Mehrarbeitszuschläge schon ab der ersten Stunde – auch für Teilzeitbeschäftigte

Teilzeitbeschäftigten ist bereits dann ein tariflicher Mehrarbeitszuschlag zu zahlen, wenn sie Mehrarbeit über die individuelle vertragliche Arbeitszeit hinaus leisten und nicht erst, wenn sie die vereinbarte Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten überschreiten.

BAG, Urteil vom 19.12.2018, 10 AZR 231/18 (vgl. auch Urteile vom 19.12.2018, 10 AZR 617/17; 10 AZR 618/17; 10 AZR 140/18; 10 AZR 232/18)

Sachverhalt

In dem der Entscheidung des BAG zugrundeliegenden Sachverhalt beanspruchte die bei der Beklagten als stellvertretende Filialleiterin in Teilzeit tätige Klägerin Mehrarbeitszuschläge für die Arbeitszeit, die sie über die zwischen den Parteien vereinbarte Arbeitszeit hinaus leistete. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag für die Systemgastronomie Anwendung. In diesem ist geregelt, dass Mehrarbeit, welche mit einem Mehrarbeitszuschlag zu vergüten ist, diejenige Arbeitsleistung ist, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 39 Stunden hinausgeht. Hinsichtlich einer Teilzeitbeschäftigung ist ferner ausdrücklich geregelt, dass Mehrarbeit nur diejenige Arbeitszeit ist, die über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinausgeht. Die Beklagte war dementsprechend der Ansicht, dass ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag bei der teilzeitbeschäftigten Klägerin erst dann bestehe, wenn sie die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft überschritten hätte.

Entscheidung

Die auf Mehrarbeitszuschläge gerichtete Klage hatte Erfolg. Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichtes gab seine gegenläufige Ansicht auf (BAG 26.04.2017 –10 AZR 589/15) und schloss sich der Auffassung des 6. Senats (BAG 23.03.2017 – 6 AZR 161/16) insofern an, als er einen Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge einer Teilzeitbeschäftigten für die Arbeitszeit anerkannte, die über ihre individuell festgelegte Arbeitszeit hinausgeht. Das BAG geht in seiner Entscheidung davon aus, dass nur diese Auslegung der tarifvertraglichen Regelung mit § 4 Abs. 1 S. 1 TzBfG vereinbar sei und eine Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten vorläge, wenn die Zahl der Arbeitsstunden, von der an ein Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung entsteht, nicht proportional zu ihrer vereinbarten Arbeitszeit vermindert würde.
 
Kommentar

Nach § 4 Abs.1 TzBfG darf ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer wegen der Teilzeitarbeit nicht schlechter behandelt werden als ein vergleichbarer vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer. Etwas anderes gilt nur, wenn sachliche Gründe eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Einem teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer ist Arbeitsentgelt oder eine andere teilbare geldwerte Leistung mindestens in dem Umfang zu gewähren, der dem Anteil seiner Arbeitszeit an der Arbeitszeit eines vergleichbaren vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entspricht. Auch tarifliche Regelungen müssen mit § 4 TzBfG vereinbar sein. Die in dieser Vorschrift geregelten Diskriminierungsverbote stehen nicht zur Disposition der Tarifvertragsparteien. Ein Teilzeitbeschäftigter wird wegen der Teilzeitarbeit ungleich behandelt, wenn die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium darstellt, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft, wobei das Diskriminierungsverbot vor einer unmittelbaren Benachteiligung ebenso wie vor einer mittelbaren schützt. Erhalten Teilzeitbeschäftigte erst dann einen Mehrarbeitszuschlag, wenn sie über die tarifliche Vollzeitarbeitszeit hinaus tätig werden, so sind diese Überstunden schlechter vergütet als Überstunden, die ein Vollzeitarbeitnehmer leistet. Arbeitnehmer, die beispielsweise 50% der tariflichen Arbeitszeit arbeiten, müssten etwa mehr als das Doppelte der vertraglichen Arbeitszeit leisten, um in den Genuss von Überstundenzuschlägen zu kommen. Eine tarifliche Regelung, die Teilzeitbeschäftigte bei Mehrarbeit über ihre Teilzeitquote hinaus von den Mehrarbeitszuschlägen ausnimmt, verletzt daher das Gebot Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte gleich zu vergüten und stellt daher einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dar. Auch das Argument, die Überstundenzuschläge sollten die besonders hohe Belastung ausgleichen, der Vollzeitmitarbeiter bei Arbeit über die tarifliche Höchstarbeitszeit unterliegen, kann nicht als Rechtfertigung für die Ungleichbehandlung angeführt werden.
 
Praxisfolgen

Die Entscheidung des 10. Senats wonach bei Überschreitung der individuell vereinbarten vertraglichen Arbeitszeit bereits tarifliche Mehrarbeitszuschläge zu zahlen sind, dürfte entsprechend auch für die Fälle gelten, in denen Mehrarbeitszuschläge aus anderen Gründen, z.B. betrieblicher Übung, Gesamtzusage oder vertraglicher Einheitsregelung gezahlt werden. Auch bei einzelvertraglichen Bestimmungen, die einen Mehrarbeitszuschlag erst nach Überschreitung der Arbeitszeit einer Vollzeitkraft zugestehen, dürften damit nunmehr unwirksam sein.
 
Nicht geklärt ist mit diesem Urteil, wie zu verfahren ist, wenn Überstundenzuschläge auch bei Vollzeitkräften nicht bereits ab der ersten geleisteten Überstunde, sondern zum Beispiel ab der 6. Überstunde im Monat gezahlt werden. Im Zweifel wird hier der Schwellenwert umzurechnen sein, so dass bei vorstehendem Beispiel bei einer vertraglichen Arbeitszeit von 60% Überstundenzuschläge bereits bei der 4. Überstunde im Monat zu zahlen sind. Hierzu steht eine endgültige gerichtliche Klärung aber noch aus.

Arbeitgeber, die durch den Einsatz von Teilzeitkräften und von diesen geleisteten Überstunden Spitzenbelastungen auffangen wollen, müssen nun mit höheren Personalkosten rechnen. Verringert werden kann diese Zusatzbelastung dadurch, dass entweder vorübergehende Erhöhungen der vertraglichen Arbeitszeit oder aber  – soweit die kollektivrechtliche Landschaft das zulässt – Jahresarbeitszeitkonten vereinbart werden. 

 

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