Arbeitsgerichtsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit und per Videoverhandlung?

Während der Corona-Pandemie ist die Justiz in ihrer Funktionsfähigkeit beeinträchtigt. In wirtschaftlichen Krisenzeiten häufen sich arbeitsrechtliche Streitigkeiten und die Arbeitsgerichte werden deutlich mehr beansprucht. Der neue Referentenentwurf des BMAS (COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG) soll Abhilfe schaffen und Voraussetzungen dafür schaffen, dass Gerichte auch bei Notbetrieb den Justizgewährleistungsanspruch erfüllen können. Der Entwurf ist auf massive Kritik gestoßen, so dass das BMAS den Entwurf abänderte und „Formulierungshilfen“ gegeben hat. Änderungen sind auch in Bezug auf Betriebsratsarbeit vorgesehen.

COVID-19 ArbGG/SGG-AnpassungsG

Der Referentenentwurf sieht Änderungen nicht nur im arbeitsgerichtlichen Verfahren, sondern auch in der arbeitsrechtlichen Praxis, vor. Betroffen sind das ArbGG, KSchG, TVG, MiLoG und HAG.

Die beabsichtigten Änderungen des ArbGG und KSchG haben gemeinsam, dass sie zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2020 gelten sollen und an das Vorliegen einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ (§ 5 IfSG) anknüpfen. Diese wird durch den Bundestag festgestellt und wieder aufgehoben. 
Die größte Änderung sieht der § 114 ArbGG-E vor, welcher die Konsequenzen von Kontaktverboten im Großen und Ganzen abmildern soll. Danach können ehrenamtliche Richter abweichend von § 128a ZPO an mündlichen Verhandlungen mittels Übertragung in Bild und Ton von einem anderen Ort aus als dem Gericht beiwohnen. Während der erste Entwurf diese Entscheidung, den ehrenamtlichen Richtern überlies, obliegt sie nach der Formulierungshilfe des BMAS nunmehr dem Gericht selbst – es „soll“ von Amts wegen gestatten. Entsprechendes gilt für die anschließende Beratung und Abstimmung. 

Dementsprechend sah der erste Entwurf – im Zuge der Ausweitung von Videokonferenzen – vor, dass Gerichte die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung per Bild- und Tonübertragung für Parteien, Bevollmächtigte und Beistände sowie Zeugen und Sachverständige, anordnen können. Nach den Formulierungshilfen soll das Gericht nun die Teilnahme per Bild und Ton von Amts wegen gestatten. Es gibt damit den Personen, die über eine entsprechende technische Ausstattung verfügen, die Möglichkeit digital an einer mündlichen Verhandlung teilzunehmen. 

Auf erhebliche Kritik gestoßen ist das Vorhaben des ersten Entwurfs, das vorsah den Arbeitsgerichten, die Möglichkeit zu geben die Öffentlichkeit zum Zwecke des Gesundheitsschutzes von den Verhandlungen auszuschließen. Diese Option wurde ersatzlos gestrichen. Ebenso das anfängliche Vorhaben, die Klagefrist bei Kündigungsschutzklagen, von drei auf fünf Wochen zu verlängern.

Pandemieunabhängige Änderungen

Darüber hinaus wurde der Referentenentwurf zum Anlass genommen pandemieunabhängige und dauerhafte Instrumente zur Digitalisierung im TVG und MiLoG einzuarbeiten. Verhandlungen über Anträge auf Allgemeinverbindlicherklärung sollen in Zukunft in begründeten Fällen über Video- und Telefonkonferenz erfolgen können. Ebenso sollen Sitzungen der Mindestlohnkommissionen in begründeten Ausnahmefällen per Videokonferenz erfolgen können. Gleiches ist für Beschlussfassungen vorgesehen, die auf Vorschlag der bzw. des Vorsitzenden ebenfalls digitalisiert erfolgen können. Lediglich bei Sitzungen des Heimarbeitsausschlusses ist nur eine befristete Digitalisierungsmöglichkeit vorgesehen, welche explizit an den Anlass der COIVD-19-Pandemie gebunden ist.

Digitale Betriebsratsarbeit, § 129 BetrVG-E

Um den Arbeitsablauf der Arbeitnehmervertretung während der COVID-19-Pandemie zu vereinfachen, hat die Bundesregierung eine bis zum 31. Dezember 2020 befristete Änderung des BetrVG vorgeschlagen. Mit der Einführung des § 129 BetrVG-E können nicht nur Betriebsratssitzungen via Video- und Telefonkonferenz abgehalten, sondern auch Beschlüsse gefasst werden. Einzige Voraussetzung ist, dass der Schutz der Inhalte der jeweiligen Sitzungen vor der Kenntnisnahme durch Dritte gewährleistet wird. Entsprechendes ist für die Sitzungen und Beschlussfassungen der Einigungsstelle und des Wirtschaftsausschusses vorgesehen. 

Ausblick 

Die Notregelungen der jeweiligen Entwürfe verschaffen der arbeitsrechtlichen Praxis ein erhöhtes Maß an Flexibilität. Insbesondere arbeitsrechtliche Streitigkeiten bedürfen einer zügigen Beilegung und können angesichts des Beschleunigungsgrundsatzes nicht bis zum Ende der Pandemie ausgesetzt werden. Die Kehrseite der Digitalisierung der Justiz ist, das mit der Teilnahme an einer mündlichen Verhandlung per Bild und Tonübertragung die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung, z. B. der Vernehmung eines Zeugen, verloren geht. Gleiches für den Eindruck, den die ehrenamtlichen Richter aus der mündlichen Verhandlung erlangen. Letztlich handelt es sich um eine Abwägungsfrage der Digitalisierung der Justiz und schnelleren Erledigung der Verfahren gegen die Einhaltung wesentlicher Verfahrensgrundsätze, die sich bei einer dauerhaften Einführung von digitalen arbeitsgerichtlichen Verhandlungen stellen wird. 

Bei der Möglichkeit der digitalen Betriebsratsarbeit handelt es sich im Gegensatz zum digitalen arbeitsgerichtlichen Verfahren jedoch um eine überfällige Angelegenheit, die nun notgedrungen eingeführt wird. Insbesondere in Krisenzeiten ist diese zweckmäßig. Gerade in Betrieben, in denen während der Krisenzeit vorrangig auf Telearbeit umgeschaltet oder die Arbeit völlig ausgesetzt wurde, sind Präsenzsitzungen der Arbeitnehmervertretungen nicht mehr nötig. Insbesondere unter Umständen notwendige Betriebsvereinbarungen zur derzeit relevanten Kurzarbeit können daher schneller abgeschlossen werden.

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