BGH-Entscheidung zur Haftung des TÜV für mangelhafte Brustimplantate

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Christian Lindenthal, LL.M.

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Als Partner in unserem Münchner Büro berate ich Mandanten aus dem Pharmasektor zu Fragen an der Schnittstelle von gewerblichem Rechtsschutz, Wettbewerbsrecht und regulatorischen Vorgaben. Ich bin Mitglied unserer Praxisgruppe Gewerblicher Rechtschutz sowie der Sektorgruppe Life Sciences und Gesundheitswesen.

Der TÜV als „Benannte Stelle“ haftet gegenüber Patientinnen, denen mangelhafte Silikonbrustimplantate des französischen Herstellers PIP eingesetzt worden sind, zwar nicht aus Vertrag, möglicherweise aber deliktisch

Zwar gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass betroffene Patientinnen in einen Vertrag zwischen dem Medizinproduktehersteller und dem TÜV Rheinland als Zertifizierungsstelle einbezogen worden sind, sodass eine vertragliche Haftung ausscheidet. Allerdings kommt eine deliktische Haftung vor dem Hintergrund in Betracht, dass die Durchführung des EU-Konformitätsverfahrens grade auch dem Individualschutz der Empfänger von Medizinprodukten dienen soll. So hat der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst im Streit zwischen dem TÜV Rheinland und einer klagenden Krankenkasse geurteilt, welche die Kosten für notwendige Revisionsoperationen der bei ihr gesetzlich versicherten Patientinnen ersetzt verlangt (Urteil vom 27. Februar 2020, Az. VII ZR 151/18).

Worum ging es?

Seinen Anfang nahm der Fall bereits im Jahre 2010, als öffentlichkeits- und medienwirksam bekannt wurde, dass der französische Medizinproduktehersteller Poly Implant Prothèse (PIP) für seine Silikonbrustimplantate statt des dafür vorgesehenen Materials billigeres und nicht für den menschlichen Körper zugelassenes Industriesilikon verwendete.

Auf Empfehlung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte ließ sich daraufhin eine Vielzahl von Frauen ihre Implantate wieder entfernen. 26 von ihnen waren bei der im vorliegenden Verfahren klagenden Krankenkasse gesetzlich versichert. Diese verklagt nunmehr den TÜV Rheinland als für die Zertifizierung der Implantate zuständige, sogenannte „Benannte Stelle“ im Rahmen des EU-Konformitätsbewertungsverfahrens und verlangt Ersatz der Kosten der von ihr gegenüber ihren Versicherten getragenen Revisionsoperationen.

Sowohl vor dem Landgericht (LG) Nürnberg-Fürth als auch in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg scheiterte die Kasse. Die dortigen Richter lehnten eine Haftung des TÜV Rheinland bereits mangels Anspruchsgrundlage der Klägerin von vorne herein kategorisch ab.

Das Urteil des BGH

Der BGH hat das Urteil des OLG Nürnberg nun aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Grund hierfür war die Tatsache, dass die Ausgangsinstanz keinerlei Feststellungen zu einer Pflichtverletzung des beklagten TÜV Rheinland getroffen hatte, sondern dessen Haftung bereits aus „Rechtsgründen“, nämlich mangels erkennbarer Anspruchsgrundlage, verneinte. Dies sahen die obersten Bundesrichter nun allerdings anders. Zwar schlossen sie sich der Berufungsinstanz noch darin an, dass eine Haftung der Beklagten nach den Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ausscheide, da die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Versicherten der Klägerin in den Schutzbereich des zwischen PIP und der Beklagten geschlossenen Zertifizierungsvertrags nicht vorlägen – insbesondere fehle es an einem schutzwürdigen Interesse seitens PIP an der Einbeziehung. Der Zweck des Vertrags sei nicht auf den Schutz der Patientinnen ausgelegt, sondern diene der Eröffnung des Marktzugangs.

Allerdings schlossen die Karlsruher Richter eine deliktische Haftung der Beklagten nicht von vornherein aus. Vielmehr komme eine Haftung grundsätzlich in Betracht, da es sich bei den Regelungen zum EU-Konformitätsbewertungsverfahren und zu den Rechten und Pflichten der mit dessen Durchführung betrauten „Benannten Stelle“ um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB handele. Die maßgeblichen Regelungen dienten gerade dem Gesundheitsschutz der Produktempfänger, sodass der Individualschutz des einzelnen Patienten im Vordergrund stehe. Vor diesem Hintergrund obliege die Gewährleistung dieses Schutzes auch dem TÜV Rheinland als „Benannter Stelle“. Zudem sei die „Benannte Stelle“ gem. RL 93/42/EWG von ihrem Auftraggeber unabhängig, womit ihre Prüftätigkeit nicht nur dem Hersteller, sondern gerade auch den Medizinprodukteempfängern diene.

Praktische Folgen des Urteils

Für den TÜV Rheinland könnte es in Zukunft also teuer werden, sollte das OLG Nürnberg bei erneuter Prüfung des Falls tatsächliche eine haftungsrelevante Pflichtverletzung bei der Vornahme der ihm obliegenden Zertifizierungsleistungen feststellen. Darüber hinaus sind auch die Auswirkungen der Entscheidung auf andere regulatorische Bereiche nicht zu unterschätzen: So ging man bislang davon aus, dass die Mitwirkung  von „Benannten Stellen“ an der Durchführung des EU-Konformitätsverfahrens nicht nur im Medizinprodukterecht, sondern beispielsweise auch im Maschinenrecht eher dazu diente, dem Hersteller einschlägiges Wissen zu den anwendbaren Normen zur Verfügung zu stellen, um das Bewertungsverfahren möglichst einfach und ohne unnötige Belastungen für den Hersteller durchzuführen. Diese klare Richtung verlässt die Entscheidung des BGH, indem er die „Benannten Stellen“ in das deliktische Haftungsregime gegenüber Patienten und Empfängern der zertifizierten Produkte unter dem Gesichtspunkt einer nachlässigen Prüfung mit einbezieht. Damit stellt sich die spannende Frage, wie mit diesem potentiellen Haftungsrisiko etwa in Verträgen zwischen Medizinproduktehersteller und „Benannter Stelle“ künftig umgegangen wird.

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