Der neue Medienstaatsvertrag: Ein erster Überblick

Der Medienstaatsvertrag (MStV) hat eine lange Vorgeschichte: Schon seit ca. 5 Jahren werden Vorschläge diskutiert, das etwas angestaubte Landesrundfunkrecht grundlegend zu modernisieren und dabei auch von seiner starken Fixierung auf Fernsehen und Hörfunk zu befreien. Die neue Medienwelt ist digital, interaktiv, nicht-linear und Teil einer Plattform-Ökonomie. Dem soll auch das Medienrecht Rechnung tragen. Dazu haben die Ministerpräsidenten der Länder nun einen Entwurf verabschiedet, der voraussichtlich ab September 2020 bindendes Landesrecht sein wird.

Worum geht es?

Der MStV hat zwei wichtige Regelungsziele: Zum einen soll er die EU-Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste (AVMD-RL) umsetzen. Diese war 2018 novelliert worden und muss bis September 2020 in das deutsche Medienrecht übernommen sein. Zum anderen ist der Medienstaatsvertrag das Ergebnis einer langen Debatte rund um „Medienkonvergenz“ und Rundfunkrecht. Er soll die wichtigsten Regelungsziele des Rundfunkrechts (Vielfaltssicherung, Qualitätssicherung, Missbrauchsprävention) in die neue Medienwelt übertragen.

An wen richtet sich der neue Medienstaatsvertrag?

Wie bereits sein noch geltender Vorgänger, der Rundfunkstaatsvertrag, richtet der MStV sich an Rundfunkveranstalter und die Anbieter von Telemedien. Diese Begrifflichkeiten werden aber ausdrücklich „technologieneutral“ verstanden, weshalb darunter auch TV-Streaming-Angebote wie z.B. Let’s Plays oder Smartphone-Apps fallen können. 

Neue Adressaten des Medienstaatsvertrags sind außerdem „Medienintermediäre“, „Medienplattformen“, „Benutzeroberflächen“ sowie „Video-Sharing-Dienste“. 

  • Unter einem „Medienintermediär“ ist nach § 2 Nr. 16 MStV ein Telemedienangebot zu verstehen, „das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“. Damit sind beispielsweise Suchmaschinen, Soziale Netzwerke, App Stores oder Sprachassistenten gemeint. Auch andere Dienste, die Zugang zu Medienangeboten Dritter vermitteln, können in den Anwendungsbereich fallen. Die meisten Rechtspflichten des MStV sind nur auf Medienintermediäre bezogen, die im Durchschnitt monatlich mehr als eine Million Nutzer in Deutschland haben (§ 91 Abs. 2 MStV).

  • Eine „Medienplattform“ ist gem. § 2 Nr. 14 MStV ein Telemedienangebot, das Rundfunk und/oder journalistisch-redaktionelle Telemedien „zu einem Gesamtangebot zusammenfasst“. Der Haupt-Unterschied zum Medienintermediär ist dabei, dass der Betreiber einer Medienplattform die Inhalte miteinander bündelt, also zu einem neuen Angebot kombiniert. In der Regel dient dies dazu, um für das gebündelte Angebot eine zusätzliche Vergütung zu verlangen oder darüber Werbung zu vermarkten. Als Medienplattformen gelten insbesondere die TV-Produkte der Kabelnetzbetreiber sowie Plattformen wie „Magenta TV“ oder „Zattoo“. Auch bestimmte Endgeräte können als Medienplattform gelten.

  • Eine „Benutzeroberfläche“ ist gem. § 2 Nr. 15 MStV eine „Übersicht über Angebote“ von einer oder von mehreren Medienplattformen. Die Kategorie der Benutzeroberfläche ist also mit dem Begriff der Medienplattform eng verbunden. Allerdings muss eine Benutzeroberfläche nicht zwingend vom Anbieter einer Medienplattform kommen. Insbesondere zielt der MStV an dieser Stelle auf Benutzeroberflächen von Smart-TV-Geräten.

  • Ein „Video-Sharing-Dienst“ ist gem. § 2 Nr. 23 MStV ein Telemedienangebot, dessen Hauptzweck darin besteht, Fernsehsendungen oder nutzergenerierte Videos bereitzustellen. Auch Dienste, bei denen das Video-Sharing nur eine Nebenfunktion darstellt, fallen in den Anwendungsbereich, falls diese Nebenfunktion als „trennbar“ angesehen werden kann.

Der MStV soll auch für im Ausland niedergelassene Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen gelten, wenn diese ihr Angebot auf Deutschland ausrichten (Marktortprinzip - § 1 Abs. 8 MStV). Es kommt also anders als sonst im Rundfunkrecht nicht darauf an, wo diese Anbieter niedergelassen sind. Für Rundfunk, Video-Sharing-Dienste und sonstige Telemedien gilt weiterhin ein modifiziertes Herkunftslandprinzip (§ 1 Abs. 1-7, Abs. 8 Satz 2 MStV).

Was sind die wichtigsten Neuerungen?

Sämtliche neuen Regelungen darzustellen, würde hier den Rahmen sprengen. Ein knapper (und nicht vollständiger) Überblick:

  • Die ehemals sehr weitreichende Zulassungspflichtigkeit für linearen Rundfunk wird größtenteils aufgehoben (§ 54 MStV). Zulassungsfrei sind zukünftig Rundfunkprogramme, die durchschnittlich weniger als gleichzeitige 20.000 Nutzer erreichen. Auch Programme mit größerer Reichweite sind von der Lizenzpflicht freigestellt, wenn sie „nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten“.

  • Für Medienintermediäre werden umfangreiche Vorgaben zur Transparenz und Diskriminierungsfreiheit eingeführt, was die Vermittlung von Zugang zu Medieninhalten angeht (§§ 93, 94 MStV). Anbieter von Suchmaschinen App Stores und Sozialen Medien müssen also zukünftig darüber aufklären, nach welchen Kriterien sie Medienangebote (automatisiert) auswählen und anzeigen. Bei Fällen von vermuteter Diskriminierung können Medienanbieter sich bei einer Landesmedienanstalt beschweren. Diese wird in einem förmlichen Verfahren dann nachprüfen, ob der Medienintermediär gegen sein Diskriminierungsverbot verstoßen hat (§ 94 Abs. 3 und Abs. 4 MStV).

  • Für Benutzeroberflächen haben die Ministerpräsidenten eine ganze Reihe von neuen Rechtspflichten vorgesehen: Unter anderem gibt es hier eine Art „Must-Show-Pflicht“ zugunsten der Angebote des öffentlichen Rundfunks, der größten privaten Programme sowie für besondere ‚Qualitätsprogramme‘, die von den Landesmedienanstalten ausgewählt werden (§ 84 Abs. 3 und 4 MStV). Diese Angebote werden besonders privilegiert: Sie müssen auf der Benutzeroberfläche „leicht auffindbar“ sein. Im Übrigen gilt auch für die Anbieter von Benutzeroberflächen ein auf Meinungsvielfalt ausgerichtetes Diskriminierungsverbot (§ 84 Abs. 2 MStV) und eine Transparenzpflicht (§ 85 MStV).

  • Für Video-Sharing-Dienste enthält der MStV Regelungen in Bezug auf Werbung (§ 99 MStV) und einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten (§ 98 MStV). Außerdem werden neue Regelungen in Bezug auf Content-Moderation eingeführt, jedoch nicht im MStV, sondern über eine gleichzeitig stattfindende Novelle des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV).

  • Einige Neuregelungen kommen außerdem in Bezug auf Social Bots hinzu, d.h. auf von Computerprogrammen gesteuerte Accounts in Social Networks (§ 18 Abs. 3 MStV). Außerdem werden die Transparenzpflichten bei politischer Werbung im Internet erhöht (§ 22 Abs. 1 MStV). Neu geschaffen wird außerdem die Möglichkeit, dass sich Anbieter von journalistisch-redaktionellen Telemedien einer Selbstregulierungseinrichtung vergleichbar dem deutschen Presserat anschließen können (§ 19 MStV). Bei all diesen neuen Regelungen dürfte es sich um Reaktionen auf die „Desinformations“-Debatte handeln, die entstanden ist weil in einigen westeuropäischen Ländern große Wählertäuschungs-Kampagnen stattgefunden haben.

Dies war, wie gesagt, nur ein knapper erster Überblick. Es gibt eine Vielzahl von weiteren Änderungen, z.B. bei der Rundfunkwerbung oder den Must Carry-Regeln.

Wie geht es nun weiter?

Der Medienstaatsvertrag ist erst einmal von den Ministerpräsidenten beschlossen worden – und zwar ausdrücklich nur als Entwurf. In einem nächsten Schritt wird der neue Entwurf nun dem speziellen EU-Notifizierungsverfahren nach der EU-Richtlinie 2015/1535 unterzogen. In diesem Verfahren wird der Entwurf auf eine spezielle Konsultationsplattform hochgeladen, und die EU-Kommission untersucht den Entwurf auf dessen Vereinbarkeit mit dem EU-Recht.

Dass der Entwurf des MStV dieses Verfahren unverändert übersteht, ist keineswegs selbstverständlich. Vor allem bei den Neuerungen für Medienintermediäre ist fragwürdig, ob diese mit den Vorgaben der EU-E-Commerce-Richtlinie und der AVMD-Richtlinie vereinbar sind. Problematisch ist insbesondere das im MStV vorgesehene Marktortprinzip. Aus Sicht eines im Ausland niedergelassenen Anbieters handelt es sich hierbei um „Zweitregulierung im Empfangsstaat“. Genau eine solche Zweitregulierung sollen die EU-Richtlinien eigentlich vermeiden, um den EU-Binnenmarkt zu schützen.

Falls der MStV nicht aufgrund des Notifizierungsverfahrens erneuert werden muss, wird er dann von den Ministerpräsidenten offiziell als Staatsvertrag unterzeichnet. Er muss danach aber noch in jedem einzelnen Bundesland vom jeweiligen Landesparlament als Landesgesetz verabschiedet werden. Erst dadurch wird aus einem „völkerrechtlichen“ Staatsvertrag ein Gesetz. Voraussichtlich zum September 2020 wird der MStV dann in Kraft treten. Ob die Länder diesen ambitionierten Zeitplan halten können, ist aber noch offen.

Was bedeutet der MStV für betroffene Unternehmen?

Vielen der betroffenen Unternehmen war vermutlich bislang noch gar nicht bewusst, dass mit dem MStV eine Reihe neuer Rechtspflichten auf sie zukommen. Anbieter von Apps, Sozialen Medien, Sprachassistenten oder Smart-TVs sind als Regelungsadressaten im Medienrecht fast vollständig neu. Die betroffenen Unternehmen müssen in der verbleibenden Zeit nun die Regelungen des MStV verstehen und ihre Produkte und Dienste darauf anpassen. Auch müssen diese Anbieter bestimmte Schritte unternehmen, z.B. müssen sie Transparenzinformationen in ihr Angebot integrieren.

Auch für die Anbieter etablierter Medien bedeutet der MStV einige Neuerungen, beispielsweise im Zulassungsverfahren oder im Werberecht.

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