Neue Herausforderungen bei Massenentlassungen – Mitspracheberechtigte im Rahmen des Konsultationsverfahrens

Nach den Entscheidungen des LAG Berlin-Brandenburg in der ersten Jahreshälfte zu dem Ablauf von Massenentlassungsanzeige und Kündigungserklärung, erhöhte nun das LAG Berlin-Brandenburg erneut in der zweiten Jahreshälfte die Anforderungen an die Massenentlassungsanzeige (Urteil vom 11.7.2019, 21 Sa 2100/18). Das Gericht entschied, dass bei Massenentlassungsverfahren neben dem Betriebsrat in unionskonformer Auslegung jede Arbeitnehmervertretung und damit auch die Schwerbehindertenvertretung miteinzubeziehen sei, um das Konsultationsverfahren ordnungsgemäß durchzuführen.

Urteile vom 25.04.2019, 21 Sa 1534/18 und vom 09.05.2019, 18 Sa 1449/18

Verschiedene Personalvertretungen 

Streitgegenstand der Parteien war die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung, die im Zuge der Insolvenz von Air Berlin als Arbeitgeberin ausgesprochen wurde. Die Klägerin ist schwerbehindert. Aufgrund von Tarifverträgen bestanden bei Air Berlin verschiedene Betriebsratsgremien für unterschiedliche Arbeitnehmergruppen sowie eine Schwerbehindertenvertretung. Es folgten Verhandlungen über den Abschluss eines Interessenausgleichs mit den Betriebsratsgremien.  Aufgrund der geplanten Entlassungen war sowohl eine Massenentlassungsanzeige nach § 17 Abs. 1 KSchG als auch ein Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 KSchG erforderlich. Nachdem die beklagte Arbeitgeberin mit zwei von drei Arbeitnehmergruppen im Rahmen des Konsultationsverfahrens über die geplanten Entlassungen beraten hatte, sprach sie die betriebsbedingten Kündigungen aus. Trotz Scheiterns der Interessenausgleichsverhandlungen mit dem Betriebsratsgremium der dritten Arbeitnehmergruppe, erstattete die Beklagte eine Massenentlassungsanzeige und kündigte der dritten Arbeitnehmergruppe, der die Klägerin angehörte, ebenfalls. Dabei unterlies sie eine erneute Beteiligung der Gremien der Arbeitnehmergruppe, insbesondere der Schwerbehindertenvertretung.

Beratung mit Schwerbehindertenvertretung erforderlich

Das LAG Berlin-Brandenburg entschied, dass die betriebsbedingte Kündigung unwirksam sei. Die Gründe hierfür lagen im Massenentlassungsanzeigeverfahren. Das Gericht war der Ansicht, dass die konkrete Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen im Rahmen des Konsultationsverfahrens der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 Abs. 2 KSchG nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Nach Ansicht des Gerichts sei nicht nur der Betriebsrat, wie es der Wortlaut von § 17 Abs. 2 KSchG vorsehe, zu konsultieren, sondern jegliche Arbeitnehmervertretung. Dazu gehöre auch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung. Diese Annahme folgerte das Gericht daraus, dass der Wortlaut des § 17 Abs. 2 KSchG unionsrechtskonform auszulegen sei und deshalb mit „Betriebsrat“ jegliche Arbeitnehmervertretungen nach nationalem Recht gemeint sei. Sinn und Zweck der europäischen Richtlinie sei es unter anderem, die Interessen der von schwerbehinderten und gleichgestellten Arbeitnehmern besonders zu schützen und zu fördern. 

Das LAG stellte weiter fest, dass die Unwirksamkeit der Kündigung aus einem weiteren Aspekt folgt: Das Gericht problematisierte die Zulässigkeit der Aufteilung eines einheitlichen kündigungsrechtlichen Betriebs in verschiedene betriebsverfassungsrechtliche Betriebe.  Teileinigungen seien für die ordnungsgemäße Durchführung des Konsultationsverfahrens nicht ausreichend, da die durchgeführte Maßnahmen auf dieser Basis regelmäßig zu vollendeten Tatsachen führe.

Formelle Fehler führen zur Unwirksamkeit der Kündigungen

Innerhalb des streng formalisierten Massenentlassungsverfahrens ist nach wie vor arbeitsrechtlich präzise vorzugehen, um Ergebnisse vorangegangener Verhandlungen mit Personalvertretern, nicht durch formelle Mängel zu gefährden. Die Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg verschärft die Anforderungen im Konsultationsverfahren erneut. Gerade für größere Um- und Restrukturierungen bedeutet das: Die Aufteilung eines einheitlichen Betriebs in mehrere betriebsverfassungsrechtliche Betriebe auf die kündigungsrechtliche Richtigkeit kritisch zu hinterfragen und im Massenentlassungsverfahren vorsorglich sämtliche Gremien, wie die Schwerbehindertenvertretung, zu beteiligen.

Das Gericht hat die Revision in dieser Sache zugelassen. Es bleibt abzuwarten und zu wünschen, dass die aufgestellten Anforderungen an das Konsultationsverfahren nicht bestätigt und für den erfolgreichen Abschluss eine Beratung mit dem Betriebsrat, wie es der Wortlaut des § 17 Abs. 2 KSchG vorsieht, genügen lässt.

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