Erstes Arbeitsgericht zur Arbeitszeiterfassung nach dem Arbeitszeit-Urteil des EuGH

Aus Art. 31 Abs. 2 GrCh folge eine Pflicht für Arbeitgeber, ein objektives verlässliches und zugängliches System zur Arbeitszeiterfassung einzurichten. Dies soll laut dem ArbG Emden unmittelbar gelten und keine bloße Anweisung an die Mitgliedsstaaten zum Erlass entsprechender Gesetze sein.

Arbeitsgericht Emden, Urt. v. 20.02.2020, Az. 2 Ca 94/19

Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer stritt mit seinem ehemaligen Arbeitgeber über die Anzahl an geleisteten Arbeitsstunden. Der Kläger war als Bauhelfer sieben Wochen für den Beklagten tätig. Der Beklagte vergütete die Arbeitszeit auf Grundlage der im Bautagebuch erfassten Arbeitszeit. Der Kläger forderte die Vergütung von mehr Stunden, als im Bautagebuch erfasst und legte als Beweis eigene handschriftliche Aufzeichnungen vor (mit einer höheren Stundenzahl).

Entscheidung

Nach dem ArbG Emden war die höhere Stundenzahl zu vergüten. Der Arbeitnehmer sei durch die Vorlage seiner handschriftlichen Aufzeichnungen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast ausreichend nachgekommen. Der Arbeitgeber hingegen sei mit der Vorlage des Bautagebuches nicht seiner Obliegenheit nachgekommen, sich zu dem Vorbringen des Arbeitnehmers hinreichend substantiiert zu erklären. Damit gelte der Vortrag des Klägers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. 

Der Arbeitgeber habe die sich aus Art. 31 Abs. 2 der EU Grundrechtecharta ergebene Pflicht zur Einrichtung eines „objektiven“, „verlässlichen“ und „zugänglichen“ Systems zur Erfassung der Arbeitszeit mit dem Führen des Bautagebuches nicht erfüllt. Diese Pflicht gelte auch unmittelbar. Dazu bedürfe es keiner richtlinienkonformen Auslegung von § 16 Abs. 2 ArbZG oder einer Umsetzung durch den Gesetzgeber, insbesondere der Art. 3, 5 und 6 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG.

Ein Bautagebuch stelle von „vornherein kein System zur tatsächlichen Erfassung der geleisteten Arbeitszeit“ dar. Dafür müsse es „objektiv“, „verlässlich“ und „zugänglich“ sein. Dies sei nicht der Fall, arbeitsvertragliche Arbeitszeiten würden im Bautagebuch nicht (vollständig) aufgezeichnet. Eine Erfassung von Arbeitszeiten von Arbeitnehmern scheitere an den Merkmalen der „Objektivität“ und „Verlässlichkeit“. 

Fazit

Das Urteil bejaht eine unmittelbare Verpflichtung von Arbeitgebern aus Art. 31 Abs. 2 GrCh zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung. Dabei bleiben allerdings einige Fragen strittig. An sich ist die bislang wohl herrschende Auffassung in der Rechtsliteratur davon ausgegangen, dass die Arbeitszeitrichtlinie bzw. die entsprechenden Verpflichtungen noch in nationales Gesetz umzusetzen seien. Die direkte Verpflichtung zur Einrichtung eines Systems zur Arbeitszeiterfassung aus den Art. 31 Abs. 2 GrCh konkretisierenden Art. 3, 5 und 6 der Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) herzuleiten, ohne die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie positiv festzustellen, erscheint in der Tat fragwürdig. Das Urteil des ArbG Emden unterschlägt auch den vom EuGH dem nationalen Gesetzgeber zugesprochenen Gestaltungsspielraum. Arbeitgeber sollten daher verfolgen, wie sich andere Gerichte dazu positionieren.

 

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