EuGH-Urteil: Deutscher Kündigungsschutz für Datenschutzbeauftragte ist grundsätzlich mit EU-Recht vereinbar, unterliegt aber Einschränkungen

Mit Urteil vom 22.06.2022 (Aktenzeichen C-534/20; abrufbar hier) hat der EuGH über die Vereinbarkeit des Kündigungsschutzes für Datenschutzbeauftragte (DSB) nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO entschieden. Der deutsche Sonderkündigungsschutz, wonach einem DSB nur aus wichtigem Grund (und somit nicht ordentlich) gekündigt werden kann, auch wenn die Kündigung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängt, steht nach Ansicht des EuGHs dem Unionsrecht nicht grundsätzlich entgegen. Voraussetzung ist jedoch, dass die Verwirklichung der Ziele der DSGVO dadurch nicht beeinträchtigt wird, namentlich dass der Datenschutzbeauftragter weiterhin ausreichend für seine Tätigkeit befähigt ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass eine Kündigung möglich sein muss, auch wenn die strengen Voraussetzungen nach der traditionellen arbeitnehmerfreundlichen Anwendung des deutschen Kündigungsschutzrecht nicht vorliegen. Wie die Gerichte damit in der Praxis umgehen, bleibt abzuwarten.

Hintergrund

Der Entscheidung des EuGHs liegt das mit Vorlagebeschluss vom 30.07.2020 (2 AZR 225/20) gefasste Vorabentscheidungsersuchen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zugrunde. Das BAG musste in einem Kündigungsschutzprozess über die Rechtmäßigkeit einer Kündigung einer DSB durch ihren Arbeitgeber entscheiden. Der Arbeitgeber, eine privatrechtlich organisierte Gesellschaft, die nach deutschem Recht zur Benennung eines DSB verpflichtet ist, hatte der DSB wegen einer Umstrukturierungsmaßnahme ordentlich gekündigt. Die Instanzgerichte hielten diese Kündigung für unwirksam, weil der Sonderkündigungsschutz für DSB nach § 38 Abs. 2 i.V.m. § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG anwendbar sei und das Arbeitsverhältnis somit nur aus wichtigem Grund hätte gekündigt werden dürfen.

§ 6 Abs. 4 BDSG, welcher gem. § 38 Abs. 2 BDSG auch auf verpflichtend benannte DSB nichtöffentlicher Stellen Anwendung findet, lautet wie folgt:

„Die Abberufung der oder des Datenschutzbeauftragten ist nur in entsprechender Anwendung des § 626 des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässig. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, welche die öffentliche Stelle zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. […]“ 

Das BAG hegte Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Regelung mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO („Der Datenschutzbeauftragte darf von dem Verantwortlichen oder dem Auftragsverarbeiter wegen der Erfüllung seiner Aufgaben nicht abberufen oder benachteiligt werden.“), weil die deutsche Regelung strengere Voraussetzungen an die Kündigung eines DSB anlegt als die unionsrechtliche Vorschrift. Ob neben der unionsrechtlichen Regelung auch noch Raum für eine mitgliedsstaatliche Regelung zur Kündigung eines DSB ist, wurde im deutschen Schrifttum bisher unterschiedlich beurteilt.

Vor diesem Hintergrund entwickelte das BAG u.a. die folgende Vorlagefrage an den EuGH :

„Ist Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO dahin auszulegen, dass er einer Bestimmung des nationalen Rechts, wie § 38 Abs. 1 und 2 in Verbindung mit § 6 Abs. 4 S. 2 BDSG, entgegensteht, die die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Datenschutzbeauftragten durch den Verantwortlichen, der sein Arbeitgeber ist, für unzulässig erklärt, unabhängig davon, ob sie wegen der Erfüllung seiner Aufgaben erfolgt?“

 

Die Entscheidung des EuGHs

Der EuGH hat die Vorlagefrage des BAG verneint und entschieden, dass Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO dahin auszulegen sei, dass er einer nationalen Regelung nicht entgegenstehe, nach der einem bei einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter beschäftigten DSB nur aus wichtigem Grund gekündigt werden kann, auch wenn die Kündigung nicht mit der Erfüllung seiner Aufgaben zusammenhängt, sofern diese Regelung die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigt.

Begründet hat der EuGH seine Entscheidung damit, dass Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO allein der Wahrung der funktionellen Unabhängigkeit des DSB sowie der Wirksamkeit der Bestimmungen der DSGVO diene. Die Regelung des Arbeitsverhältnisses zwischen einem Verantwortlichen oder einem Auftragsverarbeiter und dessen Beschäftigten sei damit jedoch nicht bezweckt und allenfalls beiläufig betroffen, soweit dies für die Erreichung der o.g. Ziele unbedingt erforderlich ist. Bei der Regelung des Kündigungsschutzes der DSB ginge es dagegen primär um Sozialpolitik. In diesem Bereich seien die Mitgliedsstaaten nicht gehindert, strengere Regelungen als der EU-Gesetzgeber vorzusehen, solange diese mit dem Unionsrecht vereinbar seien.

Was die Vereinbarkeit von Vorschriften für die arbeitgeberseitige Kündigung eines DSB mit der DSGVO anbelangt, so bemerkt der EuGH hierzu, dass ein strengerer Schutz die Verwirklichung der Ziele der DSGVO nicht beeinträchtigen dürfe. Dies wäre aber der Fall, wenn dieser Schutz

„jede durch einen Verantwortlichen oder einen Auftragsverarbeiter ausgesprochene Kündigung eines Datenschutzbeauftragten verböte, der nicht mehr die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen beruflichen Eigenschaften besitzt oder seine Aufgaben nicht im Einklang mit der DSGVO erfüllt.“

 

Ist damit alles geklärt?

Nein! Der Streit, ob es den Mitgliedsstaaten grundsätzlich möglich ist, strengere Kündigungsschutzvorschriften für DSB als nach Unionsrecht vorzusehen, ist zwar geklärt, jedoch stellt sich nun die Frage, wie streng diese Vorschriften sein dürfen, um nicht gegen die DSGVO zu verstoßen.

Aus der Antwort des EuGHs auf die Vorlagefrage kann gefolgert werden, dass der Gerichtshof die deutsche Regelung, wonach ein wichtiger Grund für die Kündigung eines DSB vorliegen muss, grundsätzlich als mit der DSGVO vereinbar ansieht. Allerdings muss die Vorschrift europarechtskonform so ausgelegt werden, dass sie nicht dazu führt, dass die Kündigung eines DSB verhindert wird, obwohl dieser nicht mehr die für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen beruflichen Eigenschaften besitzt oder seine Aufgaben nicht im Einklang mit der DSGVO erfüllt.

Ob die tendenziell arbeitnehmerfreundliche deutsche Rechtsprechung diese beiden Fallgruppen wirklich unionskonform zukünftig stets als „wichtigen Grund“ für eine Kündigung betrachtet und/oder ob sie ggf. noch weitere Fallgruppen entwickelt, die eine Kündigung vor dem Hintergrund der Zielsetzung der DSGVO erfordern, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist aber die Prüfung des „wichtigen Grundes“ damit auch in Zukunft in erster Linie eine Frage des Einzelfalls, dessen Entscheidung durch ein Gericht schwer vorherzusehen bleibt. Dabei werden die Auswirkungen einer Kündigung auf die Pflichten nach der DSGVO bei der Prüfung eines wichtigen Kündigungsgrundes fortan eine große Rolle spielen.

Im konkreten Fall muss das BAG das ausgesetzte Verfahren, dass Anlass der Vorlagenfragen, nun wieder aufnehmen und entscheiden. Es ist wahrscheinlich, dass das BAG lediglich den konkreten Fall entscheidet, aber keine weiteren Auslegungshilfen gibt.

Was gilt für die Abberufung eines DSB?

Weiterhin offen ist zudem die Frage, ob die deutschen Regelungen zur Abberufung eines DSB gem. § 6 Abs. 4 S. 1 BDSG (siehe oben) mit dem Unionsrecht vereinbar sind. Der EuGH hat sich in seinem jüngsten Urteil nämlich ausschließlich zu Kündigungsschutzregelungen geäußert.
 
Auch in Bezug auf die Abberufung eines DSB erfordert das deutsche Recht über die Verweisung auf § 626 BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes und sieht damit eine strengere Regelung als Art. 38 Abs. 3 Satz 2 DSGVO vor.

Dass sich die Entscheidung des EuGHs zum Kündigungsschutz auch auf die Regelungen der Mitgliedsstaaten über die Abberufung eines DSB übertragen lässt, ist nicht gesagt. Insbesondere ist fraglich, ob die Erwägungen des Gerichtshofs zum sozialpolitischen Charakter der Regelungen zum Kündigungsschutz auch auf die Abberufung anwendbar sind. Hinter der Wirksamkeit der deutschen Regelungen steht damit weiterhin ein Fragezeichen. In der Praxis dürfte daher vorerst die befristete Ernennung eines DSB das sicherste Instrument bleiben, wenn ein Unternehmen Flexibilität behalten möchte.

Klarheit könnte hier aber eine weitere Entscheidung des EuGHs bringen, mit der voraussichtlich noch im Laufe dieses Jahres zu rechnen ist. Denn in einem weiteren Vorabentscheidungsersuchen (Beschluss v. 27.04.2021 – 9 AZR 621/19) hat das BAG den EuGH gefragt, ob § 6 Abs. 4 S.1 BDSG mit Art. 38 Abs. 3 S. 2 DSGVO vereinbar ist.

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