München oder Madrid? Arbeitgeber dürfen Mitarbeiter ins Ausland versetzen

Die Arbeitswelt ist global immer stärker vernetzt und führt vermehrt zu einer internationaleren und länderübergreifenden wirtschaftlichen Aktivität vieler Unternehmen.

Die Errichtung von Standorten auch außerhalb der Bundesrepublik Deutschland bzw. die Einbindung in international agierende Konzerngesellschaften hat dabei auch Auswirkungen auf die Arbeitsorte der Arbeitnehmer. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich nunmehr in einem Urteil mit der Versetzung eines Arbeitnehmers ins Ausland befasst (BAG, Urt. v. 30. 11. 2022, Az. 5 AZR 336/21) und dabei entschieden, dass eine solche Versetzung durch den Arbeitgeber grundsätzlich möglich ist.

BAG, Urteil v. 30. 11. 2022, Aktenzeichen 5 AZR 336/21

Was war Gegenstand der Entscheidung? Von Nürnberg nach Bologna!

Die Parteien stritten darüber, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, einen Piloten, ins Ausland versetzen darf. 

Der verheiratete und gegenüber einem Kind unterhaltspflichtige Kläger schloss 2017 einen Arbeitsvertrag mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten, einem international tätigen Luftverkehrsunternehmen. In seiner Beschäftigung als Pilot war der Kläger an der Homebase am Flughafen Nürnberg stationiert. Die Rechtsvorgängerin teilte dem Kläger im Dezember 2019 mit, dass die Homebase am Flughafen Nürnberg Ende März 2020 aufgegeben werde.

Anfang 2020 ging das Arbeitsverhältnis auf die Beklagte über. Zwischen der Beklagten und der Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit e.V. besteht ein Vergütungstarifvertrag und ein Tarifsozialplan. In dem Tarifsozialplan wird der Prozess zum Umgang mit einem Pilotenüberhang in Deutschland, der sich aus einer dauerhaften Stilllegung oder Einschränkung des Stationierungsortes ergibt, in fünf Stufen geregelt. Für den Fall, dass nach den Stufen 1 bis 3 ein Personalüberhang verbleibt, kann die Beklagte auf Stufe 4 Piloten des betroffenen Stationierungsortes einen anderen Stationierungsort innerhalb Deutschlands oder in EU-Ländern per Versetzung zuweisen. Piloten, die an einen ausländischen Stationierungsort verlegt werden, werden sodann zu den dort geltenden Arbeitsbedingungen gemäß des an dem neuen Stationierungsort geltenden Tarifvertrages weiterbeschäftigt. Davon sind insbesondere auch die jeweiligen Gehälter der Piloten umfasst.

Die Beklagte versetzte den Kläger mit Schreiben vom 20. Januar 2020 zum 1. Mai 2020 an ihre Homebase am Flughafen Bologna/Italien. Gegen die Versetzung wehrte sich der Kläger mit seiner unter dem 17. Februar 2020 Klage beim zuständigen Arbeitsgericht eingereichten Klage, dass das Arbeitsverhältnis zu unveränderten Bedingungen fortbestehe. 

Er war der Ansicht, die Versetzung sei unwirksam, da weder der Arbeitsvertrag noch der Tarifvertrag eine Versetzung ins Ausland ermöglichten. Insbesondere sei die Versetzung ins Ausland auch nicht vom Weisungsrecht der Arbeitgeberin umfasst. Es sei unbillig, das gesamte Lebensumfeld des Klägers zu verändern und das Gehalt zu reduzieren. Insgesamt seien seine Interessen völlig unberücksichtigt bei der Versetzung völlig unberücksichtigt geblieben und ihm entstünden erhebliche Nachteile.

Die Beklagte meinte, § 106 S. 1 GewO erfasse auch eine Versetzung ins Ausland. Ihre Ausübung des Weisungsrechts wahre billiges Ermessen. 

Keine Beschränkung des Direktionsrechts auf Deutschland – Piloten müssen flexibel sein

Nachdem der Kläger schon in den Vorinstanzen erfolglos blieb, hat nunmehr auch das BAG bestätigt, dass die Versetzung des Klägers an die Homebase der Beklagten am Flughafen Bologna nach § 106 Satz 1 GewO wirksam sei.

„Der Arbeitgeber kann aufgrund seines arbeitsvertraglichen Direktionsrechts den Arbeitnehmer anweisen, an einem Arbeitsort des Unternehmens im Ausland zu arbeiten, wenn nicht im Arbeitsvertrag ausdrücklich oder den Umständen nach konkludent etwas anderes vereinbart worden ist.“ 

Zur Begründung führte das BAG an, dass der Arbeitgeber gemäß § 106 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen bestimme, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, eine Betriebsvereinbarung, einen anwendbaren Tarifvertrag oder durch das Gesetz festgelegt seien. Das Weisungsrecht aus § 106 GewO diene der Konkretisierung der vertraglich zugesagten Arbeitsaufgabe und sei das Gestaltungsmittel des Arbeitgebers, um seine unternehmerischen Ziele mittels der Arbeitnehmer umzusetzen. Enthält der Arbeitsvertrag keine Festlegung, könne der Ort der Arbeitsleistung durch das Weisungsrecht grundsätzlich einseitig bestimmt werden.

Das BAG führte insoweit aus, dass sich das Weisungsrecht dabei nicht auf das Territorium der Bundesrepublik Deutschland beschränke, da eine solche Begrenzung der Arbeitsorte dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu entnehmen sei. Die Konkretisierung des Arbeitsverhältnisses bzw. des Arbeitsortes gehe grundsätzlich über die Grenzen der Republik hinaus. 
Allerdings sei die Ausübung des Weisungsrechts durch eine Billigkeitskontrolle im jeweiligen Einzelfall begrenzt und unterliege billigem Ermessen im Sinne von § 315 Abs. 3 BGB. Deshalb müssten die wesentlichen Umstände des jeweiligen Einzelfalles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Eine Regelung, die einseitig die Interessen des Arbeitgebers durchsetze, ohne ausreichend auf das Interesse des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, entspreche nicht mehr billigem Ermessen. Bei Erteilung von Weisungen seien die Grundrechte der Arbeitnehmer sowie die Zumutbarkeit der Versetzung ins Ausland für den Arbeitnehmer zu beachten.

Eine neue Homebase ist nicht unfair

Im vorliegend entschiedenen Fall entsprach die Versetzung billigem Ermessen und hielt der Ausübungskontrolle stand.

Zwar sei aufseiten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser so zu einem Wohnortswechsel gezwungen sei, sich infolge der Versetzung sein Entgelt aufgrund des dort geltenden Vergütungssystems verringere und zusätzliche Miet- und Fahrtkosten entstünden.

Allerdings habe die Beklagte das in dem Tarifsozialplan vereinbarte Verfahren eingehalten. Infolge der Aufgabe der Homebase am Flughafen Nürnberg sei die Möglichkeit der dortigen Stationierung des Klägers entfallen. Offene Stellen an einem anderen inländischen Flughafen habe es nicht gegeben und ein Einsatz als Mobile Pilot sei nicht möglich gewesen. Alle am Flughafen Nürnberg stationierten Piloten seien nach Italien versetzt worden und der Kläger werde weiter beschäftigt. Eine Änderung des Vertrages finde nicht statt, das höhere Entgelt verliere der Kläger nur, weil der Geltungsbereich des Vergütungstarifvertrags auf die in Deutschland stationierten Piloten beschränkt sei. Zudem sehe der Tarifvertrag vor, dass Piloten, die an einem ausländischen Flughafen weiterarbeiten, zu den an diesem Ort geltenden Tarifvertrag behandelt werden. Es sei nicht unbillig, wenn die Beklagte mit der Versetzung verbundene Nachteile finanziell nicht stärker ausgleiche, als es der Tarifsozialplan vorsehe. 

Ein Blick in den Arbeitsvertrag kann sich für den Arbeitgeber lohnen

In einer dynamischen, internationalen Arbeitswelt mit weltweit länderübergreifend tätigen Konzernen verändern sich ständig die Rahmenbedingungen. Ein Unternehmen muss sich flexibel an die neuen Bedingungen anpassen, um konkurrenzfähig zu sein.

Ob die Versetzung einseitig durch Ausübung des Direktionsrechts erfolgen kann, hängt vom Inhalt des Arbeitsvertrages ab. Je weiter die Leistungspflicht im Arbeitsvertrag festgelegt ist, desto weiter reicht die einseitige Weisungsbefugnis des Arbeitgebers. Allein der Umstand, dass der Arbeitnehmer jahrelang an einem bestimmten Ort seine Arbeitsleistung erbracht hat, führt nicht dazu, dass die Arbeitsleistung nur noch an diesem Ort zu erbringen ist. Nach der neuen Entscheidung des BAG kann der Arbeitsort von internationalen Arbeitgebern nach betrieblicher Notwendigkeit auch ins Ausland verlegt werden. Ist – wie im vorliegenden Fall – im Arbeitsvertrag kein bestimmter Arbeitsort (z.B. Nürnberg) fest vereinbart, umfasst das Weisungsrecht grundsätzlich auch die Versetzung an einen ausländischen Arbeitsort. Jedoch ist dabei stets zu beachten, dass bei der jeweiligen Einzelfallentscheidung den Interessen des Arbeitnehmers hinreichend Rechnung getragen wird.

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