertragspartner aber nicht in der Hand haben, durch eine einfache vertragliche Vereinbarung von „wichtigen Gründen“ die Fünfjahresfrist nach Belieben zu umgehen.

Das Finanzgericht hielt die Kündigung aber gleichwohl unabhängig von den vertraglichen Vereinbarungen für aus wichtigem Grund berechtigt, also aus der maßgeblichen objektiven steuerrechtlichen Sicht. Im Ergebnis erkennt das Finanzgericht damit im vorliegenden Fall die Reorganisation durch Einschub einer Zwischenholding als wichtigen Grund im Sinne des KStG zur vorzeitigen Beendigung des GAV an. Es betont sodann aber auch im gleichen Atemzug, dass dem wiederum kein universaler Geltungsanspruch zukomme; eine Reorganisation sei jedenfalls dann kein wichtiger Grund, wenn durch eine konzerninterne Reorganisation nur der Anschein für einen die Verkürzung der Fünfjahresfrist rechtfertigenden wichtigen Grund geschaffen werden solle. Letztlich erkannte das Finanzgericht eine solche Missbrauchsabsicht vorliegend aber nicht, da die Einrichtung des Profit Centers ein nachvollziehbares Unterfangen sei und vor allem aber die damit zusammenhängende avisierte neue Struktur der gestuften GAVe erwiesenermaßen bereits vor der Reorganisation beabsichtigt gewesen sei.

3. Stellungnahme

Nicht wirklich überraschend – da insoweit schon früher von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgegeben – war die Feststellung, dass der die Kündigung des GAV rechtfertigende wichtige Grund vor dem Steuerrecht bestehen muss und nicht etwa von den Parteien vertraglich vereinbart werden könne.

Der Sachverhalt beweist aber sehr plastisch, wie sensibel die Finanzverwaltung auf die vorzeitige Beendigung eines GAV bei einer konzerninternen Reorganisation reagiert. Denn tritt man einen Schritt zurück, so zeigt das Gesamtbild doch recht überschaubar, dass in dem entschiedenen Fall – unabhängig von den vertraglichen Vereinbarungen und der zeitlichen Abfolge der Maßnahmen – ein steuerlicher Missbrauch zu keiner Zeit ernstlich drohte: der direkte GAV wurde nahtlos durch zwei gestufte ersetzt; an der vollständigen wirtschaftlichen Erfassung des Ergebnisses der Enkelin bei der Mutter änderte sich durch die Reorganisation mithin ersichtlich nichts. Dass dies aber die Organschaft in der Folge gar rückwirkend beseitigen soll, dürfte nicht interessengerecht sein.

Freilich machte es diese Konstellation des nahtlosen Anschluss-GAV, der wirtschaftlich auch noch zur selben Folge wie der ursprüngliche führt, dem Gericht somit einerseits leicht, eine Missbrauchskonstellation von der Hand zu weisen. Indessen ist andererseits auffällig, dass das Finanzgericht aber ganz entscheidend darauf abstellt, dass diese Struktur schon vor der Reorganisation klar ins Auge gefasst wurde. Es erscheint mithin sehr gut möglich, dass das Urteil gegenläufig ausgefallen wäre, wenn die erfolgte Reorganisation gleichsam nur nachträglich zum Anlass der Ersetzung des GAV genommen worden wäre, diese beiden Ereignisse nach dem subjektiven Vorstellungsbild der Beteiligten also nicht zwingend verknüpft gewesen wären. Hiermit setzt sich das Finanzgericht aber dem Vorwurf aus, seine eigene (und insoweit schon früher vom Bundesfinanzhof vorgegebene) Leitlinie zu konterkarieren, nämlich dass der wichtige Grund im Sinne des KStG rein objektiv aus steuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen sei und eben nicht von den subjektiven Zweckvorstellungen der Parteien abhängt. In der Sache kann es demnach also eigentlich keine Rolle spielen, ob die Parteien den Ersatz des GAV bereits vorher bedachten und entsprechend planten oder eben nicht – wenn jedenfalls feststeht, dass die Reorganisation ohnehin objektiv nachvollziehbar einen (steuerrechtlich) wichtigen Grund darstellt.

Gänzlich unklar ist aufgrund des Sachverhalts indessen, wie die Sache wohl ausgegangen wäre, wenn der GAV im Zuge der konzerninternen Reorganisation ersatzlos beendet worden wäre. Hier steht jedenfalls zu erwarten, dass die Hürden zur Darlegung des (allein maßgeblichen) steuerrechtlich wichtigen Grundes zur Kündigung ungleich höher als im entschiedenen Sachverhalt gewesen wären.

4. Praxisfolgen

Für Unternehmen, die eine konzerninterne Reorganisation anstreben, ist die Entscheidung als „verhalten erfreulich“ einzuordnen. Denn einerseits bedeutet die Entscheidung jedenfalls, dass die Rechtsprechung nach wie vor dort, wo die Bewertungsmaßstäbe der Finanzverwaltung klar überzogen erscheinen, korrigierend eingreift. Andererseits aber mangelt es dabei auch dem Konzept der Rechtsprechung hier und da noch am notwendigen Feinschliff, sodass das für die Praxis so wichtige Ziel der Rechtssicherheit noch nicht abschließend erreicht scheint.

Vor dem Hintergrund dessen handelt einstweilen aber derjenige richtig, der dann, wenn ein (noch junger) GAV in den Wirkungsradius einer geplanten Reorganisation gelangt, höchste Vorsicht walten lässt. Dies bedeutet konkret, dass (i) bereits vor dem eigentlichen „Startschuss“ zu der Reorganisation die finale Zielstruktur und alle damit im Zusammenhang stehenden (Anschluss-)Maßnahmen von Anfang an wohl durchdacht sein wollen. Um auch bezüglich der dargestellten Rechtsprechung auf der sicheren Seite zu sein, sollte (ii) im Vorfeld dokumentiert werden, dass die Änderung des GAV durch die Reorganisation in zweifacher Hinsicht bedingt ist: nämlich weil sie dadurch nicht nur objektiv erforderlich sondern dabei auch subjektiv bezweckt ist. Ratsam dürfte es zur Unterstreichung dessen weiterhin auch sein, (iii) die Anpassung des GAV bestenfalls auch in nicht allzu großem zeitlichem Abstand zu der eigentlichen Reorganisationsmaßnahme erfolgen zu lassen.

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