Hohe Hürden für Kündigungen von langzeiterkrankten Arbeitnehmer:innen

Zur Überbrückung von Ausfallzeiten Langzeiterkrankter kann es zumutbar sein, befristet oder sogar unbefristet Personal einzustellen. Die Hintergründe für eine Kündigung sind dem Betriebsrat detailliert mitzuteilen. Die subjektive Motivation des Arbeitgebers ist darzulegen.

Auch lange Ausfallzeiten sind kein Freifahrtschein für krankheitsbedingte Kündigungen

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 10.01.2024 – 3 Sa 74/23) hatte über einen Fall zu entscheiden, bei dem die Klägerin seit Oktober 2021 mehrfach kurzfristig und dann seit Anfang Dezember 2021 dauerhaft arbeitsunfähig erkrankt war. Mit einer Genesung war in den nächsten zwei Jahren nicht zu rechnen. Zunächst versuchte die beklagte Arbeitgeberin den Arbeitsausfall auf mehrere Arbeitnehmer:innen aufzuteilen. Dieser versucht Versuch scheiterte nach Ansicht der Beklagten jedoch, sodass sie einer anderen Arbeitskraft die Arbeitsaufgaben der Klägerin (dauerhaft) zuwies.

Die Beklagte hat sodann im November 2022 das Arbeitsverhältnis mit der Arbeitnehmerin durch Ausspruch einer ordentlichen Kündigung einseitig beendet. Die Beklagte hatte zuvor den bei ihr gebildeten Betriebsrat zur beabsichtigten Kündigung gem. § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) angehört, woraufhin dieser der beabsichtigten Kündigung zustimmte.

In dem ausführlichen Anhörungsschreiben begründete die Beklagte ihren Entschluss damit, dass infolge der langen Fehlzeit mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin nicht mehr zu rechnen sei und die betrieblichen Beeinträchtigungen infolge des nicht kompensierbaren Arbeitskraftverlustes nicht mehr zumutbar seien. Andere Arbeitnehmer:innen der Beklagten hätten die Aufgaben der Klägerin übernehmen müssen und dies sei auf Dauer nicht tragbar.

Zudem führte die Beklagte an, dass sie der Klägerin bereits zweimal ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX (Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch) („BEM“) angeboten habe. Beide Male hatte die Klägerin eine Teilnahme abgelehnt und sie sei somit nach Ansicht der Beklagten nicht an einer Wiedereingliederung interessiert.

Die Klägerin vertrat hingegen die Auffassung, dass keine negative Prognose über ihren Gesundheitszustand vorliege und ihre Ärzte ihr bestätigt hätten, dass sie im Oktober 2024 und somit in zwei Jahren wieder voll arbeitsfähig werde. Das BEM sei zu Unzeiten angeboten worden, da sie sich zu diesen Zeiten in einem Akutaufenthalt in einer Klinik befunden habe. Dies sei auch falsch im Anhörungsschreiben beschrieben worden.

Das Arbeitsgericht Elmshorn hatte der Kündigung zunächst stattgegeben (3 Ca 1330 d/22).

Dauerhafte Ersatzmöglichkeiten sollten vermieden werden

Das LAG Schleswig-Holstein hat die Berufung als unbegründet abgewiesen und damit bestätigt, dass die Kündigung rechtsfehlerhaft war. Die Kündigung sei gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, da sie nicht sozial gerechtfertigt sei. Eine personenbedingte Kündigung aufgrund einer langfristigen Krankheit sei im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG dann sozial gerechtfertigt, wenn

  1. hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Krankheit eine negative Prognose vorliege;
  2. eine auf der Arbeitsunfähigkeit beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen sei;
  3. eine Interessenabwägung deutlich mache, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung der Arbeitgeberin führe.

Bei langfristigen Arbeitsausfällen sei regelmäßig davon auszugehen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen vorliegt. Hat ein:e Arbeitnehmer:in keine sichere Kenntnis, ab wann seine bzw. ihre Arbeitsfähigkeit wieder besteht, steht dies einer andauernden Arbeitsunfähigkeit gleich, wenn zumindest in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Genesung zu rechnen sei. Auf der anderen Seite könnten Arbeitgeber:innen jedoch für einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten typischerweise ohne Schwierigkeiten eine befristete Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG überbrücken.

Erhebliche betriebliche Beeinträchtigung (2. Stufe), habe die Beklagte nicht (ausreichend) vorgetragen. Die Beklagte habe nur darauf verwiesen, dass mit einer „zukünftigen (…) Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit (nicht) zu rechnen sei.“. Eine solche Aussage erfülle zwar die Anforderungen an eine negative Prognose, allerdings werde daraus nicht klar, warum dies auch für den fraglichen Zeitraum zu erheblichen betrieblichen Einschränkungen führe. Somit folge daraus, dass die langfristige Unplanbarkeit nicht Grund für die Kündigung gewesen sei.

Stattdessen würden sich vielmehr dadurch betriebliche Beeinträchtigungen ergeben, dass die Beklagte dauerhaft einer anderen Arbeitnehmerin die Aufgaben der Klägerin zugewiesen habe. Der Arbeitsplatz folglich doppelt besetzt sei. Das Einstellen einer unbefristeten Arbeitskraft bzw. die dauerhafte Zuweisung einer solchen, sei möglicherweise dann gerechtfertigt, wenn befristete Arbeitskräfte nicht gefunden werden könnten. Für eine solche Argumentation hätte die Beklagte jedoch entsprechende Bestrebungen nachweisen müssen, etwa dass erfolglos nach einer befristeten Arbeitskraft gesucht wurde. ,

Die Betriebsratsanhörung sei zudem fehlerhaft gewesen. In dem die Beklagte eine andere Arbeitnehmerin die Arbeitsaufgaben der Klägerin zugewiesen habe, sei der Arbeitsplatz der Klägerin nun mehr dauerhaft doppelt besetzt. Dies sei der eigentliche Kündigungsgrund. Über diesen Umstand habe die Beklagte in der Anhörung jedoch nicht ausreichend, bzw. gar nicht berichtet. Dabei habe sie selbst durch die Doppelbesetzung den Grund für die Kündigung geschaffen und dies unerwähnt gelassen. Daher sei der Betriebsrat nicht in die Lage versetzt worden die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen.

Hohe Anforderungen an die Praxis

Die Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein verdeutlicht, welche hohen Anforderungen die Rechtsprechung an krankheitsbedingte Kündigung stellt. Die Ablehnung eines BEM ist bei weitem nicht ausreichend, um eine Kündigung zu begründen. Die Einstellung von zumindest befristeten Ersatzkräften sollte genau geprüft werden. Lässt die aktuelle schwierige Arbeitsmarktsituation den Einsatz von befristeten Kräften nicht zu, so sollten diese Einstellungsbestrebungen detailliert erfasst werden und erst dann nach unbefristetem Personal gesucht werden.

Um das Scheitern einer Kündigung an der Betriebsratsanhörung zu vermeiden, ist diese sorgfältig und mit ausreichend Detail- und Hintergrundinformationen vorzubereiten. Auch die subjektive (offensichtliche) Motivation des Arbeitgebers für eine Kündigung muss dabei erwähnt werden.

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