BGH: Wahrung der formalen Anforderungen der erneuten Aufforderung gemäß § 21 Absatz 1 Satz 2 GmbHG mittels eines Einwurf-Einschreibens

Die formalen Anforderungen einer erneuten Aufforderung mittels eingeschriebenen Briefs gem. § 21 I 2 GmbHG werden durch ein Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG gewahrt.

GmbHG § 21 I 2

BGH, Urteil vom 27.9.2016 – II ZR 299/15 (KG Berlin), NJW 2017, 68

Sachverhalt

Mit Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG vom 23.6.2011 wurde die Beklagte (BL) aufgefordert, einen noch offenen Betrag von EUR 15.000,00 auf das Stammkapital der Klägerin (KL) zu zahlen, eine Frist wurde bis zum 31.7.2011 für die Zahlung gesetzt und angekündigt, dass für den Fall der Nichteinhaltung der Frist gem. § 21 I 1 GmbHG der Ausschluss aus der Gesellschaft erfolgen werde. Eine Zahlung erfolgte nicht. Der Geschäftsanteil der BL an der KL wurde daraufhin kaduziert.

Der BGH hatte aufgrund der Revision der BL die Frage zu beantworten, ob die Kaduzierung nach § 21 II, III GmbHG deshalb unwirksam ist, weil die erneute Aufforderung zur Zahlung mittels eines Einwurf-Einschreibens statt eines Übergabe-Einschreibens erklärt wurde.

Entscheidung

Mit Urteil vom 27.9.2016 verwarf der BGH die Revision der BL und entschied, dass die formalen Anforderungen einer erneuten Aufforderung mittels eingeschriebenen Briefs gem. § 21 I 2 GmbHG durch ein Einwurf-Einschreiben der Deutschen Post AG gewahrt werden. Für die Begründung der Entscheidung zieht der BGH die allgemeinen Auslegungsmethoden heran.

Nach dem Wortlaut des § 21 I 2 GmbHG erfolgt die Zahlungsaufforderung mittels „eingeschriebenen Briefs“, also per Einschreiben. Sowohl das Einwurf-Einschreiben als auch das Übergabe-Einschreiben fällt unter den Oberbegriff des Einschreibens. Auch nach dem Willen des Gesetzgebers lässt sich kein Aus-schluss des Einwurf-Einschreibens als zulässige Form der Aufforderung im Sinne des § 21 I 2 GmbHG herleiten. Im Zeitpunkt der Einführung des § 21 I 2 GmbHG gab es nur das Übergabe-Einschreiben, so dass sich der Gesetzgeber erst gar nicht mit der Frage der Differenzierung befasst hat. Seitdem ist der Gesetzgeber untätig geblieben, was darauf schließen lässt, dass er trotz der Einführung des Einwurf-Einschreibens und kontroverser Diskussionen keinen Handlungsbedarf sieht.

Letztlich führt auch die teleologische Auslegung zu keinem anderen Ergebnis. Bei einer Gesamtbetrachtung der Vor- und Nachteile der beiden Versendungsarten in Bezug auf Sinn und Zweck der Norm ist das Einwurf-Einschreiben dem Übergabe-Einschreiben zumindest gleichwertig.

Sinn und Zweck eines Einschreibens ist die Zugangssicherung und die Sicherung der Beweisführung. Zur Zugangssicherung muss die Zahlungsaufforderung so in den Machtbereich des säumigen Gesellschafters gelangt sein, dass dieser unter normalen Umständen davon Kenntnis nehmen konnte. Diese Sicherung des Zugangs der Zahlungsaufforderung und die zweifelsfreie Kontrolle des Fristlaufs zu Beweiszwecken wird beim Einwurf-Einschreiben ebenso gut gewährleistet wie beim Übergabe-Einschreiben. Beim Übergabe-Einschreiben ergeben sich im Zweifel sogar mehr Schwierigkeiten, da der Zugang möglicherweise nicht bewirkt werden kann, weil der Empfänger die Sendung trotz Benachrichtigung nicht abholt. Hingegen liegt der Zugang beim Einwurf-Einschreiben bereits mit Einlegen des Einschreibens in den Briefkasten des Empfängers vor.

Praxisfolgen

Die Entscheidung des BGH schafft Rechtssicherheit für die Praxis im Hinblick auf die formalen Anforderungen i.S.d. § 21 I 2 GmbHG.

Praktisch relevant und spannend bleibt hingegen die Frage, inwieweit sich die Entscheidung des BGH auf andere Normen des GmbHG und weitergehend, mög-licherweise auch auf Normen außerhalb des GmbHG, die sich auf die Zustellung mittels eingeschriebenen Briefs beziehen, übertragen lässt. Relevant sind insbesondere die fingierte Preisgabe des Geschäftsanteils infolge eines Nachschussverlangens gem. § 27 I 2 GmbHG und die Einberufung einer Gesellschafter- und Hauptversammlung gem. § 51 I 1 GmbHG, § 121 IV 2 AktG. Für die genannten Normen kann festgehalten werden, dass keine der allgemeinen Auslegungsmethoden zu einem anderen Ergebnis führen als unter einem „eingeschrieben Brief“ auch das Einwurf-Einschreiben zu subsumieren. Die Entscheidung des BGH lässt sich wohl zudem auf sämtliche Rechtsvorschriften (z.B. §§ 262 I 2, 270 I UmwG; §§ 275 II 2, 293 2 UmwG) übertragen, deren Regelungsgehalt auf Zugangs- und Beweissicherung gerichtet ist. Ausnahmen sind dort angezeigt, wo die klassischen Auslegungsmethoden zu einem anderen Ergebnis kommen.

Hinsichtlich der Auswirkung auf etwaige Regelungen im Gesellschaftsvertrag, insbesondere im Hinblick auf die Form der Einberufung der Gesellschafterversamm-lung, lässt sich festhalten, dass es einer Konkretisierung des „eingeschriebenen Briefs“ nicht bedarf, sofern man der Ansicht folgt, dass die vorliegende Ent-scheidung des BGH sich auch auf die weiteren Normen des GmbHG erstreckt. Einzig der Fall, dass eine bestimmte Form des Einschreibens ausgeschlossen werden soll, ist durch die ausdrückliche Regelung im Gesellschaftsvertrag zu bestimmen.

An dieser Stelle sei jedoch festgehalten, dass der BGH lediglich eine Entscheidung explizit zu § 21 I 2 GmbHG getroffen hat. Ob der BGH seine Entscheidung auf andere Normen überträgt, bleibt abzuwarten.

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