Entwaldungsfreie Lieferketten – Inhalte und Auswirkungen der EU-Entwaldungsverordnung

Am 29. Juni 2023 ist die sog. EU-Entwaldungsverordnung in Kraft getreten. Die Verordnung ist Teil des europäischen „Green-Deals“ und reiht sich damit in eine Vielzahl anderer Maßnahmen ein, um Lieferketten weltweit nachhaltiger zu gestalten. Unternehmen, die in von der Verordnung regulierten Industrien tätig sind, sollten sich möglichst bald damit auseinandersetzen, ob sie von der Verordnung betroffen sind und falls ja, welche Nachhaltigkeitsstandards sich aus der Verordnung für ihr Unternehmen ergeben.

In diesem Beitrag geben wir einen ersten Überblick über die wichtigsten Inhalte der neuen EU-Entwaldungsverordnung:

Welche Unternehmen sind betroffen?

Von der Verordnung über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen, auf dem Unionsmarkt und ihre Ausfuhr aus der Union (Verordnung (EU) 2023/1115, nachfolgend „EU-Entwaldungsverordnung“ oder „Verordnung“) sind grundsätzlich alle Unternehmen betroffen, die Produkte in der EU in Verkehr bringen (Hersteller und Importeure), bereitstellen (Händler) oder aus der EU exportieren. Diese sog. „Wirtschaftsakteure“ treffen weitreichende Sorgfaltspflichten nach der EU-Entwaldungsverordnung. Für kleine und mittlere Unternehmen (nachfolgend „KMU“) sieht die EU-Entwaldungsverordnung (teilweise) Erleichterungen vor.

Welche Produkte sind erfasst?

Mit der EU-Entwaldungsverordnung will die Europäische Union einen Beitrag zur Eindämmung der weltweiten Entwaldung und zur Verringerung von Waldschädigung leisten.

Die Verordnung enthält hierfür vor allem Vorschriften für das Inverkehrbringen, die Bereitstellung und die Ausfuhr von Produkten, die relevante Rohstoffe enthalten oder unter Verwendung solcher Rohstoffe hergestellt wurden. Zu den relevanten Rohstoffen zählen (i) Rinder, (ii) Kakao, (iii) Kaffee, (iv) Ölpalmen, (v) Kautschuk, (vi) Soja und (vii) Holz sowie die im Anhang I zur EU-Entwaldungsverordnung genannten Erzeugnisse aus diesen Rohstoffen. Hierzu zählen etwa Leder, Produkte aus vulkanisiertem Kautschuk, neue, runderneuerte und gebrauchte Reifen sowie eine Vielzahl von Produkten auf Holzbasis.

Insgesamt ist demnach eine ganze Bandbreite an Produkten aus verschiedenen Industrie- und Handelszweigen (u.a. die Automobilindustrie, die Nahrungsmittelindustrie sowie die Verpackungsindustrie) von den Neuregelungen der EU-Entwaldungsverordnung betroffen.

Seit wann ist die EU-Entwaldungsverordnung in Kraft? Müssen Unternehmen diese sofort einhalten?

Die EU-Entwaldungsverordnung ist am 29. Juni 2023 in Kraft getreten. Sie gewährt verpflichteten Unternehmen jedoch gewisse (wenngleich knappe) Übergangsfristen zur Einhaltung der in der Verordnung festgelegten Sorgfaltspflichten. So gewährt die Verordnung Unternehmen, die eine gewisse Größe überschreiten eine Übergangsfrist von 18 Monaten, sodass die Verordnung für einen Großteil der in der EU ansässigen Unternehmen ab dem 30. Dezember 2024 umzusetzen ist. Lediglich für KMU gelten etwas längere Übergangsfristen von 24 Monaten, so dass KMU zum 30. Juni 2025 von der Verordnung in die Pflicht genommen werden.

Was ist künftig untersagt?

Die EU-Entwaldungsverordnung verpflichtet Unternehmen primär dazu, relevante Rohstoffe und Erzeugnisse ausschließlich dann in den Verkehr zu bringen, auf dem Markt bereitzustellen oder diese auszuführen, wenn diese:

(i) entwaldungsfrei sind,
(ii) nicht gegen einschlägige Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes verstoßen und
(iii) eine Sorgfaltserklärung vorliegt (vgl. zu den Anforderungen einer solchen Erklärung Anhang II der EU-Entwaldungsverordnung).

Entwaldungsfrei im Sinne der EU-Entwaldungsverordnung sind Rohstoffe und Erzeugnisse, wenn sie nicht von Flächen stammen, die nach dem Stichtag 31. Dezember 2020 entwaldet wurden oder bei denen es zu Waldschädigungen gekommen ist. Die zu beachtenden einschlägigen Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes umfassen keineswegs nur Gesetze, die den Wald- und Naturschutz betreffen, sondern insbesondere auch Menschenrechte, Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, Vorschriften zum Schutz indigener Völker sowie Steuer-, Korruptionsbekämpfungs-, Handels- und Zollvorschriften.

Welche weiteren Sorgfaltspflichten sind einzuhalten?

Um die Entwaldungsfreiheit sowie die Einhaltung lokalen Rechts zu gewährleisten, verlangt die EU-Entwaldungsverordnung zudem die Einhaltung verschiedener Sorgfalts- und Nachforschungspflichten, deren Umsetzung gänzlich dokumentiert und in einem Sorgfaltsbericht dargelegt werden muss. Die Sorgfaltspflichten der EU-Entwaldungsverordnung umfassen dabei vor allem das Sammeln von Informationen, Daten und Unterlagen zur Erfüllung der Informationsanforderungen (vgl. Art. 9 EU-Entwaldungsverordnung), Maßnahmen zur Risikobewertung (vgl. Art. 10 EU-Entwaldungsverordnung) und bei Vorliegen bestimmter Umstände die Einleitung von Maßnahmen zur Risikominderung (vgl. Art. 11 EU-Entwaldungsverordnung):

  • Die nach Art. 9 EU-Entwaldungsverordnung zu sammelnden Informationen umfassen vor allem Eigenschaften der Erzeugnisse (z.B. Bezeichnungen und Mengen, Erzeugerland, Geolokalisierungen der Grundstücke, von denen die verwendeten Rohstoffe stammen) sowie Daten zu Lieferanten und Abnehmern. Darüber hinaus ist insbesondere zu dokumentieren, dass ein höchstens vernachlässigbares Risiko bestand, dass die Erzeugnisse nicht entwaldungsfrei sind oder lokale Gesetze verletzt wurden. Diese Informationen und Daten sind vom Zeitpunkt des Inverkehrbringens der Erzeugnisse auf dem Markt für fünf Jahre aufzubewahren.
  • Auf Basis der nach Art. 9 EU-Entwaldungsverordnung zusammengetragenen Informationen und Daten haben verpflichtete Unternehmen sodann eine Risikoanalyse vorzunehmen (vgl. Art. 10 EU-Entwaldungsverordnung). Von dem Ergebnis dieser Risikoanalyse hängen insbesondere Ausfuhr und das Inverkehrbringen der Erzeugnisse ab. Denn nach der EU-Entwaldungsverordnung verpflichtete Unternehmen dürfen die relevanten Erzeugnisse weder in Verkehr bringen noch ausführen, es sei denn, die Risikobewertung ergibt, dass kein oder nur ein vernachlässigbares Risiko dahin gehend besteht, dass die relevanten Erzeugnisse nicht konform sind. Im Ergebnis darf also kein Anlass zur Sorge eines Verstoßes gegen die Verbote des Art. 3 EU-Entwaldungsverordnung bestehen.
  • Sofern die Risikoanalyse nach Art. 10 EU-Entwaldungsverordnung kein vernachlässigbares Risiko ergibt (ein Verstoß gegen Art. 3 EU-Entwaldungsverordnung also naheliegt), sind vom verpflichteten Unternehmen geeignete Maßnahmen zur Risikominderung zu erbringen. Dies ist zunächst die weitere Aufklärung des Sachverhalts, z.B. durch die Einholung zusätzlicher Informationen, Daten oder Unterlagen bzw. die Durchführung unabhängiger Audits. Darüber hinaus müssen verpflichtete Unternehmen angemessene Strategien, Kontrollen und/oder Verfahren einführen, um das Risiko der Nichtkonformität der relevanten Erzeugnisse zu verringern. Der gesamte Prozess muss dabei dokumentiert und mit einer Sorgfaltserklärung ergänzt werden (vgl. Art. 11 EU-Entwaldungsverordnung).

Welche Sanktionen und Haftungsrisiken drohen bei Nichteinhaltung?

Die relevanten Erzeugnisse, die gegen die EU-Entwaldungsverordnung verstoßen, dürfen nicht auf dem europäischen Markt in den Verkehr gebracht oder dort gehandelt werden (hierzu bereits vorstehend). Zum anderen drohen eine Reihe weiterer Sanktionen und Haftungsrisiken:

  • Verstöße gegen die EU-Entwaldungsverordnung können empfindliche Bußgelder von bis zu vier Prozent des erzielten Jahresumsatzes nach sich ziehen.
  • Außerdem können die zuständigen Marktüberwachungsbehörden die Rücknahme betroffener Produkte vom Markt sowie den Rückruf nicht-konformer Produkte von den Endkunden anordnen.
  • Ferner droht unter gewissen Voraussetzungen ein Ausschluss von der öffentlichen Auftragsvergabe und der öffentlichen Finanzierung.
  • Schließlich werden Verstöße gegen die EU-Entwaldungsverordnung veröffentlicht, so dass Unternehmen im Falle eines Verstoßes auch mit Reputationsverlusten rechnen müssen.

Was sollten verpflichtete Unternehmen jetzt beachten?

Auch wenn die Umsetzung der neuen Sorgfaltspflichten und die Überarbeitung interner Compliance-Strukturen mit (erheblichen) finanziellen und personellen Mehrbelastungen verbunden ist, sollten Unternehmen (insbesondere auch im Lichte der durchaus empfindlichen Sanktionen) zeitnah prüfen, ob sie in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Verpflichtete Unternehmen sollten zudem kontrollieren, inwieweit ihre Compliance-Systeme und internen Prozesse anzupassen sind. Hierzu zählt insbesondere auch die Überprüfung bestehender vertraglicher Beziehungen (und vorhandener Vertragstemplates). Denn insbesondere Maßnahmen zur Risikominimierung nach Art. 11 der EU-Entwaldungsverordnung können nur umfassend eingehalten werden, wenn entsprechende Maßnahmen in den Lieferverträgen implementiert sind. Dies gilt etwa für die Durchführung von Audits oder die Einholung von Informationen und Daten oder die Beschaffung sonstiger Unterlagen. Dabei sollten Unternehmen angesichts der knapp bemessenen Übergangsfristen keine Zeit verlieren. Erfahrungen – etwa mit dem kürzlich in Kraft getretenen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz („LkSG“) – zeigen, dass die Implementierung geeigneter und angemessener Compliance-Maßnahmen sowie die Anpassung von Standardvertragswerken (Allgemeine Einkaufs- und Verkaufsbedingungen etc.) einen nicht unbeträchtlichen Zeitaufwand in Anspruch nehmen.

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