Keine Beschäftigungsgarantie aus § 164 SGB IX

Der Anspruch aus § 164 Abs. 4 SGB IX gibt Menschen mit Schwerbehinderung keine Beschäftigungsgarantie. Er steht daher einer betriebsbedingten Kündigung nicht entgegen, soweit der betroffene bisherige Arbeitsplatz entfallen ist.


BAG, Urteil vom 16. Mai 2019, Az.: 6 AZR 329/18


Sachverhalt

Ein Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung und seine insolvente Arbeitgeberin stritten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung.

Die Arbeitgeberin betrieb das Insolvenzverfahren zunächst in Eigenverwaltung. Wegen einer Umverteilung der Tätigkeitsbereiche fiel (auch) der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers weg. Denn die ursprünglich von ihm verrichteten Hilfstätigkeiten wurden nunmehr von den verbleibenden Fachkräften erledigt. Eine alternative Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung gab es nicht.

Entscheidung

Der Arbeitnehmer war der Ansicht, dass die Kündigung unwirksam war, weil sie gegen den Beschäftigungsanspruch aus § 164 Abs. 4 SGB IX (bis 31. Dezember 2017: § 81 Abs. 4 SGB IX a.F.) verstößt. Bereits in den Vorinstanzen unterlag der Arbeitnehmer mit seiner Klage. Das BAG schloss sich diesen Entscheidungen an.

§ 164 Abs. 4 SGB IX regelt individuelle Ansprüche von Menschen mit Schwerbehinderung gegenüber ihrem Arbeitgeber. Demnach haben Menschen mit Schwerbehinderung gem. § 164 Abs. 4 SGB IX einen Anspruch darauf, dass die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihres Gesundheitszustandes erfolgt. Dies gilt jedoch in bestimmten Fällen nur eingeschränkt, wie beispielweise bei Unzumutbarkeit für den Arbeitgeber.

In der hier besprochenen Entscheidung wurde die Reichweite dieses Anspruchs im Zusammenhang mit der einer betriebsbedingten Kündigung entgegenstehenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeit verdeutlicht. Nach Ansicht des BAG sieht § 164 Abs. 4 SGB IX keine absolute Beschäftigungsgarantie vor, sodass der Arbeitnehmer nicht dazu verpflichtet ist eine Stelle für einen Menschen mit Schwerbehinderung zu schaffen oder zu unterhalten.

Insbesondere bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen im Rahmen einer Organisationsänderung den bisherigen Arbeitsplatz eines Menschen mit Schwerbehinderung entfallen zu lassen. Lediglich bei der Prüfung einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist der Anspruch nach § 164 Abs. 4 SGB IX zu berücksichtigen.

Mangels Weiterbeschäftigungsmöglichkeit führte der Anspruch aus § 164 Abs. 4 SGB IX nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die beklagte Arbeitgeberin war nicht verpflichtet, für den Arbeitnehmer einen geeigneten Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, wenn dies ihr neues Organisationskonzept nicht vorsieht. Denn der Beschäftigungsanspruch aus § 164 Abs. 4 SGB IX setzt voraus, dass eine geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit vorliegt. An dieser fehlte es bei der Arbeitgeberin, sodass die Kündigung nicht im Widerspruch zu der Wertung des § 164 Abs. 4 SGB IX stand.

Praxishinweis 

§ 164 SGB IX ist eine entscheidende Norm, um das Teilhabekonzept von Menschen mit Schwerbehinderung auch im Arbeitsleben zu gewährleisten. Die Entscheidung des BAG konkretisiert das Verhältnis zwischen dem Beschäftigungsanspruch von Menschen mit Schwerbehinderung gegenüber der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers. 

Obgleich die Treue- und Fürsorgepflichten gegenüber schwerbehinderten Menschen gesteigert sind zeigt das BAG ihnen gewisse Grenzen auf. Damit bestätigt das Gericht eine Tendenz, die sich bereits in der Rechtsprechung des BAG (BAG, Beschluss vom 22. November 2005 – 1 ABR 49/04 Rn. 33 - NZA 2006, 389; BAG, Urteil vom 28. April 1998 - 9 AZR 348/97 Rn. 31 – NZA 1999, 152) zeigte. Danach muss ein Arbeitgeber keinen neuen Arbeitsplatz schaffen, um den Arbeitnehmer dort behindertengerecht beschäftigen zu können. Konsequenterweise wird dies im Rahmen der Kündigungsschutzklage berücksichtigt.

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