Neue Haftungsrisiken beim Unternehmenskauf: Erwerber haftet (auch) zivilrechtlich für Kartellverstöße des Targets

Was für die kartellrechtliche Bußgeldhaftung bereits lange etabliert war, gilt nun auch für die zivilrechtliche Schadensersatzhaftung: Der Erwerber haftet für Kartellverstöße des Targets – vorausgesetzt dessen Geschäftsbetrieb wird im Wesentlichen unverändert fortgeführt. Dies hat der EuGH mit Urteil vom 14. März 2019 in der Sache Skanska (Rs. C-724/17) entschieden.

Sachverhalt

Der Entscheidung lag eine Vorlagefrage aus Finnland zugrunde. Die Stadt Vantaa machte Ersatz des Schadens geltend, der ihr durch die Durchführung eines Kartells auf dem finnischen Asphaltmarkt entstanden war. Weil die an dem Kartell beteiligten Gesellschaften zwischenzeitlich veräußert und infolgedessen liquidiert wurden, nahm die Stadt die Erwerber der Anteile in Anspruch, die das Geschäft im Wesentlichen unverändert fortführten. Das Eingangsgericht sprach die Klage zu, das Berufungsgericht hob das Urteil auf. Auf die Revision der Klägerin setzte der Oberste Gerichtshof Finnlands das Verfahren aus und legte es dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Mit seiner Vorlagefrage möchte das Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich die Passivlegitimation für Kartellschäden nach nationalem Recht richtet, oder unmittelbar aus Art. 101 AEUV, dem europäischen Kartellverbot, folgt. 

Entscheidung

Der EuGH entschied nun, dass „…die Bestimmung des Ersatzpflichtigen des durch einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV entstandenen Schadens unmittelbar durch das Unionsrecht geregelt“ ist. Norm- und damit Haftungsadressat dieser Vorschrift sei aber das „Unternehmen“ im kartellrechtlichen Sinne. Dieses umfasse alle natürlichen oder juristischen Personen unter einheitlicher Kontrolle, unabhängig von der Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Damit habe eine Umstrukturierung wie im Ausgangsfall, bei der die Einheit, die den Verstoß begangen hat, nicht mehr besteht, nicht zwingend zur Folge, dass ein neues, von der Haftung für Kartellverstöße seines Vorgängers befreites Unternehmen entstehe. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die alte und die neue Einheit – wie hier – wirtschaftlich gesehen identisch seien.   

Einordnung

Die Entscheidung erhöht die Haftungsrisiken des Erwerbers beim Unternehmenskauf. Bislang war eine Nachfolgehaftung des Erwerbers „nur“ für behördliche Bußgelder anerkannt. War die an den Absprachen unmittelbar beteiligte Gesellschaft nach dem Erwerb nicht mehr „greifbar“ (z.B. aufgrund Verschmelzung, Liquidation, Insolvenz etc.), konnte stattdessen die auf- bzw. übernehmende Gesellschaft haftbar gemacht werden. Begründet wurde (und wird) dies mit der Effektivität der Kartellverfolgung und dem Prinzip der wirtschaftlichen Kontinuität. Für nachlaufende Schadensersatzklagen (sog. „follow-on Klagen“) galt indes das gesellschaftsrechtliche Trennungsprinzip (vgl. z.B. LG Berlin, 16 O 193/11 Kart – Stadt Düsseldorf/ThyssenKrupp u.a.). Danach schied eine zivilrechtliche Inanspruchnahme des an dem Kartell nicht beteiligten Erwerbers für fremdes (des Targets) Verschulden regelmäßig aus. 

Der EuGH bricht nun mit diesem Grundsatz, indem er die Bestimmung des Ersatzpflichtigen – und damit die Reichweite der Haftung – unmittelbar aus Unionsrecht ableitet. Für den Einwand, nationales Gesellschaftsrecht stehe der Haftung entgegen, ist damit kein Platz mehr. Von der Entscheidung unmittelbar betroffen (da Gegenstand des Ausgangsverfahrens) sind Share Deals. Es ist aber angesichts der vom EuGH gegebenen Begründung kaum vorstellbar, dass für Asset Deals andere Grundsätze gelten.

Damit gewinnt die kartellrechtliche Due Diligence in M&A Transaktionen weiter an Bedeutung. Anders als potentielle Bußgelder sind nachlaufende Schadensersatzansprüche der Höhe nach unbegrenzt und richten sich nach dem tatsächlich entstandenen Schaden (z.B. aufgrund kartellbedingt überhöhter Einkaufspreise). Die daraus resultierenden Risiken für den Erwerber sind ggf. einzupreisen oder durch Vereinbarung entsprechender Garantien bzw. Haftungsfreistellungen abzudecken.

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