Entscheidung zur Haftung bei Corona im Arbeitsverhältnis

Arbeitgeber haften für Vermögensschäden ihrer Arbeitnehmer, wenn sie gegen die Corona-Arbeitsschutzbestimmungen verstoßen. Dabei können sogar Vermögensschäden Dritter geltend gemacht werden. Dies hat das Landesarbeitsgericht München in einer der ersten Haftungsentscheidungen zum Coronavirus im Arbeitsverhältnis entschieden

Keine Hochzeit wegen Quarantäne Anordnung

In der Anfangsphase der Corona-Pandemie kam der Geschäftsführer der Arbeitgeberin aus seinem Urlaub aus Italien mit Erkältungssymptomen zurück. In der anschließenden Arbeitswoche fuhr er mit dem Auto und ohne Maske bzw. ohne Mund-Nasen-Schutz innerhalb von drei Tagen mit seiner – nun klagenden – Arbeitnehmerin zu zwei Veranstaltungen. Nach der zweiten Veranstaltung wurde der Geschäftsführer positiv auf das Coronavirus getestet.

Für die nicht erkrankte Arbeitnehmerin als Kontaktperson 1 des Geschäftsführers wurde eine neuntägige Quarantäne angeordnet. Zu Beginn der Pandemie 2020 waren die Regelungen deutlich restriktiver als sie es aufgrund des Fortschrittes der Impfkampagne heute sind. In dieser Konsequenz konnte die geplante kirchliche Trauung mit anschließender Hochzeitsfeier der Arbeitnehmerin nicht stattfinden. Die hierfür angefallenen und nun nutzlos aufgewendeten Kosten in Höhe von EUR 5.000 forderte sie von der Arbeitgeberin in Form des Schadensersatzes wegen einer Pflichtverletzung gegen die arbeitsrechtlichen Fürsorgepflichten sowie gegen die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (in der Fassung von August 2020). Der Haftungsanteil des Ehemanns wurde mittels Drittschadensliquidation geltend gemacht.

Verletzung der Fürsorgepflicht kann die Haftung des Arbeitgebers auslösen

Das LAG München hat die Berufung der Arbeitgeberin für unbegründet erachtet und hält den Schadensersatzanspruch der Arbeitnehmerin gem. §§ 280 Abs. 1, 282 BGB damit aufrecht. Mit dem Verstoß gegen die damals geltende SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel kam die Arbeitgeberin ihren Fürsorgepflichten nach § 241 Abs. 2 BGB gegenüber der Arbeitnehmerin nicht nach. Sie muss sich die Pflichtverletzung ihres Geschäftsführers nach § 31 BGB zurechnen lassen. Entscheidend war hier vor allem die fehlende Einhaltung der Mindestabstände sowie das Nichtfernbleiben vom Büro trotz Vorliegens von Krankheitssymptomen durch den Geschäftsführer.

Mit der Verletzung ihrer Fürsorgepflicht hat die Arbeitgeberin den Schaden, die Absage der Hochzeit mitsamt den angefallenen Kosten, kausal verursacht. Die Hochzeit hätte nicht abgesagt werden müssen, wenn die Arbeitnehmerin nicht in Quarantäne gemusst hätte. Dies wäre nicht eingetreten, wenn der Geschäftsführer nicht ins Büro gekommen wäre oder er auf eine getrennte Anreise in verschiedenen Autos bestanden hätte.

Ein schadensminderndes Mitverschulden der Arbeitnehmerin nach § 254 BGB wurde nicht anerkannt. Dieser sei es nicht zuzumuten, den Geschäftsführer und Vorgesetzten auf die Schaffung, Umsetzung oder Einhaltung eines Hygienekonzeptes hinzuweisen. Dies gilt ebenso im Hinblick auf den Gesundheitszustand des Vorgesetzten.

Schutz- und Fürsorgepflicht ernst nehmen

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass Arbeitgeber die ihnen obliegenden Schutz- und Fürsorgepflichten gem. § 241 Abs. 2 BGB gegenüber ihren Arbeitnehmern ernst nehmen müssen und daraus praktische Konsequenzen, bspw. in Form eines Hygienekonzeptes ableiten müssen. Die Rechtsfolgen können ansonsten weitreichend sein: Neben der hier vorliegenden Haftung wegen der Verletzung von Schutz- und Fürsorgepflichten droht bei nicht unerheblichen Verstößen des Arbeitsgebers die berechtigte Verweigerung der Arbeitsleistung bis der Arbeitsschutzmangel behoben wurde. Diesem Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers nach § 618, 273 Abs. 1 BGB kann weder mittels Abmahnung noch mittels verhaltensbedingter Kündigung begegnet werden. Je nach Art der Pflichtverletzung kann darüber hinaus auch ein Anspruch auf Herstellung des arbeitsschutzkonformen Zustandes seitens des Arbeitnehmers oder des zuständigen Betriebsrates durchsetzbar sein. Auch eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB ist möglich.

 

Die Zeit vor dem nächsten Corona Herbst nutzen

Ob die Entscheidung des LAG München den Auftakt für weitere Haftungsentscheidungen der Gerichte markiert, bleibt abzuwarten. Viele Entscheidungen zugunsten der Arbeitnehmer werden vor allem an der Kausalität und Beweisbarkeit der Verletzung von Arbeitsschutzregeln scheitern. Der Münchener Fall lieferte hierzu einen wohl selten idealen Sachverhalt.

Mit Ablauf des 25. Mai 2022 ist die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung außer Kraft gesetzt. Das Ministerium hat damit (vorläufig) den pandemischen Ausnahmezustand verlassen und überlässt es den Arbeitgebern, welche Maßnahmen zum betrieblichen Infektionsschutz noch in Kraft bleiben sollen. Dies ist eine trügerische Sicherheit. Für Unternehmen bleibt zur Vermeidung von Haftungsfällen entscheidend, dass stets eine aktuelle Gefährdungsbeurteilung für die potenziell gesundheitlichen Risiken der Arbeitnehmer vorzunehmen ist – dabei muss es nicht nur um Covid19 gehen. Darauf aufbauend sollte ein bestehendes oder zu erstellendes Hygienekonzept angepasst werden. Die Sommerzeit könnte daher auch ein Anlass sein, sich auf den kommenden Herbst und mögliche neue Corona-Schutzvorschriften einzustellen.

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