Rechtswidrige Bewilligung von Sonntagsarbeit im Versandhandel

Zur Zulässigkeit von Sonntagsarbeit in der Vorweihnachtszeit

BVerwG, Urteil vom 27.01.2021, Az. 8 C 3.20

Nach über 5 Jahren geht ein langwieriger Rechtsstreit zwischen dem Land Nordrhein-Westfalen, Amazon und der Gewerkschaft ver.di zu Ende. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat entschieden, dass Sonntagsarbeit nicht ohne Weiteres bewilligt werden darf, nur um den hohen Arbeitsanfall in der Vorweihnachtszeit bewältigen zu können. Dies sei nur zulässig, wenn besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erforderten. Besondere Verhältnisse seien vorübergehende Sondersituationen, die eine außerbetriebliche Ursache haben.

Auf Antrag von Amazon hin erteilte das Land NRW dem Unternehmen eine Bewilligung zur Beschäftigung von jeweils 800 Arbeitnehmern am 3. und 4. Adventssonntag 2015 am Standort Rheinberg, weil besondere Verhältnisse dies zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens erforderten. Andernfalls drohe ein Überhang von ungefähr 500 000 unbearbeiteten Bestellungen bis Weihnachten. Auf Antrag der Klägerin ver.di hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf festgestellt, dass die Bewilligung rechtswidrig gewesen ist (VG Düsseldorf, Urteil vom 15. Januar 2018 – 29 K 8347/15). Die Berufung dagegen vor dem Oberverwaltungsgericht Münster blieb ohne Erfolg (OVG Münster, Urteil vom 11. Dezember 2019 – 4 A 738/18). Beide Urteile hat das BVerwG nun bestätigt.

Sonntagsarbeit nur in Ausnahmefällen zulässig 

In einer Pressemitteilung führt das BVerwG zur Zurückweisung der Revision aus, dass kein ausreichender Grund für die Bewilligung der Sonntagsarbeit vorgelegen habe (PM Nr. 8/2021 vom 27.01.2021). Nach § 13 Abs. 3 Nr. 2 b) ArbZG kann die zuständige Behörde an bis zu fünf Sonn- und Feiertagen die Beschäftigung von Arbeitnehmern bewilligen, wenn besondere Verhältnisse zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens dies erfordern. Besondere Verhältnisse sind vorübergehende Sondersituationen, die eine außerbetriebliche Ursache haben.

Sie dürfen also nicht vom Arbeitgeber selbst geschaffen sein. Der Bedarf für die beantragte Sonntagsarbeit war aber nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts auf innerbetriebliche Umstände zurückzuführen. Ursächlich war nicht der saisonbedingt erhöhte Auftragseingang. Die Lieferengpässe wurden vielmehr maßgeblich durch die kurz vor dem Weihnachtsgeschäft 2015 eingeführte Zusage kostenloser Lieferung am Tag der Bestellung verstärkt („Same Day Delivery“).

Grundsatz: Verbot der Sonntagsarbeit 

§ 9 Abs. 1 ArbZG statuiert ein prinzipielles Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um eine einfach-gesetzliche Ausprägung des in Art. 140 GG i.V.m. Art. 139 WRV enthaltenen verfassungsrechtlichen Grundsatzes ist, wonach der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung geschützt sind.

Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bildet der arbeitsfreie Sonntag eine wesentliche Grundlage für die Regeneration des Menschen und das soziale Zusammenleben. Besonders umgesetzt wird diese Zielbestimmung in § 9 Abs. 1 ArbZG, indem die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zwischen 0 Uhr und 24 Uhr grundsätzlich verboten ist. Hiervon ist jegliche Betätigung im Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit erfasst.

Ausnahmen vom Verbot der Sonntagsarbeit (nur) durch oder aufgrund des ArbZG möglich

Die §§ 10 ff. ArbZG lassen zahlreichen Ausnahmen für das Verbot der Sonn- und Feiertagsarbeit zu. Insbesondere enthält § 10 Abs. 1 ArbZG einen Katalog von Ausnahmetatbeständen, die kraft Gesetzes gelten. Dies bedeutet, dass keine vorherige behördliche Genehmigung erforderlich ist. Alle in § 10 Abs. 1 aufgelisteten Ausnahmen stehen unter dem Vorbehalt, dass die Arbeiten nicht an einem Werktag vorgenommen werden können.

Das ist dann der Fall, wenn die Arbeiten aus rein technischen Gründen nicht auf Werktage verlagert werden können oder die Vornahme dieser Arbeiten an Werktagen für den Betrieb unverhältnismäßige wirtschaftliche oder soziale Nachteile zur Folge hätte. Beispielhaft sind Arbeiten in folgenden Einrichtungen und Branchen an Sonn- und Feiertagen zulässig: Hilfs- und Notdienste, Feuerwehren, Gastronomie, kulturelle Veranstaltungen, Sport, Rundfunk, Presse, Messen, Landwirtschaft, Bäckereien.

Die Bundesregierung kann nach § 13 Abs. 1 ArbZG zum Schutz der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe den gesetzlichen Ausnahmekatalog des § 10 ArbZG näher konkretisieren, aber auch zusätzliche Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung zulassen, wenn dies geboten erscheint.

Die Aufsichtsbehörde kann nach § 13 Abs. 3 ArbZG weitere Ausnahmen vom Verbot der Sonn- und Feiertagsbeschäftigung bewilligen, wenn besondere Verhältnisse einen erweiterten Geschäftsverkehr erforderlich machen, wenn dies zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens geboten ist sowie wenn eine Inventur durchzuführen ist. Eine Bewilligung ist auch möglich bei Arbeiten, die einen ununterbrochenen Fortgang an Sonn- und Feiertagen erfordern sowie zur Wiederherstellung der Konkurrenzfähigkeit im Falle längerer Betriebszeiten im Ausland, wenn hierdurch die Beschäftigung gesichert werden kann.

Begründung auch relevant für Anträge auf Sonntagsarbeit in der Corona-Situation

Die Entscheidung des BVerwG hat für Online-Versandhändler große praktische Relevanz. Auch wenn sich der Fall auf das erhöhte Bestellaufkommen in der Vorweihnachtszeit bezog, erreicht er eine neue Dimension in der aktuellen Corona- und Lockdown-Zeit. Infolge der durch die Coronaschutzverordnungen der Länder angeordneten Schließung des Einzelhandels boomt der Online-Versandhandel. Gleichermaßen sind die Erwartungen der Verbraucher in Bezug auf eine zeitnahe Lieferung in den letzten Jahren eher weiter gestiegen, so dass sicherlich ein großes Interesse an Sonntagsarbeit bei Versandhändlern besteht, um den hohen Arbeitsanfall bewältigen zu können. Amazon selbst hat angekündigt, bei Bedarf künftig weiterhin Anträge für Sonntagsarbeit zu stellen.

Das Unternehmen hatte hiervon in den letzten Jahren abgesehen, weil es erst einmal den Ausgang des Verfahrens abwarten wollte. Es bleibt somit abzuwarten, wie die Behörden dann entscheiden werden. Das BVerwG äußerte sich nämlich mangels Entscheidungserheblichkeit nicht dazu, ob schon ein saisonbedingt erhöhter Auftragseingang eine Sondersituation darstellt, die die Bewilligung von Sonntagsarbeit rechtfertigen kann.

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