EuGH soll über Equal Pay im Rahmen der Zeitarbeit entscheiden

Tarifliches Equal Pay auf dem Prüfstand: EuGH überprüft die Vereinbarkeit von Lohnabweichungen bei Leiharbeitnehmern mit europäischem Recht.

„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit!“ – mit diesem Motto starteten am 10. März 2021 wieder viele Gewerkschaften und Vereine (dieses Jahr digitale) Veranstaltungen zum deutschlandweiten „Equal Pay Day“. Durch diesen Aktionstag für Entgeltgleichheit zwischen Frauen und Männern soll auf den bestehenden Gender-Pay-Gap aufmerksam gemacht werden. Debatten über ein Lohngefälle gibt es aber nicht nur im geschlechtsspezifischen Kontext.

BAG legt im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung „Equal Pay“-Frage dem EuGH vor

Bereits im Dezember letzten Jahres beschäftigte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Frage des „equal pay gap“ innerhalb eines Betriebs zwischen Leiharbeitnehmern und Stammbelegschaft und legte diese Frage nun dem Europäischen Gerichtshof zur Klärung vor (Beschluss vom 16.12.2020 - 5 AZR 143/19 (A)).

Die Klägerin, Mitglied bei ver.di, war ein Jahr befristet bei der Beklagten, welche gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt, eingestellt und an ein Einzelhandelsunternehmen als Kommissioniererin – zum Stundenlohn von 9,38 Euro brutto – überlassen. Die Beklagte, Mitglied beim Interessensverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ e.V.), schloss mit mehreren Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbunds, darunter auch ver.di, Entgeltrahmen- und Entgelttarifverträge ab. 

Diese Tarifverträge sehen eine Abweichung der in § 8 Abs. 1 AÜG normierten Gleichstellung vor. Insbesondere wurde eine geringere Vergütung im Vergleich zu den Stammarbeitnehmern des Entleihbetriebs, welche im Streitzeitraum einen Stundenlohn von 13,64 Euro erhalten, vereinbart. Die Klägerin ist der Auffassung, die Tarifverträge seien nicht mit Unionsrecht (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 3 der Richtlinie 2008/104/EG) vereinbar. 

Anspruch auf gleiche Arbeitsbedingungen – mit Ausnahmen

Nach § 8 Abs. 1 AÜG haben Leiharbeitnehmer grundsätzlich Anspruch darauf, hinsichtlich der wesentlichen Arbeitsbedingungen mit den vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers gleichgestellt zu werden. Abweichungen sind nur zulässig, wenn eine tarifvertragliche Regelung eine Solche zulässt. Eine Grenze findet sich in § 8 Abs. 4 S. 1 AÜG für die Höhe des Entgelts des Leiharbeitnehmers, wonach hierbei maximal 9 Monate abgewichen werden darf.

Im Übrigen kann bei allen weiteren Arbeitsbedingungen (Dauer der Arbeitszeit, Überstunden, Pausen, Ruhezeiten, Nachtarbeit) zeitunabhängig tarifvertraglich abgewichen werden. Bei Anwendung qualifizierter Branchenzuschlagstarifverträge kann nach Abs. 4 S. 2 unter den dort normierten Voraussetzungen im Hinblick auf die Höhe des Entgelts auch länger als 9 Monate abgewichen werden. Eine in der Praxis – wie auch bei dem nun vom EuGH zu klärenden Fall – sehr beliebte Gegenausnahme.

Tarifautonomie auf dem Prüfstand

Die Gegenausnahme das § 8 Abs. 4 S. 2 AÜG setzt voraus, dass erstens (S. 2 Nr. 1) nach spätestens 15 Monaten einer Überlassung an einen Entleiher mindestens ein Arbeitsentgelt erreicht wird, das in dem Tarifvertrag als gleichwertig mit dem tarifvertraglichen Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche festgelegt ist, und zweitens (S. 2 Nr. 2) nach einer Einarbeitungszeit von längstens sechs Wochen eine stufenweise Heranführung an dieses Arbeitsentgelt erfolgt. 

Wichtig ist hier, dass keine Gleichwertigkeit innerhalb des Entleihbetriebs erreicht werden muss. Nach 15 Monaten muss ein sog. „tarifliches Equal Pay“ erreicht werden. Der Gesetzgeber hat damit den Tarifvertragsparteien die Regelungsmacht eingeräumt, das Equal Pay-Niveau für die jeweilige Einsatzbranche festzulegen, wobei mindestens das tarifvertragliche Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer in der Einsatzbranche erreicht werden muss. Der Gesetzgeber verzichtete dabei auf die Festlegung einer Untergrenze – entscheidend ist, was die Tarifsvertragsparteien aufgrund ihres eingeräumten Einschätzungsermessen als gleichwertig ansehen. 

Ob dieses Ermessen auch weiterhin in den Händen der Tarifvertragsparteien bleiben wird, liegt nun in den Händen der EuGH-Richter. Gem. Art. 5 Abs. 1 der von der Klägerin ins Feld geführten EU-Richtlinie müssen die wesentlichen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von Leiharbeitnehmer während der Dauer ihrer Überlassung an ein entleihendes Unternehmen mindestens denjenigen entsprechen, die für sie gelten würden, wenn sie von dem entleihenden Unternehmen unmittelbar für den gleichen Arbeitsplatz eingestellt worden wären.

Jedoch gestattet auch Art. 5 Abs. 3 dieser EU-Richtlinie den Tarifpartnern, Tarifverträge abzuschließen, die unter Achtung des Gesamtschutzes von Leiharbeitnehmern beim Arbeitsentgelt und den sonstigen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen von diesem Grundsatz abweichen. Der Umfang des Gesamtschutzes von Leiharbeitern ist aufgrund mangelnder Definition im Gesetz in der juristischen Literatur umstritten.

Da die Richtlinie eine der klassischen Formen der „Durchführung“ von Unionsrecht darstellt, sind bei der Auslegung gem. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Grundrechtecharta die Wertungen der Charta zu berücksichtigen. Die EuGH-Richter werden hier also auch eine Abwägung zwischen dem Schutz der Leiharbeitnehmer nach Art. 31 Abs. 1 der Europäischen Grundrechtecharta und der Tarifautonomie nach Art. 28 der Europäischen Grundrechtecharta vornehmen.

Praxistipp: Ausschlussfristen vereinbaren

Sollte der EuGH zu dem Ergebnis gelangen, dass das erforderliche Gesamtschutzniveau – trotz der in Deutschland geltenden Angemessenheitsvermutung der Tarifverträge – nicht mehr gewahrt ist und ein Verstoß gegen Europarecht vorliegt, drohen erhebliche Rückzahlungsrisiken für betroffene Unternehmen in Höhe der Differenzvergütung. 

Abhilfe schaffen hier individualvertragliche Ausschlussfristen im Leiharbeitsvertrag. Ausschlussfristen erfassen trotz dessen zwingendem Charakter auch Ansprüche aus dem Gleichstellungsgebot. Sie können zwar nicht die Entstehung von Rechten verhindern, aber immerhin ihren zeitlichen Bestand einschränken. Sind sowohl tariflich als auch individualvertraglich Ausschlussfristen vereinbart, gehen die im (Leih-)Arbeitsvertrag geregelten Ausschlussfristen vor.

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