Zugang einer Kündigungserklärung bei Einwurf in den Hausbriefkasten

Das in einen Hausbriefkasten eingeworfene Kündigungsschreiben geht dem Empfänger regelmäßig in dem Zeitpunkt zu, in dem nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Die örtlichen Postzustellungszeiten können dabei die Verkehrsanschauung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens beeinflussen.

BAG – Urteil vom 22.08.2019, 2 AZR 111/19

Zugangszeitpunkt eines eingeworfenen Kündigungsschreibens als Streitpunkt

Die Parteien streiten über den Zugangszeitpunkt einer Kündigungserklärung. Die Beklagte hatte die Kündigung durch einen Mitarbeiter am Freitag, 27. Januar 2017 gegen 13:25 Uhr in den Briefkasten des Klägers einwerfen lassen. Der Arbeitnehmer erhob erst mehr als drei Wochen später, am 20. Februar 2017, Klage. Am Wohnort des Klägers ist die tägliche Postzustellung unstreitig gegen 11 Uhr beendet.
 
Er machte daher geltend, dass ihm das Schreiben am 27. Januar um 13:25 Uhr nicht mehr zugehen konnte. Die Klage am 20. Februar 2017 sei daher noch fristwahrend erfolgt.
  
Die ersten beiden Instanzen wiesen die Klage ab. Das Landesarbeitsgericht nahm an, dass die Kündigung bereits am Tag des Einwurfs zugegangen sei. Bis 17 Uhr sei ein taggenauer Zugang anzunehmen. Mit der Revision verlangte der Kläger festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung nicht mit sofortiger Wirkung aufgehoben worden sei. Die Beklagte berief sich darauf, dass die Klage zu spät erfolgt sei. Die Kündigung gelte daher als von Anfang an rechtswirksam.

Briefentnahmezeitpunkt richtet sich nach Verkehrsanschauung

Die Revision vor dem Bundesarbeitsgericht hatte Erfolg. Das BAG stellte klar, dass das in den Hausbriefkasten eingeworfene Kündigungsschreiben zugeht, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Üblicherweise könne man mit einer Leerung des Briefkastens unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten rechnen. Den genauen Zeitpunkt festzustellen sei Sache des LAG, an das das BAG daher zurückverwies.
 
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG geht eine Willenserklärung unter Abwesenden zu, sobald sie in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen.
 
Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Es muss vielmehr eine generalisierende Betrachtung erfolgen. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran anderweitig (z.B. wegen Urlaubsabwesenheit) gehindert war.

Das BAG hob hervor, dass es darauf ankomme, wann am jeweiligen Ort die Postzustellung für gewöhnlich beendet ist. Eine willkürliche Festsetzung des Leerungszeitpunkts auf 17 Uhr, wie das LAG begründungslos vornahm, konnte das BAG nicht überzeugen. Der Leerungszeitpunkt müsse vielmehr im Einzelnen bestimmt werden.
 
Der Argumentation des LAG, ein erheblicher Teil der Bevölkerung könne zu "Normalarbeitszeiten" den Briefkasten nicht leeren, weshalb eine Leerung meist erst nach 17 Uhr erfolge, folgt das BAG nicht. Nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung arbeite zu "Normalarbeitszeiten".
 

Die Zustellung der Kündigung in der Praxis

Das Urteil gibt Anlass, die zeitliche Problematik des Zugangs von Willenserklärungen unter Abwesenden zu überdenken.
 
Eine wie vom BAG geforderte örtliche Betrachtungsweise führt naturgemäß zu erheblichen Unsicherheiten, weil der Arbeitgeber meist nicht weiß, wann beim Arbeitnehmer üblicherweise die Post zugestellt wird. Daher empfiehlt sich nach wie vor: Grundsätzlich sollte man Zustellungen so rechtzeitig bewirken, dass sie mindestens am Vortag des Fristablaufs beim Arbeitnehmer eingehen.
 
Gerade wenn der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist einzuhalten hat, sollte nicht bis zum letzten Tag gewartet werden.

Im Idealfall erfolgt die Kündigung persönlich durch Übergabe. Dann ist die Kündigung im Zeitpunkt der Übergabe zugegangen. Insbesondere in den Fällen, in denen die Kündigung doch einmal am letzten Tag der Frist zugestellt werden muss, sollte in jedem Fall persönlich übergeben werden. Die persönliche Übergabe kann dann auch noch kurz vor Mitternacht erfolgen, um die Frist zu wahren.
 
Ist die persönliche Übergabe nicht möglich, so sollte ein Bote die Kündigung in den Briefkasten werfen. Wegen der Unsicherheit hinsichtlich der üblichen Postzustellzeiten sollte die Zustellung frühestmöglich erfolgen. Eine genaue Uhrzeitgrenze festzulegen erscheint wegen der örtlichen Betrachtungsweise schwierig.

Erfolgt die Zustellung durch die Post, ist ein Einwurfeinschreiben zu empfehlen. Nicht empfehlenswert zur Wahrung einer Frist ist das sogenannte Übergabeeinschreiben. Ein Zugang der Kündigungserklärung ist damit noch nicht erfolgt. Erst dann, wenn das Schreiben bei der Post abgeholt wird, geht das Schreiben zu. Das ist im Zweifel bei fristgebundenen Kündigungen zu spät.
 
Es gilt daher weiterhin: Auch bei noch so guten Kündigungsgründen ist hinsichtlich der Zustellung des Kündigungsschreibens Vorsicht geboten.

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