Keine Freistellung zur Erzwingung einer Vertragsauflösung

Eine Freistellung nach Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit zur Erzwingung und Durchsetzung von Verhandlungen über die Aufhebung eines Anstellungsverhältnisses kann rechtsmissbräuchlich sein. 

Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein hat entschieden, dass eine langjährig beschäftigte geschäftsführende Oberärztin weiter beschäftigt werden muss, nachdem sie von der Klinik wegen Unstimmigkeiten mit dem neuen Chefarzt gegen ihren Willen freigestellt wurde. Die Klinik sei zu dieser Freistellung nicht befugt und muss die Oberärztin in ihrer bisherigen Stellung weiter beschäftigen.

LAG Schleswig-Holstein, Urteil vom 6. Februar 2020 – 3 SaGa 7 öD/19 (ArbG Lübeck, Urteil vom 18. Dezember 2019 – 7 Ga 28 öD/19)

Freistellung bei ordentlicher Unkündbarkeit

Die Parteien streiten in einem einstweiligen Verfügungsverfahren über die Beschäftigung der Klägerin im Rahmen eines ungekündigten Arbeitsverhältnisses. Die Klägerin ist bei der Beklagten seit 2001, zuletzt als geschäftsführende Oberärztin, beschäftigt. Aufgrund ihrer langjährigen Betriebszugehörigkeit ist sie tariflich unkündbar. Außerdem genießt sie infolge ihrer Position als Strahlenschutzbeauftrage Sonderkündigungsschutz. Seit dem Arbeitsantritt des neuen Chefarztes im Jahr 2018 kam es zu Spannungen zwischen ihm und der Klägerin. Die Klägerin war längere Zeit arbeitsunfähig. Die Beklagte stellte sie bei Wiederaufnahme ihrer Dienste für Aufhebungsverhandlungen des Anstellungsverhältnisses von der Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei.

Weiterhin musste die Klägerin Mitarbeiterausweise, Zugangsberechtigungen sowie weitere Gegenstände wie Laptop und Datenträger abgegeben. Die Beklagte löschte ihren Account im System. Das ArbG hat der Verfügungsklage auf Beschäftigung zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten.

Beschäftigungsanspruch als Ausfluss aus dem Persönlichkeitsrecht

Das LAG wies die Berufung als unbegründet zurück. In einem ungekündigten Arbeitsverhältnis bestehe grundsätzlich ein Beschäftigungsanspruch. Dieser folge aus dem Persönlichkeitsrecht und sei gerichtet auf vertragsgemäße Beschäftigung. Überwiegende schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers stünden dem nicht entgegen. Nach Ansicht des LAG seien insbesondere persönliche Ablehnung gegenüber dem aus dem Persönlichkeitsrecht abgeleiteten Beschäftigungsanspruch nicht schutzwürdiger. Zudem habe die Beklagte die Freistellung rechtswidrig zur Durchsetzung nicht schutzwürdiger Eigeninteressen missbraucht. Die Beklagte stellte die Klägerin ausdrücklich frei, um die Aufhebung des ordentlich unkündbaren Anstellungsverhältnisses zu erzwingen. Kein Arbeitnehmer sei rechtlich verpflichtet, Verhandlungen über die Aufhebung und Abwicklung des eigenen Anstellungsvertrages durchzuführen.

Zudem sei die Klägerin infolge der Freistellung sowie durch den Entzug der Zugangsberechtigung und Trennung von sämtlichen Systemen für Dritte unsichtbar, mithin nicht mehr existent. Aus der Freistellung folge zudem ein Reputationsverlust für die Klägerin, der nicht absehbare Beeinträchtigungen für ihre wissenschaftliche Tätigkeit zur Folge haben könnte. Die Klägerin müsse daher bis zu einer erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache zu den arbeitsvertraglichen Bedingungen als geschäftsführende Oberärztin beschäftigt werden. 

Freistellung und Beschäftigung in der Praxis

Die Rechtsprechung erkennt schon lange in einem bestehenden Arbeitsverhältnis einen Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers an. Der Arbeitgeber ist daher gehalten, den Arbeitnehmer entsprechend der vereinbarten Tätigkeit zu beschäftigen. Zurücktreten muss der über das Persönlichkeitsrecht grundgesetzlich verankerte Beschäftigungsanspruch erst dort, wo überwiegend schutzwürdige Interessen des Arbeitsgebers entgegenstehen. Vor diesem Hintergrund wenig überraschend hat das LAG klargestellt, dass eine Freistellung zur Erzwingung und Durchführung von Aufhebungsverhandlungen nicht schützenswert ist. Vielmehr liegt in einem solchen Fall ein Rechtsmissbrauch vor. Der Arbeitgeber muss also gute Gründe vorweisen können, weshalb ihm eine Weiterbeschäftigung nicht zumutbar sein soll. Bei Weitem nicht jedes Eigeninteresse des Arbeitgebers kann den Beschäftigungsanspruch außer Kraft setzen.

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