Whistleblowing – Abmahnung wegen Gefährdungsanzeige

Das LAG Niedersachsen hat jüngst nochmals Reichweite und Grenzen von Gefährdungsanzeigen durch Mitarbeiter dargestellt. Wenn ein Arbeitnehmer Gefahren im Betrieb an Unternehmensleitung, Betriebsrat oder Vorgesetzte meldet, darf dies nicht aus sachfremden Erwägungen heraus oder ohne im Ansatz verantwortungsvolle Prüfung des Vorliegens einer solchen Gefahr erfolgen.

LAG Niedersachsen, Urteil vom 12.09.2018 – 14 Sa 140/18

Sachverhalt
Die Klägerin begehrte die Entfernung einer von der Beklagten erteilten Abmahnung aus der Personalakte. Die Klägerin ist Gesundheits- und Krankenpflegerin in einer psychiatrischen Fachklinik und wurde vertretungsweise infolge krankheitsbedingter Ausfälle auf anderen als ihr vertrauten Stationen eingeplant. Zur Unterstützung wurde ihr eine Auszubildende zur Seite gestellt. Auf Beanstandung der Klägerin hin wurde ihr ein weiterer Auszubildender zugeteilt. Die Klägerin empfand die personelle Situation weiterhin als unzureichend: Sie bemängelte, dass die Versorgung der Patienten in der vollen erforderlichen Qualität nicht garantiert werden könne, v.a. weil sie und die Auszubildenden nicht mit der Station ausreichend vertraut waren und die Patienten und ihre konkreten Leiden nicht kannten. Sie verfasste daher eine entsprechende Gefährdungsanzeige an die Klinikleitung, worin sie diese auf ihre starken Bedenken aufmerksam machte.
 
Die Beklagte mahnte die Klägerin dafür ab. Sie habe die Gefährdungsanzeige abgegeben, ohne dass dies gerade bei einer so sensiblen Thematik durch eine tatsächlich vorliegende Gefährdungslage gerechtfertigt gewesen sei. Dabei habe sie gegen ihre vertraglichen (Neben-)Pflichten verstoßen.
 
Die Klägerin meinte dagegen, es habe nach ihrer Einschätzung sehr wohl eine objektive Gefährdungslage bestanden. Sie sei daher verpflichtet gewesen, auf drohende oder voraussehbare Gefahren hinzuweisen.
 
Das ArbG hat der Klage stattgegeben.
 
Entscheidung
Das LAG hat die Entscheidung bestätigt und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin hat mit der Gefährdungsanzeige nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen. Bei der auf der Grundlage von § 16 ArbSchG abgegebenen Meldung komme es nicht auf das objektive Vorliegen einer Gefährdungslage an, soweit die Klägerin subjektiv berechtigterweise davon ausgehen konnte, es liege eine Gefährdungslage vor. Das war hier der Fall. Die Beklagte konnte nicht darlegen, dass die Klägerin etwa aus sachfremden Erwägungen heraus oder die Gefahr ohne eine im Ansatz verantwortungsvolle Prüfung von deren Vorliegen geradezu leichtfertig meldete.
 
Fazit
Die Entscheidung beleuchtet einen weiteren Aspekt des Whistleblowings. Gefährdungsanzeigen können einen erheblichen Schaden verursachen, wenn sie öffentlich werden. Dies ist im vorliegenden Verfahren vor allem durch prozessbegleitende Veröffentlichungen entstanden. Gerade der Krankenhaus- und Pflegebereich ist diesbezüglich sehr sensibel.

Nach § 16 Abs. 1 ArbSchG sind Arbeitnehmer jedoch grundsätzlich verpflichtet, ihrem Arbeitgeber jede von ihnen festgestellte unmittelbare erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Gesundheit unverzüglich zu melden. Ausweislich des Wortlauts gilt hierbei erst einmal ein subjektiver Maßstab. Ausschlaggebend ist also der Eindruck des Arbeitnehmers. Gleichzeitig haben aber sowohl das ArbG wie das LAG Grenzen für Gefährdungsanzeigen aufgezeigt. Sie dürfen nicht im bewussten Missbrauch oder willkürlich erstattet werden, d.h. weder aus sachfremden Erwägungen heraus oder ohne eine im Ansatz verantwortungsvolle Prüfung oder geradezu leichtfertig. Gleiches gilt, wenn mit der Anzeige das Ziel verfolgt wird, dem Arbeitgeber zu schaden oder die Anzeige in erster Linie aus allgemein beschäftigungspolitischen Zielen heraus abgegeben wird. In all diesen Fällen kommen arbeitsrechtliche Konsequenzen von Abmahnung bis Kündigung in Betracht.

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