Rechtsprechungsänderung zur sachgrundlosen Befristung bei Vorbeschäftigung

In seinem Urteil vom 21. August 2019 hat der 7. Senat des BAG entschieden, dass das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verankerte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung bei einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift regelmäßig nicht zur Anwendung gelangt, wenn ein Arbeitnehmer 22 Jahre nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt wird. Der 7. Senat hat mit dieser Entscheidung einmal mehr seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach die sachgrundlose Befristung eines Arbeitsvertrages zulässig ist, wenn die Vorbeschäftigung des Arbeitnehmers bei demselben Arbeitgeber mehr als drei Jahre zurückliegt (BAG Urteil vom 6. April 2011 – 7 AZR 716/09).

Urteil des BAG vom 21. August 2019 – 7 AZR 452/17

Zum Sachverhalt: Arbeitnehmerin wird erneut sachgrundlos befristet

Die Parteien streiten über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Befristungsabrede. Die Klägerin war bei der Beklagten im Zeitraum vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 beschäftigt. Zum 15. Oktober 2014 stellte die Beklagte die Klägerin erneut ein. Das Arbeitsverhältnis war zunächst bis zum 30. Juni 2015 sachgrundlos befristet und wurde später bis zum 30. Juni 2016 verlängert. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum Ablauf des 30. Juni 2016 endete.
 

Die Entscheidung: Wirksamkeit der sachgrundlosen Befristung bei sehr lang zurückliegender Vorbeschäftigung

Der 7. Senat des BAG hält die vereinbarte Befristung zwischen den Parteien auch ohne das Vorliegen eines Sachgrundes für wirksam. Zunächst macht das BAG in seiner Entscheidung deutlich, dass nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines Sachgrundes grundsätzlich nicht wirksam sei, wenn bereits zuvor mit dem Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Auf der anderen Seite klärt es auf, dass die Fachgerichte aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 6. Juni 2018 (BVerfG, Beschluss vom 06. Juni 2018 – 1 BvL 7/14 und 1 BvR 1375/14) verpflichtet seien, den Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG durch verfassungskonforme Auslegung nur in Ausnahmefällen einzuschränken, wenn das Verbot der sachgrundlosen Befristung für den Arbeitgeber im konkreten Fall unzumutbar ist.
 
Unzumutbarkeit liege vor, wenn eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht bestehe und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung könne insbesondere dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliege. Dies ist nach dem BAG bei einer 22 Jahre zurückliegenden Vorbeschäftigung der Fall. Darüber hinaus lägen keine besonderen Umstände vor, die dennoch eine Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG gebieten.

Verfassungsmäßigkeit der sachgrundlosen Befristung bei „Zuvor-Beschäftigung“ nach dem BVerfG

Wie vorstehend bereits erwähnt, hatte das BVerfG im Jahr 2018 über die gesetzliche Beschränkung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen durch § 14 Abs. 2 Satz 2  zBfG zu entscheiden. Im konkreten Fall wandte sich ein Arbeitnehmer gegen ein Urteil des BAG, in dem § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG dahingehend ausgelegt wurde, dass dieselben Arbeitsvertragsparteien nach einer Unterbrechung von drei Jahren erneut ein sachgrundlos befristetes Arbeitsverhältnis begründen dürfen. Hierin sah der Arbeitnehmer einen Verstoß gegen Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Der Arbeitnehmer war der Auffassung, dass die Grenzen der vertretbaren Auslegung und der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung überschritten seien.
 
Die zentrale Frage, mit der sich das BVerfG in dieser Entscheidung auseinandersetzen musste, war, ob die Formulierung „bereits zuvor“ in § 14 Abs. 2 TzBfG im Sinne von „jemals zuvor“ zu verstehen ist oder ob im Wege der Auslegung dieser Formulierung eine zeitliche Höchstgrenze für die Berücksichtigung von vorherigen Beschäftigungen entnommen werden kann.
 
Nach dem BVerfG ist eine Auslegung des Wortlautes von § 14 Abs. 2 TzBfG als „jemals zuvor“ mit dem Grundgesetz vereinbar. Damit stellt es klar, dass ein grundsätzliches Verbot der sachgrundlosen Wiederbeschäftigung besteht. Der Anwendungsbereich müsse und könne jedoch in den Fällen eingeschränkt werden, in denen Arbeitnehmer den von § 14 Abs. 2 TzBfG verfolgen Schutz – Förderung der unbefristeten Beschäftigung – nicht bedürfen.
 
Im Ergebnis kann der Anwendungsbereich daher nur dann eingeschränkt werden, wenn die Gefahr einer Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit von Beschäftigten nicht besteht und das Verbot zur Sicherung der Dauerbeschäftigung als Regelfall nicht erforderlich ist. Das sich aus § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ergebende Verbot der sachgrundlosen Befristung kann insbesondere unzumutbar sein, „wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, ganz anders geartet war oder von sehr kurzer Dauer gewesen ist“.
 
Damit erteilte das BVerfG der Auslegung des BAG, wonach eine sachgrundlose Befristung zulässig sei, wenn die Vorbeschäftigung mehr als drei Jahre zurückliegt, insgesamt eine Absage. Es stellte klar, dass das BAG die Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung überschritten und daher gegen das Rechtsstaatsprinzip verstoßen habe.

Fazit und Praxishinweise

Unter Berücksichtigung der oben dargestellten Entscheidung des BVerfG hat das BAG (BAG, Urteil vom 23. Januar 2019, - 7 AZR 733/16) in der Folge entschieden, dass das Merkmal „sehr lange zurückliegend“ bei einer Vorbeschäftigung von maximal acht Jahren nicht erfüllt sei.
 
Das Besondere an der hier zugrunde liegenden Entscheidung ist, dass das BAG erstmals zu dem Ergebnis kommt, dass eine Vorbeschäftigung tatsächlich sehr lange zurückliegt. Für die Praxis lässt sich festhalten, dass eine weitere sachgrundlose Befristung nach 22 Jahren zulässig ist. Zu beachten bleibt aber, dass besondere Umstände vorliegen können, die die Anwendung des Vorbeschäftigungsverbots trotzdem rechtfertigen. Solche besonderen Umstände ergeben sich insbesondere aus dem Überwiegen von Arbeitnehmerinteressen.

Trotz der Entscheidung sind Arbeitgeber gehalten, nur in absoluten Ausnahmefällen mit den Arbeitnehmern eine wiederholte sachgrundlose Befristung nach § 14 Abs. 1 TzBfG mit Arbeitnehmern einzugehen, um dem Risiko eines ungewollt unbefristeten Arbeitsverhältnisses zu entgehen.

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