COVID-19: Management ohne Aufsicht?

Aufsichtsratssitzungen finden in deutschen Unternehmen in der Regel als Präsenzveranstaltungen statt. Dies ist grundsätzlich auch in Zeiten der aktuellen Pandemie möglich und zulässig. Dennoch besteht ein offenbares Bedürfnis, die persönliche Teilnahme an Aufsichtsratssitzungen sowie die erforderliche An- und Abreise zu vermeiden. Aufsichtsräte sowie die Vorstände von Aktiengesellschaften und Geschäftsführer von GmbH stellen sich daher die Frage, ob und wie die Präsenzsitzungen durch Videokonferenzen ersetzt werden können. Denn gerade jetzt sind unternehmerische Entscheidungen gefragt, die einen handlungsfähigen Aufsichtsrat verlangen. Beabsichtige Maßnahmen von Vorständen und Geschäftsführern bedürfen häufig der vorherigen Zustimmung des Aufsichtsrats, Personalmaßnahmen im Geschäftsführungsorgan müssen getroffen werden, Haupt- und Gesellschafterversammlungen sind vorzubereiten, der Abschlussprüfer ist zu beauftragen und die Mitwirkung des Aufsichtsrats bei der Prüfung und Feststellung des Jahresabschlusses duldet keinen Aufschub. 

Das am 28. März 2020 in Kraft getretene „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ („COVID-19-PG“) enthält befristete Erleichterungen für die Abhaltung von Hauptversammlungen und Gesellschafterversammlungen von Aktiengesellschaften und GmbH außerhalb der Präsenzversammlung. Darüber hinaus enthält es eine ausschließlich auf die Entscheidung des Vorstands von Aktiengesellschaften im Zusammenhang mit Hauptversammlungen ohne physische Präsenz bezogene Erleichterung, die hierfür erforderlichen Zustimmungsbeschlüsse des Aufsichtsrats außerhalb von Präsenzsitzungen zu fassen. Weitere Erleichterungen für die Arbeit des Aufsichtsrats enthält das COVID-19-PG nicht. 

Aufsichtsrat der AG

§ 108 AktG geht für die Aktiengesellschaft grundsätzlich von einer Präsenzsitzung des Aufsichtsrats aus, bei der abwesende Aufsichtsratsmitglieder ihre schriftliche Stimmabgabe nur durch Teilnehmer an der Sitzung überreichen lassen können. Nach § 108 Abs. 4 AktG sind zwar auch „schriftliche, fernmündliche oder andere vergleichbare Formen der Beschlussfassung des Aufsichtsrats“ statthaft. Dies gilt vorbehaltlich näherer Regelung durch Satzung oder Geschäftsordnung aber nur, wenn kein Mitglied diesem Verfahren widerspricht. 

Für die Videokonferenz gilt nach richtiger Auffassung, dass diese der Präsenzsitzung gleichzustellen ist und § 108 Abs. 4 AktG für sie gerade nicht gilt. Früher gegen diese Auffassung vorgebrachte Argumente dürften sich durch die technische Entwicklung und das praktische Beispiel der heute zu beobachteten „Staatsführung per Videoschalte“ endgültig überholt haben. Dennoch bleibt festzustellen, dass es hierzu keine gesicherte Rechtsprechung gibt und damit das Risiko der Nichtigkeit auf dieser Weise gefasster Beschlüsse verbleibt. Dies gilt insbesondere dann, wenn Satzung und Geschäftsordnung keine konkreten Regelungen hierzu enthalten.

Das hiermit verbundene Risiko ist daher rechtsicher nur zu vermeiden, wenn man die Beschlussfassung in einer Videokonferenz dem Regime des § 108 Abs. 4 AktG unterstellt. Dann wäre die Beschlussfassung des Aufsichtsrats per Videokonferenz mangels abweichender Regelung durch Satzung oder Geschäftsordnung nur zulässig, wenn kein Mitglied des Aufsichtsrats diesem Verfahren widerspricht. Damit hätte es allerdings jedes einzelne Aufsichtsratsmitglied in der Hand, die Beschlussfassung außerhalb einer Präsenzsitzung zu verhindern.

All dies gilt auch für die Befassung des Aufsichtsrats mit dem Jahresabschluss nach §§ 170, 171 AktG. Diese umfasst nicht nur die Prüfung des vom Vorstand aufgestellten und vorgelegten Jahresabschluss nebst Vorschlag über die Gewinnverwendung, sondern auch die Erörterung mit den zwingend teilnehmenden Abschlussprüfern, die schriftliche Berichterstattung an die Hauptversammlung sowie gegebenenfalls die Billigung des Jahresabschlusses. Ohne die Mitwirkung des Aufsichtsrats kann der Jahresabschluss nicht festgestellt werden. Die Feststellung erfolgt entweder durch Billigung des Aufsichtsrats oder durch Beschluss der Hauptversammlung auf Grundlage der Beschlüsse von Vorstand und Aufsichtsrat. Auch diese Aufsichtsratssitzung sollte nach richtiger Auffassung im Wege der Videokonferenz zulässig sein. Dennoch verbleibt das Risiko, dass die entsprechenden Beschlüsse des Aufsichtsrats nichtig sind, falls ein Aufsichtsratsmitglied dieser Form der Beschlussfassung widerspricht.

Aufsichtsrat der GmbH

Die Ausführungen zum Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft gelten weitestgehend auch für den Aufsichtsrat einer nach Mitbestimmungsgesetz oder Drittelbeteiligungsgesetz mitbestimmten GmbH. In beiden Fällen sind sowohl § 108 AktG als auch die §§ 170, 171 AktG zwingend anzuwenden. Entscheidender Unterschied ist allerdings, dass der Aufsichtsrat zwar den Jahresabschluss prüfen und über die Prüfung berichten muss, die Feststellung des Jahresabschlusses aber ausschließlich der Gesellschafterversammlung zugewiesen ist. Die aktienrechtlichen Bestimmungen über die Feststellung des Jahresabschlusses (§§ 172, 173 AktG) und die Gewinnverwendung (§ 174 AktG) gelten nicht für die mitbestimmte GmbH. Hier bleibt es jedenfalls mangels abweichender Regelung im Gesellschaftsvertrag bei der grundsätzlichen Kompetenzzuweisung an die Gesellschafter zur Feststellung des Jahresabschlusses und zur Ergebnisverwendung.

Bei der GmbH mit fakultativem Aufsichtsrat ist § 108 AktG grundsätzlich nicht anwendbar. Regelungen über das Handeln und die Beschlussfassung des Aufsichtsrats außerhalb von Präsenzsitzungen sollten daher im Gesellschaftsvertrag geregelt werden. Fehlt es an solchen Regelungen, sollte die Abhaltung von Aufsichtsratssitzungen durch Videokonferenz als zulässig angesehen werden. Auch hier fehlt es jedoch an einer gefestigten Rechtsprechung, sodass auch hier ein Restrisiko verbleibt, falls ein Aufsichtsratsmitglied dieser Form der Beschlussfassung widerspricht.

Sowohl beim fakultativen als auch beim mitbestimmten Aufsichtsrat der GmbH lassen sich darüber hinaus einzelne Aufsichtsratsbeschlüsse durch Gesellschafterweisungen ersetzen. Diese Möglichkeit sollte im Einzelfall erwogen und geprüft werden, um rechtliche Risiken zu minimieren.

Ausblick

Es bleibt zu hoffen, dass Gerichte, die sich mit der Zulässigkeit von Aufsichtsratssitzungen durch Videokonferenz auch bei Widerspruch eines Aufsichtsratsmitglieds befassen müssen, diese als zulässige Variante der Präsenzversammlung und nicht als Fall des § 108 Abs. 4 AktG ansehen werden. Dies würde dem technischen Fortschritt und dem nicht zuletzt durch die Pandemie deutlich gewordenen Bedarf entsprechen. Wünschenswert wäre allerdings ein klares Bekenntnis des Gesetzgebers zu organschaftlichem Handeln durch moderne Kommunikationsmittel und zwar über die Zeit der aktuellen Krise hinaus. 

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