Berücksichtigung sozialer Aspekte bei der ITK-Beschaffung

Nachhaltige Beschaffung durch die Verpflichtungserklärung

Menschenrechte stehen jedem Menschen zu – sie sind unabdingbar und können ihm nicht entzogen werden. Wir tragen mit unseren Konsumentscheidungen – privat wie öffentlich – eine Mitverantwortung für die Wahrung dieser höchsten Rechte. Mit einem Beschaffungsvolumen von geschätzt 350 Mrd. Euro pro Jahr hat die öffentliche Hand einen entscheidenden Anteil an der Nachfrage nachhaltiger Produkte und Dienstleistungen und trägt Verantwortung hinsichtlich ihrer Einkaufsentscheidungen und deren Auswirkungen im Markt, in der Umwelt und in der Gesellschaft.

Zur Wahrnehmung der aus dieser Verantwortung erwachsenden Verpflichtungen mit dem gleichzeitigen Ziel größtmöglicher Akzeptanz in der Branche, hat das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (BeschA) in Kooperation mit Bitkom e.V., dem deutschen Digitalverband, eine Branchenvereinbarung bzw. Verpflichtungserklärung erarbeitet, welche unabhängig von Regelungen in den jeweiligen Produktionsländern, einen menschenwürdigen Standard bei der Produktion von IT-Produkten und der Erbringung von IT-Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber sicherstellen soll. 

Diese, im Folgenden näher erläuterte Verpflichtungserklärung, orientiert sich dabei maßgeblich an den Normen der International Labour Organisation (ILO) und kann in ihrer höchsten Konsequenz sogar zu einem Ausschlusses von öffentlichen Aufträgen für diejenigen Unternehmen führen, welche die Menschenrechte bei der Produktion oder Dienstleistungserbringung im ITK-Bereich nicht akzeptieren oder gewährleisten.

Was die Verpflichtungserklärung regelt 

Die aktuelle dritte Version der Mustererklärung dehnt die Pflichten der Anbieter von ITK-Produkten und ITK-Dienstleistungen zur Beachtung von fairen Arbeitsbedingungen gegenüber ihren Vorläufern aus. Sie umfasst Regelungen für die Produktgruppen Hard- und Software sowie Dienstleistungen. Neben den ILO-Kernarbeitsnormen, zu denen etwa die Unterbindung von Zwangsarbeit, Kinderarbeit oder der Abbau von persönlicher Diskriminierung zählen und die bereits in der Vorgängerversion von 2014 erfasst waren, verpflichten sich die Beteiligten bei der Einbeziehung der Mustererklärung in der aktuellen Version (2019) insbesondere zur Berücksichtigung von Arbeitszeiten, Festsetzung von Mindestlöhnen unter Berücksichtigung der Situation in Entwicklungsländern und zur Zahlung gesetzlich vorgeschriebener Sozialbeiträge.

Die Einhaltung dieser Normen sind vom jeweils verpflichteten Auftragnehmer für die Lieferkettenstufe des Produktherstellers und der Zulieferer des Produktherstellers (ohne ausschließliche Händlerfunktion) entsprechend der jeweils einbezogenen Stufen der Lieferkette sicherzustellen.

Öffentliche Auftraggeber sind nicht verpflichtet, die Erklärung zum Gegenstand der Vergabeunterlagen zu machen, wenngleich im Lichte der vorgenannten Zielsetzungen eine Einbeziehung wünschenswert ist. 

Rechtsfolgen der Verpflichtungserklärung 

Die Mustervorlage sieht zahlreiche vertragliche Sanktionsmöglichkeiten bei Missachtung der Verpflichtungsstandards vor. Legt der Auftragnehmer etwa die für den Nachweis der Einhaltung seiner Verpflichtungsvorgaben geforderten Unterlagen nicht vor oder werden bei Ausführung des Auftrages die von der Erklärung umfassten ILO-Normen verletzt, kann der Auftraggeber bei Nichtbeseitigung der Verletzung zunächst (nach vorheriger Fristsetzung zur Nacherfüllung bzw. Nachreichung von Unterlagen) eine Vertragsstrafe aussprechen.

Notfalls kann er sodann aber auch den Vertrag kündigen. Hinzuweisen sei in diesem Zusammenhang darauf, dass die Vertragsstrafenregelungen in den ergänzenden Vertragsbedingungen für die Beschaffung von IT-Leistungen (EVB-IT) neben denen aus der Verpflichtungserklärung anzuwenden sind. 

Die Kündigung laufender Verträge betrifft jedoch primär das Vertrags- und nicht das Vergaberecht. Das schärfste Schwert des Vergaberechts ist hingegen der Ausschluss von zukünftigen Verfahren. Ein Ausschluss dient zwar vorrangig dem Schutze des Auftraggebers, ein eindeutiger Sanktionscharakter für Verfehlungen einzelner Bieter kann einem Ausschluss aber auch nicht abgesprochen werden. Sofern die Verpflichtungserklärung einbezogen und missachtet wurde, kann der öffentliche Auftraggeber den Auftragnehmer bei Vorliegen bestimmter Umstände bei der Vergabe von zukünftigen Aufträgen gem. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB über die Dauer von drei Jahren unberücksichtigt lassen.

Der Hintergrund dieser Ausschlussmöglichkeit besteht darin, dass der § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vorsieht, dass Unternehmen dann von einem Vergabeverfahren auszuschließen sein können, wenn wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt wurden und dies zu einer vorzeitigen Beendigung oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt hat. Über das zuvor benannte (vertragliche) Kündigungsrecht besteht eben diese Möglichkeit der vorzeitigen Beendigung des (aktuellen) Vertragsverhältnis. 

Praxistipp

Wie nicht zuletzt das kürzlich beschlossene „Sorgfaltspflichtengesetz“ (auch bekannt als Lieferkettengesetz) und die auch darin enthaltene Ausschlussmöglichkeit bei Missachtung der dort neu und erstmalig gesetzlich geregelten Sorgfaltspflichten zeigt (vertiefende Hinweise hierzu finden Sie hier), rückt die Frage der Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus der öffentlichen Diskussion und der staatlichen Beschaffung. Das damit einhergehende stetige Ausbauen von Handlungs- und Sanktionsmöglichkeiten der öffentlichen Hand lässt vermuten, dass dort wo Verpflichtungen und Sanktionen möglich sind, diese auch umgesetzt werden.

Mit der hier vorgestellten und von jeder Beschaffungsstelle nach eigenem Ermessen einzubeziehenden Verpflichtungserklärung wird ein mit der IT-Branche gemeinsam entwickeltes Konzept zur Verfügung gestellt, welches elementare Menschenrechte konsequent schützt, gleichzeitig aber auch die nötigen Handlungsspielräume und Flexibilität garantiert, um eine reibungslose und gleichzeitig nachhaltige Beschaffung zu ermöglichen. 

Für die Anwendung und Einbeziehung der 2019 veröffentlichten und aktuell anzuwendenden dritten Version der Mustervereinbarung wurden kürzlich ausführliche Handreichungen des BeschA (direkter Link hier) veröffentlicht, die laufend aktualisiert werden und weitere Informationen samt einer Checkliste für die Anwendung enthalten.

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