Über den Wolken muss die Freizeit wohl grenzenlos sein? Das BAG zur Vergütung von Reisezeiten bei Auslandsentsendung des Arbeitnehmers

Eine neu gegründete Unternehmensniederlassung in Spanien, ein zu realisierendes Großprojekt in den USA oder der Einsatz auf einer Baustelle in China. Die stetig fortschreitende Globalisierung stellt auch die deutschen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor immer neue Herausforderungen. Dabei werden letztere oft vorübergehend ins Ausland entsandt, um ihre spezifischen Qualifikationen im Zielland einzusetzen und eine über die Landesgrenzen hinausgehende einheitliche Unternehmenspolitik zu verwirklichen. Für diese Tätigkeit sind die Arbeitnehmer mitunter dazu angehalten mehrtägige Reisen auf sich zu nehmen. Doch besteht gegenüber dem Arbeitgeber ein Anspruch auf die Vergütung des gesamten Zeitaufwandes - von der Wohnung bis zur ausländischen Arbeitsstelle und zurück? In seiner Entscheidung vom 17.10.2018 (Az. 5 AZR 553/17) befasste sich das BAG mit der Vergütung von Reisezeiten bei einer Auslandsentsendung des Arbeitnehmers.

Sachverhalt
Der Kläger ist seit 1998 bei der Beklagten, einem Bauunternehmen, als technischer Mitarbeiter beschäftigt. Er verpflichtete sich in seinem Arbeitsvertrag zum Einsatz auf wechselnden Baustellen im In- und Ausland. Kraft beidseitiger Tarifgebundenheit findet der Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) auf dieses Arbeitsverhältnis Anwendung. Für den Zeitraum vom 10. August bis zum 30. Oktober 2015 entsandte sein Arbeitgeber den Kläger auf eine Baustelle in Bengbu, China. Der zu diesem Zweck zwischen den Beteiligten geschlossene Entsendungsvertrag regelte die Vergütung der Reisezeit nicht. Auf Wunsch des Klägers buchte die Beklagte für die Hinreise statt eines Direktfluges in der Economy-Class einen längeren Flug in der Business-Class mit Zwischenstopp in Dubai. Die entstandenen Differenzflugkosten sollte der Arbeitnehmer tragen. Dieser reiste wie vereinbart am 10. August 2015 von Frankfurt mit Zwischenstopp nach Shanghai und trat am 29. Oktober 2015 die Rückreise nach Deutschland an. Für die vom Kläger insgesamt aufgewandten vier Reisetage zahlte ihm die Beklagte eine Vergütung für 32 Stunden, basierend auf dem arbeitsvertraglich vereinbarten Acht-Stunden-Tag. Tatsächlich belief sich die Reisezeit des Klägers, von seiner Wohnung bis zur auswärtigen Arbeitsstelle und zurück, auf insgesamt 69 Stunden.

Im Rechtsstreit vor dem BAG beanspruchte dieser die Vergütung der bisher nicht abgegoltenen 37 Stunden Reisezeit. Die Beklagte entgegnete, dass die tariflichen Bestimmungen zur Vergütung von An- und Abreise bei Arbeitsstellen ohne tägliche Heimfahrt nicht auf Auslandsentsendungen anwendbar seien. Jedenfalls sei die Verlängerung der Reisezeit durch die Zwischenlandung in Dubai nicht erforderlich gewesen.
 
Zunächst hatte das ArbG Ludwigshafen am Rhein die Klage abgewiesen. Der hiergegen eingelegten Berufung des Klägers gab das LAG Rheinland-Pfalz statt.

Die Entscheidung des BAG
In seinem Urteil vom 17.10.2018 sah das BAG die Revision der Beklagten als teilweise begründet an. Die Sache wurde unter Aufhebung des Berufungsurteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen. Das BAG entschied, dass die vom Kläger aufgewandte Reisezeit als vergütungspflichtige Arbeitszeit anzusehen ist. Anknüpfungspunkt für die gesetzliche Vergütungspflicht des Arbeitgebers ist hierbei die Leistung der versprochenen Dienste i.S.d. § 611 BGB. Als solche ist jede Tätigkeit anzusehen, welche der Befriedigung eines fremden Bedürfnisses dient. Dazu zählt neben der eigentlichen Tätigkeit, jede mit dieser unmittelbar zusammenhängenden sonstigen Maßnahme.
 
Im Grundsatz führt das BAG aus, dass ein Arbeitnehmer mit dem eigennützigen Zurücklegen des Wegs von der Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück keine Arbeit für den Arbeitgeber erbringe. Eine Ausnahme liege jedoch vor, wenn die Tätigkeit des Arbeitnehmers außerhalb des Betriebes zu erbringen sei. Hierbei bestehe das wirtschaftliche Ziel seiner Gesamttätigkeit gerade darin, den Kunden aufzusuchen. Die jeweilige An- und Abreise sei somit Bestandteil der Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers und deshalb vergütungspflichtig. Diese Grundsätze wendet das BAG auch auf solche Reisen an, die wegen dessen vorübergehender Entsendung zur Arbeit im Ausland erforderlich sind. Vorliegend sah das Gericht die getätigten Reisen als fremdnützig und mithin vergütungspflichtig an, da sie ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers erfolgten und in einem untrennbaren Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung standen. Mangels gesonderter Vergütungsregelungen im Arbeits- oder Tarifvertrag, waren dem Kläger seine erforderlichen Reisezeiten mit der für die eigentliche Tätigkeit vereinbarten Vergütung zu bezahlen.

Hinsichtlich der Erforderlichkeit der Reisezeiten unterscheidet das BAG jedoch; gibt der Arbeitgeber Reisemittel- und Verlauf vor, wird die Zeit, welche der Arbeitnehmer benötigt um entsprechend den Vorgaben das Reiseziel zu erreichen, als erforderlich angesehen. Ist dem Arbeitnehmer die Wahl des Reisemittels- oder Verlaufs überlassen, so hat er sich für den kostengünstigsten Reiseverlauf zu entscheiden. Dies gebiete die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers nach § 241 Abs. 2 BGB. Bei einer Flugreise ist der kostengünstigste Reiseverlauf grundsätzlich als Direktflug in der Economy-Class anzusehen, soweit dieser für den Arbeitnehmer nicht unzumutbar ist. Vorliegend stellte somit der Umweg über Dubai samt Zwischenlandung keine erforderliche Reisezeit dar.

Zuletzt verdeutlichte das BAG, dass neben den eigentlichen Beförderungszeiten zur erforderlichen Reisezeit auch der mit der Beförderung zwingend einhergehende weitere Aufwand gehört. Bei Flugreisen sind somit u.a. auch die Wegzeiten zum Flughafen und die Zeiten für das Einchecken sowie die Gepäckausgabe vergütungspflichtig. Im weiteren Aufwand nicht inbegriffen sind jedoch die, von der Klage mit umfassten, Zeiten für das Packen der Koffer und Duschen.
 
Praxishinweis
Liegt die vom Arbeitnehmer aufgewendete Reisezeit ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers, so ist diese grundsätzlich als vergütungspflichtige Arbeit zu qualifizieren. Für den Einzelfall bleibt jedoch folgendes zu beachten; zum einen ergibt sich die Möglichkeit die Vergütung von Reisezeiten als gesonderte Regelung im Arbeits- oder Tarifvertrag zu fixieren. Eine solche kann auch durch eine mit dem Arbeitnehmer getroffene Vereinbarung ausgeschlossen werden. Wichtig ist hierbei jedoch, dessen Anspruch auf Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 MiLoG nicht zu unterschreiten. Zum anderen ist stets genau herauszuarbeiten, welche Zeiten für die getätigten Reisen erforderlich waren und welcher Aufwand somit vergütet werden kann. Die Darlegungs- und Beweislast hierzu trifft den Arbeitnehmer. So zeigt sich, dass die Entscheidung des BAG verständige Grundsätze zur Frage der Vergütung von Reisezeiten schafft, deren Beantwortung aber den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls vorbehalten bleibt.
 

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