Mutterschutz und Elternzeit auch für GmbH-Geschäftsführer?

Da das Mutterschutzgesetz auf die europäische Mutterschutz-Richtlinie (Richtlinie 92/85/EWG) zurückgeht, hat auch die GmbH-Geschäftsführerin einen Anspruch auf Mutterschutz. Dies folgt aus einer unionsrechtlichen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs, die eine etwaige nationale Einordnung des Vertrages als Dienstverhältnis zwingend verdrängt. Entsprechendes gilt auch für das Antidiskriminierungsgesetz (AGG). Dagegen bleibt es für den Anspruch auf Elternzeit bei der nationalen Auslegung. Maßgeblich sind dann die Umstände des Einzelfalls.

Geschäftsführer als Arbeitnehmer?

Ob der Geschäftsführer einer GmbH als Arbeitnehmer gilt, ist seit jeher Gegenstand zahlreicher Diskussionen und gerichtlicher Entscheidungen. Ausgangspunkt für die Beantwortung der Frage ist, ob im konkreten Fall der nationale oder aber der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff heranzuziehen ist. Je nachdem, welcher Maßstab anzulegen ist, ergeben sich auch unterschiedliche Konsequenzen für die Anwendbarkeit von arbeitnehmerschützenden Normen. Der vorliegende Beitrag konzentriert sich auf die Arbeitnehmerrechte des Mutterschutzes und der Elternzeit und soll einen Überblick zu deren Anwendbarkeit bei GmbH-Geschäftsführern verschaffen.

Nationaler vs. Unionsrechtlicher Arbeitnehmerbegriff

Nach nationalem Verständnis ist Arbeitnehmer, wer durch den Arbeitsvertrag im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet ist. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit betreffen (vgl. § 611a Abs. 1 BGB). GmbH-Geschäftsführer nehmen als Organe juristischer Personen für diese Arbeitgeberfunktionen wahr, sodass es bei ihnen grundsätzlich an der für eine Arbeitnehmereigenschaft typischen weisungsgebundenen, fremdbestimmten Arbeit in persönlicher Abhängigkeit mangelt. Das BAG nimmt dennoch eine differenzierte Betrachtung vor und bejaht jedenfalls beim GmbH-Geschäftsführer die Möglichkeit einer Einordnung als Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen. In einer Einzelfallbetrachtung ist demnach auf den nach der konkreten Vertragsgestaltung gegebenen Grad der für den Arbeitnehmerstatus maßgeblichen persönlichen Abhängigkeit abzustellen. Es muss eine dem Über-Unterordnungsverhältnis typische Weisungsabhängigkeit des Geschäftsführers in Bezug auf die Konkretisierung seiner Arbeitspflicht vorliegen. Eine derartige Weisungsabhängigkeit fehlt stets, wenn der Geschäftsführer zugleich Gesellschafter der GmbH ist und nach seiner Kapitalbeteiligung einen so erheblichen Einfluss auf die Beschlussfassung der Gesellschafter hat, dass er jede ihm unangenehme Entscheidung verhindern kann (etwa bei einem Gesellschaftsanteil von 50 % oder mehr). Eine persönliche Abhängigkeit kann aber bejaht werden, wenn dieser einem umfassenden Direktionsrecht der Gesellschafter bezüglich Zeit, Dauer, Ort und Art der Tätigkeitsausführung unterliegt. Wenn eine solche Konstellation aber nicht gegeben ist, stellen Geschäftsführer im „Normalfall“ keine Arbeitnehmer dar. Bei dem Rechtsverhältnis handelt es sich dann um ein freies Dienstverhältnis.

Dahingegen findet der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff überall dort Anwendung, wo nationale Rechtsnormen durch Unionsrecht beeinflusst, geformt oder bedingt sind. Der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff ist anhand objektiver Kriterien zu definieren, die das Vertragsverhältnis im Hinblick auf die Rechte und Pflichten der Betroffenen kennzeichnen. Dem EuGH zufolge besteht das wesentliche Merkmal eines Arbeitsverhältnisses darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält (EuGH, Urteil vom 11.11.2010 - C-232/09 – „Danosa“). Darauf, ob die Rechtsbeziehung nach dem jeweiligen nationalen Recht als Arbeitsverhältnis anzusehen ist, kommt es wegen der gebotenen einheitlichen Auslegung des Unionsrechts nicht an. Somit ist die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Unionsrechts insbesondere bei Personen, die innerstaatlich als Selbstständige zu qualifizieren sind bzw. bei denen ein freies Dienstverhältnis vorliegt, nicht ausgeschlossen. Dies gilt auch für die Unternehmensleitung einer Kapitalgesellschaft. Auch bei einer unternehmensleitenden Tätigkeit sind dem EuGH nach die Bedingungen der Tätigkeit maßgeblich, insbesondere die Befugnisse des Geschäftsführers und seine gesellschaftsinterne Kontrolle. Abzustellen ist insgesamt auf ein sich ergebendes Unterordnungsverhältnis und den Grad der Unterordnung. Demnach kann der GmbH-Geschäftsführer durchaus als Arbeitnehmer anzusehen sein, wenn der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff anzuwenden ist.

Anspruch auf Mutterschutz

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze stellt sich nun die Frage nach der Anwendbarkeit von Arbeitnehmerrechten für Geschäftsführer. So ist fraglich, ob sich eine schwangere GmbH-Geschäftsführerin auf den Mutterschutz nach dem MuSchG berufen kann. Weil das deutsche MuSchG auf der europäischen Mutterschutz-Richtlinie (Richtlinie 92/85/EWG) beruht, ist hier der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff als Maßstab anzulegen. Demnach kann sich auch eine Geschäftsführerin auf die Regelungen des MuSchG berufen, weil sie grundsätzlich – wenn nicht ausnahmsweise etwas Anderes gilt – als Arbeitnehmerin anzusehen ist. Für diese gelten dann insbesondere die in der Praxis wichtigen Schutzfristen des § 3 MuSchG und das Kündigungsverbot aus § 9 MuSchG.

Elternzeit

GmbH-Geschäftsführer haben derzeit, mangels Arbeitnehmerstellung, keinen Anspruch auf Elternzeit nach § 15 BEEG. Die „Danosa“-Rechtsprechung des EuGH spielt hier keine Rolle, da im Rahmen des BEEG der nationale und nicht der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff als Maßstab anzulegen ist. Auch die gesetzliche Änderung des § 38 GmbHG ändert hieran nichts. Mit Wirkung zum 12.08.2021 wurde in § 38 Abs. 3 GmbHG ein Recht des Geschäftsführers auf Widerruf der Bestellung und Wiederbestellung geschaffen, das u.a. bei Elternzeit, Mutterschutz und Pflegezeit greifen soll. Man könnte daher auf den Gedanken kommen, dass Geschäftsführern durch diese Vorschrift zugleich ein Anspruch auf Elternzeit eingeräumt wird, weil sie davon ausgeht, dass Geschäftsführer in Elternzeit sind. Ob aber einer der erfassten Aussetzungsgründe des § 38 Abs. 3 GmbHG vorliegt, ist nach dem eigenständigen gesellschaftsrechtlichen Maßstab des § 38 Abs. 3 GmbHG zu ermitteln. So sind die Gründe zwar an die sozialrechtlichen Regelungen der § 3 MuSchG, § 15 BEEG und § 3 PflegeZG angelehnt; die Tatbestände der sozialrechtlichen Regelungen müssen aber für einen Aussetzungsantrag nach Abs. 3 nicht erfüllt sein, sondern haben nur Leitbildcharakter. Ziel der gesetzlichen Neuerung ist es nicht, die Stellung von Geschäftsführern an die von Arbeitnehmern anzunähern. Daher kann die Vorschrift des § 38 Abs. 3 GmbHG nur relevant werden, wenn etwa ein Anspruch auf Elternzeit individualvertraglich zwischen Arbeitgeber und Geschäftsführer vereinbart wurde oder der Geschäftsführer im Einzelfall auch nach der Rechtsprechung des BAG ausnahmsweise als Arbeitnehmer gilt und sich somit auf das BEEG berufen kann. Einen Anspruch auf Elternzeit begründet die Vorschrift jedoch auch nicht.

Diskriminierung durch das AGG

Ob auf GmbH-Geschäftsführer der Diskriminierungsschutz des AGG anwendbar ist, war lange Zeit in der Literatur und Rechtsprechung ungeklärt. Der persönliche Anwendungsbereich nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGG verlangt, dass die betroffene Person als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist. Weil das AGG aber auf den europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien beruht und diese umsetzt, ist auch der unionsrechtliche Arbeitnehmerbegriff anzulegen. Dies hat das BAG in einer Entscheidung aus dem Jahr 2019 nun auch ausdrücklich klargestellt. Demnach sei der Fremdgeschäftsführer einer GmbH bei europarechtskonformer Auslegung jedenfalls insoweit als Arbeitnehmer im Sinne von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags der sachliche Anwendungsbereich des AGG über § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG eröffnet ist. Um die Ziele der Antidiskriminierungsrichtlinien am besten zu verwirklichen (effet utile), sei eine Anwendung des AGG auf Leitungsorgane einer Kapitalgesellschaft geboten, wenn diese die Voraussetzung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs erfüllten. Dies sei bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH der Fall, da sie sich aufgrund des gesellschaftlichen Weisungsrechts und der jederzeitigen Abberufbarkeit zu der Gesellschaft in einem Unterordnungsverhältnis befänden. Die Entscheidung beschränkt sich zwar, dem Leitsatz nach ausdrücklich, auf die Einordnung von Fremdgeschäftsführern einer GmbH als unionsrechtliche Arbeitnehmer für den Fall der Kündigung. Die Entscheidungsgründe lassen sich jedoch auch auf andere Situationen übertragen, sodass es naheliegt, dass Fremdgeschäftsführer stets als Arbeitnehmer im unionsrechtlichen Sinne anzusehen sind und daher unter die unionsrechtlichen Arbeitnehmerschutzvorschriften fallen.

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